Aline Furtmüller

Als Individualpsychologin der ersten Stunde ist sie maßgeblich an der Wiener Schulreform beteiligt, als Politikerin engagiert sie sich für die Gleichberechtigung – Aline Furtmüller ist der Inbegriff einer emanzipierten, intellektuellen Frau im frühen 20. Jahrhundert.
17. Januar 2018 |

„Ich erinnere mich gut, wie ich als Kind einmal ganz verwundert war, von einem älteren Wiener Genossen zu erfahren, dass er noch nie in seinem Leben eingesperrt war. In meiner Vorstellung gehörte das Eingesperrt-Sein geradezu zum Wesen eines anständigen Menschen. Hatte ich doch von den Helden der achtziger Jahre bis zu Trotzki immer unerschrockene Menschen, die alles um ihrer Sache willen wagten und hergaben, als täglichen Umgang gehabt“ – So beschreibt Furtmüller rückblickend ihr Leben.

Hohe Bildung, großer Intellekt

Geboren im Jahre 1881, entstammt Furtmüller, geb. Klatschko, einem hoch politischen Elternhaus. Ihr Vater Samuel Klatschko, ein zeitlebens nicht minder revolutionärer russischer Exilant, pflegt eine enge Freundschaft zu Leo Trotzki. Furtmüllers Eltern legen größten Wert auf die höhere Bildung ihrer Töchter, obwohl diese Ende des 19. Jahrhunderts nicht gesetzlich verankert ist. Damals lernt sie ihren zukünftigen Ehemann Carl Furtmüller kennen.

Furtmüller ist schon Mutter, als sie ihr Studium der romanischen Sprachen als eine der ersten weiblichen Absolventinnen der Universität Wien abschließt – mit Auszeichnung. Daraufhin übt sie den Beruf der Mittelschullehrerin an privaten Mädchengymnasien in Wien aus.

Vielseitiges Engagement

Die Zeit des politischen Umbruchs zur Gründung der Ersten Republik um 1918 stellt auch einen Wendepunkt im Leben Furtmüllers dar. Im Jahr 1919 zählt sie zu den ersten Frauen, die Einzug als Gemeinderätin in das Wiener Rathaus finden. Sie engagiert sich besonders im Bereich der Bildungs- und Sozialpolitik.

Hervorzuheben ist ihr Mitwirken an der Durchsetzung der Wiener Schulreform nach den individualpsychologischen Prinzipien Alfred Adlers, den sie persönlich kennt. Deren Ziel war die Schaffung eines Lehrsystems, das statt Verbot und Strafe auf einen schülernahen Unterricht setzt und gleiche Bildungschancen für alle ermöglichen soll.

Darüber hinaus setzt sich Furtmüller als Vorsitzende der sozialdemokratischen Frauenorganisation im dritten Bezirk für die Gleichberechtigung der Frau ein. Auf der Reichsfrauenkonferenz im Jahre 1920, an der sie teilnimmt, wird ein Dekret erlassen, das eine Zulassung von Lehrerinnen an Schulen, umfassenden Mutterschutz sowie die Abschaffung der Kerkerstrafe bei Schwangerschaftsabbruch fordert.

Als Grundsatz ihres Schaffens setzt sie auf die „Bekämpfung des hergebrachten tiefwurzelnden Vorurteiles von der Überlegenheit des männlichen Geschlechts in allen Formen, auf allen Gebieten, in allen Verschleierungen…“

Untergrund und Exil

Mit dem Bürgerkrieg 1934 und der Machtübernahme durch die Austrofaschisten nimmt ihr politischer Einsatz kein Ende. Nach einer Inhaftierung in der „Liesl“, der heutigen Rossauer Kaserne, geht sie in den Untergrund und wird ein aktives Mitglied der Revolutionären Sozialisten und der von Frieda Nödel geleiteten Sozialistischen Arbeiter-Hilfe.

Sie hilft Familien, deren Mitglieder verhaftet worden sind oder ihren Arbeitsplatz aufgrund ihres politischen Engagements verloren haben, indem sie Lebensmittel, Kleidung und Geldspenden verteilt, sowie falsche Pässe organisiert, um ihnen die  Flucht zu ermöglichen.

Im März 1938 wird Furtmüller unter dem nationalsozialistischen Regime als Jüdin, ihr Mann als „Halbjude“ abgestempelt. Auch  ihr politischer Einsatz trägt zur  Verfolgung der beiden bei.

Im Jahr 1939 gelingt ihnen die Flucht nach Frankreich, wo sie ein Jahr in der Hoffnung verbringen, sicher vor den Nationalsozialisten zu sein. Mit dem Einfall Hitler-Deutschlands in  Frankreich müssen sie jedoch erneut flüchten, woraufhin sie den  strapazenreichen Weg in die USA auf sich nehmen.

Carl Furtmüller

Bedauerlicherweise neigt sich Furtmüllers Leben bei ihrer Ankunft in New York 1941 bereits dem Ende zu. Im Alter von nur 58 Jahren stirbt sie an den Folgen ihrer Leukämie-Erkrankung. Carl überdauert sie noch um zehn Jahre.

„Sie war nie Demagogin: ihr Wille war es nie, populär zu sein. Sie war Lenkerin, Lehrerin, schlichtes, aber beharrliches Vorbild, zart im Körper, diamanten im Geist; ihre Stimme war hauchfein, ihr Denken unerschrocken (…) Jeder Hang zu veraltetem Wesen fand in ihr seine Widersacherin.“ So erinnert  sich Alines langjähriger Freund Josef Luitpold Stern an sie. Welch treffende Beschreibung einer wahrlich beeindruckenden Frau!

Kulturvermittlerin Petra Unger unterstützte die Entstehung dieses Artikels mit ihren Recherchen.  www.petra-unger.at