Larissa Reissner
Angefeuert von der bolschewistischen Zukunftsvision, dass die Befreiung der Frauen mit der des Proletariats untrennbar verbunden ist, beteiligten sich unzählige Frauen an der Russischen Revolution. Eine davon war Larissa Reissner. Sie war gleichermaßen bekannt für ihre führende Rolle in der Roten Armee als auch als Literatin.
Schreiben als Waffe
Geboren wurde Larissa Reissner am 1. Mai 1895 im polnischen Lublin. Ihre frühe Kindheit verbrachte sie in Sibirien, bis sie mit ihren Eltern wegen der sozialistischen Gesinnung des Vaters im Jahr 1903 vor der zaristischen Repression nach Berlin fliehen musste.
Dort lernte sie ebenfalls im Exil lebende, russische Revolutionäre und führende SPD-Mitglieder kennen – darunter Lenin und Karl Liebknecht. 1907 kehrte die Familie nach Russland zurück. Dort und während ihres Studiums in Deutschland und Frankreich nahm sie aktiv am intellektuellen Leben teil, verkehrte in sozialistischen Kreisen und verfasste erste Artikel und literarische Essays.
Ab 1915 gab sie mit ihrem Vater das satirische Antikriegsmagazin Rudin heraus. Schreibend verurteilten sie den Krieg und prangerten den Verrat an den ehemals internationalistischen Prinzipien der Zweiten Internationale an.
Nach nur einem Jahr mussten sie dem Druck der Zensur nachgeben und die Zeitschrift einstellen. Danach war Reissner Mitarbeiterin der einzigen noch legalen internationalen Literaturzeitschrift Letopis des russischen Schriftstellers Maxim Gorki. Außerdem schrieb sie für die sozialistische Tageszeitung Nowaja Shisn.
Erste Politkommissarin
Ab Februar 1917 beteiligte sich Reissner aktiv an der Russischen Revolution. Sie war begeistert von den Textilarbeiterinnen, die am 8. März, dem internationalen Frauentag, streikten – dem Anstoß für Massenstreiks, die innerhalb von sieben Tagen zum Sturz des Zaren führten.
Reissner stellte sich hinter das Streben der Arbeiter_innen nach Bildung und Kunst, sie unterstützte unter anderem die entstehenden Arbeiterinnenklubs und initiierte literarische Veranstaltungen.
Im April 1917 schloss sie sich Lenins Kritik an der Provisorischen Regierung und ihrer kapitalistischen Ausrichtung und seiner Forderung nach einer Republik auf Basis von Sowjets (Arbeiterräten), Verstaatlichung des Bodens und der Produktionsmittel an.
Nach dem Oktoberaufstand trat sie den Bolschewiki bei und meldete sich nach der Gründung der Roten Armee im Februar 1918 als eine von 106.000 Freiwilligen. Mit nur 23 Jahren kämpfte Reissner an der Front des Bürgerkriegs, spezialisierte sich auf Spionagearbeit und stieg schließlich zur ersten weiblichen Politkommissarin der Roten Armee auf.
Zwischen den Gefechten schrieb sie Reportagen, die unter dem Titel Die Front veröffentlicht wurden. Sie dokumentierte die Schlacht von Swijaschsk (800 km östlich von Moskau), wo die Rote Armee unter Trotzkis Führung im Spätsommer 1918 gegen tschechoslowakische konterrevolutionäre Truppen gewann.
Trotzki schrieb später: „Dies war ein bedeutender Tag in der Geschichte der Roten Armee.“ In seiner Autobiografie Mein Leben würdigte der Revolutionär auch Reissner: „Diese herrliche junge Frau, die so viele bezauberte, ist wie ein feuriger Meteor am Himmel der Revolution vorübergezogen.“
In den folgenden Jahren setzte sich Reissner für eine weltweite Revolution ein und betätigte sich weiter als Literatin.
Hoffnung auf Weltrevolution
In Skizzen aus Afghanistan hielt sie ihre dortigen Erlebnisse als Mitglied der sowjetischen diplomatischen Delegation in den Jahren 1921-23 fest. Anschließend reiste sie im Auftrag der Kommunistischen Internationale nach Deutschland, wo sie über die dortigen Aufstände 1923 schrieb.
Die Texte wurden in ihrem Buch Hamburg auf den Barrikaden veröffentlicht. Den Aufbau des neuen russischen Arbeiterstaates dokumentierte sie in Kohle, Eisen und lebendige Menschen. In den späten 1920er-Jahren erschienen zahlreiche Sammlungen ihrer Schriften zumeist auf Russisch, einige auch auf Deutsch.
1925 litt sie zunehmend unter wiederkehrenden Malariaanfällen und erkrankte an Typhus. Im Alter von nur 30 Jahren starb Reissner am 9. Februar 1926 in Moskau. Ihr umfangreiches Lebenswerk geriet unter Stalin in Vergessenheit, viele der von ihr beschriebenen Kommunist_innen fielen dessen Säuberungen zum Opfer. Es ist Zeit, diese wunderbare Frau als wahre Inspiration für die Frauenemanzipation wiederzuentdecken.