Die bittere Logik eines kolonialen Siedlerstaats

Der rechte Hardliner Benjamin Netanjahu hat die letzten Wahlen in Israel gewonnen. Seit der zweiten Intifada und dem offiziellen Ende des Friedensprozesses unter Ehud Baraks sozialdemokratischer Regierung im Jahr 2000, hat Israels Politik einen starken Rechtsruck erfahren.
1. Mai 2015 |

Die rechte Likudpartei (und deren Abspaltung Kadima) dominiert bis heute. Die extreme Rechte profitiert vom Niedergang der Sozialdemokraten. Die Medien hatten 2015 den Sieg der Arbeiterpartei vorhergesagt. Prominente israelische Linke wie Uri Avnery sprachen berei vorsichtig von „Israels Rettung“, einer Rückkehr zum Friedensprozess.

Liberale Illusionen

Liberale Zionist_innen setzen dabei darauf, dass die richtige Partei in der richtigen politischen Konstellation die Wahl gewinnt und den Mut hat, die Zweistaatenlösung durchzusetzen. Diese Hoffnung beruht aber auf einem Glauben in das politische Establishment, obwohl dieses Zurückhaltung und Abneigung gegenüber einer ehrlich gemeinten Lösung zeigt.

Als 2002 Ariel Sharon die Likud Partei auf einen entscheidenden Sieg vorbereitete, schrieben liberale ­Zionist_­innen wie Avnery trotzdem, das ganze System würde sich langsam nach links entwickeln. Die gerade entschiedenen Wahlen zeigten erneut einen Mangel an Einsicht auf. Ein enttäuschter Avnery schrieb danach, dass der Messias nicht gekommen sei und vertröstete die Menschen dann damit, dass Links und Rechts beinahe gleich stark seien. Dies konnte er nur behaupten, indem er die Ex-Likud-Politikerin Tzipi Livni und neue Mitte-Rechts-Parteien der Linken zurechnete.

In der Natur der Sache

Aber, so schreibt der israelische Historiker Ilan Pappe: „Diejenigen unter uns, die die Natur der Sache kennen, können vom Ergebnis der israelischen Wahl nicht überrascht sein.“ Pappe steht für die verschwindend kleine anti-zionistische Linke, die ihren Glauben an den Staat verloren hat und eine ganz andere Perspektive auf die Zweistaatenlösung einnimmt.

Seit dem Friedensprozess sehen wir einen massiven Ausbau der israelischen Siedlungen, stärkere Unterdrückung der ­Palästinenser_­innen, eine immer undemokratischer agierende Justiz und eine heftige Eskalation von Militärschlägen, die zum Tod tausender Zivilist_innen in Gaza führten.

Der Friedensprozess hat Israel den Anschein gegeben, trotz des Landraubes wirklich am Frieden interessiert zu sein. Palästinensischer Widerstand wurde als Verletzung des Friedensprozesses verurteilt, die Idee, es gäbe „keinen Partner für Frieden“ wurde verbreitet. Deshalb ist es keine Überraschung, wenn Ilan Pappe schreibt, er sei „erleichtert, dass die liberale zionistische Regierung nicht gewählt worden“ sei und fügt hinzu: „Die Arbeiterpartei war lange genug an der Macht, um uns zu zeigen, dass sie … keine Vereinbarung anbieten konnte, dass ihnen wirkliche Souveränität gegeben hätte – nicht einmal … auf einem Fünftel des historischen Palästinas.“

Linke und rechte Positionen

Wenn man Kommentare zur Zweistaatenlösung in aktuellen Interviews von Isaac Herzog (Arbeiterpartei) und alten Interviews von Benjamin Netanyahu vergleicht, wird klar, dass beide ähnliche Ansichten zu den Schlüsselbereichen haben. Beide verweigern eine Rückkehr vertriebener Palästinenser_innen und beide fordern ein vereintes Jerusalem im Besitz von Israel.

Herzog sagte: „In den arabischen Vierteln von Ostjerusalem leben über 300.000 Palästinenser. Sie sind … kein Teil von Israel, und das zu recht.“ Er bestand dann darauf, dass Jerusalem und die Siedlungen „für immer Teil von Israel“ sein würden. Er gesteht zu: „Es wird Regierungsinstitutionen des palästinensischen Staates in einem der arabischen Viertel von Jerusalem geben.“

Rückkehr der Vertriebenen

Eine ständige Eskalation, begleitet von einer Ausbreitung, die die Zweistaatenlösung unmöglich macht, verleihen Pappes Position Gewicht: Wandel kann nicht aus dem Inneren des israelischen Polit-Establishments kommen. „Der Grund dafür ist sehr einfach“, behauptete er. „ Die Existenzbedingung einer Gesellschaft in Form eines kolonialen Siedlerstaates ist es, die dort Angestammten zu vertreiben und durch Siedler zu ersetzen. Wenn überhaupt können Ureinwohner in verschlossenen Enklaven leben, im schlimmsten Fall sind sie der Vertreibung oder Zerstörung ausgeliefert.“

Die palästinensischen Behörden werden keinen Staat ohne Ostjerusalem als seine Hauptstadt akzeptieren, und es kann nicht einfach über Millionen von vertriebenen oder geflüchteten Palästinenser_innen hinweg sehen. Wie Ilan Pappe meint, hätte eine Rückkehr zum Friedensprozess keine Ergebnisse erzielt, sondern „hätte die Scharade des ‚Friedensprozesses‘ und die Illusion der Zweistaatenlösung aufrecht erhalten, während das Leiden der Palästinenser weitergeht.“

Ron Oppenheim ist Israeli, lebt in Österreich und spricht am antikapitalistischen „Kongress Marx is Muss“ über den jüdischen Widerstand gegen die Nazis im Warschauer Ghetto. Mehr Infos: www.marxismuss.at
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.