Das bedingungslose Grundeinkommen
Ein Grundeinkommen, das jeder Mensch unbedingt für ein würdiges Leben braucht, sollten alle bekommen, ohne dass daran Bedingungen geknüpft sind. Das ist die leicht verständliche Grundlage der Forderung nach einem „Bedingungslosen Grundeinkommen“.
Es gibt nicht genügend Arbeitsplätze in den Industrienationen, so wie die Gesellschaft derzeit läuft, also solange die Arbeitszeit nicht drastisch verkürzt wird, oder die Wirtschaft keinen gewaltigen Aufschwung erlebt. Das ist der Status Quo und er bedeutet für Millionen Arbeitslose endlose Schikanen und Demütigungen, um an Arbeitslosenunterstützung oder andere Formen eines Grundeinkommens zu gelangen.
Das BGE könnte nur eingeführt werden, wenn die herrschenden Eliten ihre Macht schon verloren hätten.
In Holland und Finnland starten nun Versuche, wie sich ein Grundeinkommen auf die Reintegration von Langzeitarbeitslosen ins Erwerbsleben auswirkt. Linke Befürworter_innen des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) wollen aber viel mehr: Sie sprechen von der Entmachtung des Geldes und der Befreiung der Menschheit von Zwang. Ihr Modell eines ausreichend hohen BGE könnte nur eingeführt werden, wenn die herrschenden Eliten ihre Macht schon verloren hätten.
Statt Niedriglohnarbeit
Kritik am Bedingungslosen Grundeinkommen kommt von allen Seiten: Die Rechten, unter Führung von ÖVP Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, wollen sowieso das Gegenteil – eine Kürzung der schon vorhandenen Mindestsicherung. Kurz und Konsorten sehen sich natürlich nicht als Kämpfer für eine gerechtere Gesellschaft, das sollte man ihnen auch nicht unterstellen, sondern sie verstehen sich als Politiker einer Kapitalistenklasse, die ehrliche Panik vor dem andauernden Niedergang der Wirtschaft hat und die rücksichtslos die Verarmung der Massen in Kauf nehmen würde, wenn sie damit nur ihre Profite retten könnte.
Österreichische Unternehmer glauben, dass sie den deutschen Weg einschlagen müssen und wollen ähnliche Konzepte wie die berüchtigte Agenda2010 und Hartz-IV. Arbeitslose und Menschen mit geringen Einkommen sollen dazu gezwungen werden, Niedrigstlöhne – Stichwort „Ein-Euro-Job“ – zu akzeptieren, ansonsten wird die Sozialhilfe gestrichen. Als Vehikel für diesen politischen Vorstoß nutzt Minister Kurz eine selbst erzeugte Missgunst gegen Flüchtlinge, denen er die Mindestsicherung kürzen will.
Auf den ersten Blick wird deutlich, welch einen Kontrast das BGE darstellen würde. Demütigen, Drohen und Erpressen der Arbeitslosen wären Vergangenheit. Armut könnte effektiv beseitigt werden. Rassismus und antisoziale Sündenbockpolitik, die rechte Realpolitik der Gegenwart, hätten schwereres Spiel.
Die nützliche Reservearmee
Arbeitslose werden vom Kapital seit jeher als Drohpotential genutzt. Bei jeder Auseinandersetzung um Löhne und Arbeitszeit steht die Drohung im Raum, dass es „da draußen“ genügend Menschen gäbe, die bereit seien, für weniger Lohn länger zu arbeiten. Der Begriff „industrielle Reservearmee“ stammt von Karl Marx und er verstand darunter etwas für den Kapitalismus Typisches: Im „industriellen Krieg der Kapitalisten“ würden „die Kapitalisten, wetteifern untereinander, wer am meisten Industrie-Soldaten entlassen kann.“
Im Kapitalismus sind die Unternehmer ständig darum bemüht, „die Effizienz der Arbeit zu steigern“, also die notwendige Arbeitszeit in der Produktion zu senken. Sie produzieren so Arbeitslosigkeit. Nur wenn die Produktion und der Warenabsatz weltweit permanent wachsen, würde mehr Effizienz nicht zu Entlassungen führen. Weil das aber nicht funktionieren kann und weil Kapitalismus immer tiefere Krisen produziert, muss ein anderer Hebel bedient werden, um dem Druck durch die „industrielle Reservearmee“ zu begegnen. So ist die Idee zum BGE entstanden. Ein wirklich ohne Bedingungen ausbezahltes Grundeinkommen für alle würde es Minister Kurz unmöglich machen, Langzeitarbeitslose und bedürftige Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen.
Wohlverhalten erzwingen
Die bloße Existenz der „industriellen Reservearmee“ macht starken Druck auf die Arbeitnehmer_innen, ihren Arbeitsplatz nicht zu verlassen. Man kündigt einen Arbeitsplatz nicht einfach und sucht sich einen besseren. Man organisiert nicht so leicht einen Streik oder verweigert den Gehorsam. Denn es würde sich scheinbar immer jemand als Ersatz finden. Arbeitslosigkeit kann auf diesem Weg Wohlverhalten bei den Arbeitenden erzwingen.
Dasselbe erreicht das System, indem Unterstützungen nicht bedingungslos gewährt werden, auch bei den Arbeitslosen selbst. Arbeitslose müssen eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen, die zum Teil wirklich demütigend sind, um ihr Arbeitslosengeld oder die „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ genehmigt zu bekommen oder nicht wieder zu verlieren. Der Mechanismus von „Arbeitslosengeld gegen Leistung“, so wie er heute funktioniert, hat Auswirkungen auf den sozialen Status von Menschen.
Das Bedingungslose Grundeinkommen würde es den Kapitalisten also bedeutend schwerer machen, die „Industrielle Reservearmee“ gegen die Werktätigen einzusetzen.
Das Bedingungslose Grundeinkommen würde es den Kapitalisten also bedeutend schwerer machen, die „Industrielle Reservearmee“ gegen die Werktätigen einzusetzen. Auf keinen Fall darf die Forderung nach einem BGE mit der Abschaffung von anderen essentiellen Sozialleistungen, wie der Krankenvorsorge, der Altersvorsorge, oder dem öffentlichen Schulsystem, kombiniert werden.
Ehrlich bedingungslos
Damit das Überprüfen von Bedürftigkeit und die damit einhergehenden Schikanen wegfallen, müssten alle das Bedingungslose Grundeinkommen bekommen. Man muss ein Recht darauf haben, es darf keine zu gewährende Gnade sein. Das schließt auch Menschen ein, die sich nicht so verhalten, wie es das System von ihnen erwartet. Solche, die sich heute weigern zum AMS zu gehen, oder die es aus vielerlei Gründen nicht schaffen, die geforderten Bedingungen, wie ordentlicher Wohnsitz, etc., zu erfüllen.
Auch kriminell gewordene Menschen müssten es ohne irgendeine Einschränkung erhalten. Sogar die Reichen müssten es erhalten. Die darin enthaltene Ungerechtigkeit kann man nur akzeptieren, wenn gewährleistet wäre, dass das BGE durch Steuern finanziert wäre, die in erster Linie die Reichsten zu entrichten hätten. Spätestens hier wird klar, dass das BGE nicht mit Zustimmung der Herrschenden umsetzbar sein wird, sondern nur gegen ihren Willen.
Die Höhe macht’s aus
Das BGE soll ein echtes Grundeinkommen sein, eine Grundlage, die zum Leben reicht, und kein Zuschuss. Es muss also deutlich über der Armutsgrenze (in Österreich 1.163 Euro) liegen. In der Schweiz, wo das BGE in einer Volksabstimmung im Juni abgelehnt wurde, waren 2.254 Euro anvisiert. In Finnland, wo das Projekt in Kürze startet, sollen in einem Versuchsprojekt zwischen 5.000 und 10.000 Einwohner_innen ein Mindesteinkommen von 500 bis 700 Euro im Monat erhalten (Ende Dezember 2016 wurde in Finnland ein Test mit 2.000 Arbeitslosen gestartet. Sie bekommen lediglich 560 Euro, Anm. d. Red.). Wenn das BGE das leisten soll, was es verspricht, dann muss es viel höher ausfallen als in Finnland.
Es soll jeder Person ermöglichen, am gesellschaftlichen (kulturellen, politischen und sozialen) Leben mitzuwirken. Erst dann tritt die von den Schweizer Initiatoren Daniel Häni und Philip Kovce gewünschte Wirkung ein: „Es ermächtigt jeden, sich nicht der Macht des Geldes beugen zu müssen“. Die hemmungslose Ausbeutung von Arbeiter_innen im Niedriglohnsektor würde ein Ende haben.
Die niedrigeren Einkommen müssten generell angehoben werden. Das hätte weitreichende Folgen auf die Qualität der Arbeit im Niedriglohnsektor, auf die Ausbildung der Arbeitskräfte, auf die Arbeitsbedingungen, etc. Auch andere Abhängigkeiten, wie die vom Partner oder den Eltern würden gemildert werden.
Fällt das BGE dagegen zu niedrig aus, dann ist es wirklich nur ein Zuschuss, der keine alten Abhängigkeiten beseitigt, sondern neue schafft. Dann könnten Unternehmer Arbeitskräfte finden, die sich damit zufrieden geben müssten, etwas dazu zu verdienen. Es fände dann eine versteckte Förderung von Unternehmen statt und sie könnten stellenweise sogar die Löhne senken. Die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Arbeitsstellen wäre wieder nicht gegeben. Die Arbeitslosigkeit würde so nicht bekämpft werden.
Widerstand des Kapitals
Soll das BGE ausreichend hoch ausfallen, dann werden die Arbeitgeber schwerlich zustimmen, fällt es zu niedrig aus, dann ist es wertlos oder schießt zumindest sehr weit am Ziel vorbei. Warum ist nicht zu erwarten, dass die Herrschenden einem ausreichend hohen Grundeinkommen jemals zustimmen werden?
Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung von Arbeitskraft, also dem Prinzip, dass wir „Habenichtse“ dazu gezwungen sind, unsere Arbeitskraft zu verkaufen, bzw. gegen eine Entlohnung zu tauschen. Wir haben keinen Besitz, der genügend Zinseinkünfte abwirft, oder keine Produktionsmittel, die es uns erlauben die Arbeit anderer auszubeuten.
Die besitzende Klasse bezieht aus dem Privileg, die besitzende Klasse zu sein, ihre ganze Macht. Dieses Privileg würde stark entwertet werden, wenn wir alle, dank dem BGE, nicht gezwungen wären zu arbeiten. Die Anhänger_innen des BGE meinen, dass das BGE die sozialen Beziehungen im Kapitalismus grundlegend verändern würde. Dieser Machtverlust wäre ähnlich schwerwiegend, wie es die Abschaffung der Leibeigenschaft am Ende des Mittelalters für die Grundherren war.
Wer macht die Drecksarbeit?
Wenn niemand mehr gezwungen wäre, schlecht bezahlte Arbeit zu verrichten, wer wird dann die Drecksarbeit erledigen? Eine mögliche Antwort: Die Reichen! Eine andere Antwort: Drecksarbeit würde ihren dreckigen Charakter verlieren.
Gelangen wir zum Bedingungslosen Grundeinkommen als Resultat einer großen gesellschaftlichen Umwälzung, als Ergebnis eines Siegs über die herrschende Klasse, dann wären die ehemaligen Herrscher die logischen Kandidaten für zu verrichtende Drecksarbeit. Andererseits verändern sich ja ab dann viele wichtige soziale und politische Verhältnisse.
Es wird suggeriert, dass wir ohne kollektiven Kampf kürzere Arbeitszeiten bekommen könnten.
Heute gilt als Drecksarbeit meist solche, die besonders schlecht entlohnt wird. Bei einem genügend hohen BGE sollen niedrige Löhne und die damit verbundene Abwertung der entsprechenden Arbeit verschwinden. Unbezahlte Arbeit, die heute besonders von Frauen im Haushalt und bei der Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen verrichtet wird, bekäme wohl einen anderen Stellenwert.
Arbeit fair teilen
Die Gewerkschaften sehen heute zu Recht eine Kürzung der Arbeitszeit als eine ihrer wichtigsten Herausforderungen. Sie befinden sich in einer sehr schlechten Verhandlungsposition solange die Arbeitslosigkeit so hoch ist, weil die Arbeitszeit so ungleich verteilt ist. Arbeitszeitverkürzung auf dreieinhalb Werktage bei vollem Lohnausgleich, wie es erst kürzlich der neue Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Norbert Schnedl, gefordert hat, ist völlig richtig.
Die Forderung nach der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens suggeriert, dass wir ohne den kollektiven Kampf der Lohnabhängigen kürzere Arbeitszeiten bekommen und aktuelle Missstände ausgleichen könnten. Wozu bräuchten wir noch Gewerkschaft, Solidarität und Kollektivität, wenn wir ohne Konfrontationen die Armut und die Arbeitslosigkeit beseitigen könnten.
In den Gewerkschaften herrscht deshalb zu Recht einige Skepsis gegenüber den Befürworter_innen eines BGE. Jede Lohnverhandlung, jeder Vorstoß in Richtung kürzere Arbeitszeiten braucht streikbereite Arbeiter_innen und eine starke Gewerkschaft. Die entsteht nicht alleine durch Mitgliederwerbung und Organisation. Kampferfahrung und Selbstvertrauen sind entscheidende Beiträge zur Stärke von Gewerkschaften. Arbeitskampf als Tatktik kommt in den BGE Projekten zu kurz oder gar nicht vor.
Die Gewerkschaften sind nach Jahrzehnten neoliberaler Kürzungen in einer prekären Situation und nur wenige Linke, die nicht in der Gewerkschaft verwurzelt sind, können sie wirklich wertschätzen. Aber sie haben nach wie vor die Schlüsselrolle im Kampf um jegliche Reform und gegen jede Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt. Sie kennen auch ihre Gegner in der Unternehmerschaft und in der Politik gut genug, um sich sicher zu sein, dass sie keiner einzigen Verbesserung, und schon gar keiner so schwerwiegenden, wie einem ausreichend finanzierten BGE zustimmen werden. Als Ergebnis eines sozialen Kampfs ist deshalb das Bedingungslose Grundeinkommen höchst willkommen, seine Einführung kann aber nicht ohne (gewerkschaftliche) Kämpfe geschehen.