Die falsche Strategie des Schutzbundes: Rückzug in den Untergang

Der Schutzbund war die paramilitärische Organisation der österreichischen Sozialdemokratie (SDAP). Seine Aufgabe war es, die Arbeiter_innenbewegung gegen die politische Rechte auch militärisch zu verteidigen. Es gelang ihm aber nicht, den Putsch der extremen Rechten im Februar 1934 zu verhindern. Einer der Gründe hierfür war die falsche politische und militärische Ausrichtung des Schutzbundes.
17. Juli 2019 |

Die SDAP-Parteiführung behandelte den Schutzbund wie eine reguläre Armee. Das bedeutet, sie folgten dem Irrglauben, der Schutzbund könnte Heimwehren und Armee in einer rein militärischen Konfrontation besiegen. Theodor Körner, ehemaliger General der k.u.k Armee und führendes Mitglied der SDAP, war sich der falschen Strategie der Parteiführung bewusst und kritisierte in einer 50-seitigen Broschüre die „Soldatenspielereien des Schutzbundes“.

Im Falle eines Bürgerkrieges wäre es absurd, Arbeiter_innen in geordneten Reihen gegen Berufssoldaten zu schicken, „in der Hoffnung, dass die anderen schlechter schießen“, so Körner. Er wusste, durch diese falsche Strategie verschenkte der Schutzbund den entscheidenden Vorteil, den er als Organisation der Arbeiter_innenklasse besaß, nämlich die Unterstützung der Massen.

Bürgerkrieg

Körner berief sich auf den Militärtheoretiker Clausewitz. Dieser hatte in seinem Monumentalwerk Vom Kriege einige, auch heute noch zutreffende Überlegungen dargelegt. Clausewitz unterscheidet in seinen Schriften zwischen Taktik, welche lehrt, wie die Streitkräfte im Gefecht eingesetzt werden, und Strategie, welche lehrt, wie die einzelnen Gefechte dem Kriegsziel nützen.

Der Schutzbund war die militärisch schwächere Partei. Für solche Fälle empfiehlt Clausewitz eine Strategie des Defensiven-Angriffes, das bedeutet, der Feind sollte aus einer defensiven Position heraus durch gelegentliche Angriffe zermürbt werden. Auch wenn die einzelnen kleineren Angriffe dem Gegner keine entscheidende Niederlage zufügen, so können sie ihn doch auf lange Dauer zermürben.

Das Zerbrechen der feindlichen Moral ist für einen Sieg notwendig. Darauf zielen die gelegentlichen Angriffe ab, der Feind soll zu Fehlern – entweder einem überhasteten Angriff oder einem Rückzug – animiert werden. Clausewitz’ Kriegskonzeption geht davon aus, dass die entscheidenden Siege erst eintreten, wenn sich der überlegene Gegner zurückzieht, dann verlässt er seine Position der Stärke und kann besiegt werden.

Theodor Körner forderte, diese Strategie durch die Massenmobilisierung zu ergänzen, die Partei müsste die gesamte Arbeiter_innenklasse im Falle eines Bürgerkriegs mobilisieren. Er wollte die Verbindung aus Generalstreik, Partisanenkrieg und Volksaufstand.

Friedrich Engels, „der General“, beschäftigte sich intensiv mit Militärtheorie. Barrikadenkampf reicht für eine proletarische Revolution nicht aus, dieser muss durch Massenstreiks ergänzt werden © gemeinfrei


Ökonomischer Bürgerkrieg

Die herrschende Klasse ist militärisch zwar überlegen, ökonomisch ist sie das aber nicht unbedingt. Im Falle eines Generalstreiks kann bspw. die Strom- und Wasserversorgung der feindlichen Truppen abgedreht werden. Durch eine ähnliche Strategie gelangte es den spanischen Anarchisten (CNT), Francos Putsch 1936 aufzuhalten und auch in Österreich konnte 1931 der Pfrimer-Putsch verhindert werden. Die warnenden Worte aus der eigenen Partei blieben ungehört.

Dieser Fehler wurde durch die falsche Politik der SDAP noch ergänzt. Sie versuchte, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen und marschierte somit in den kampflosen Untergang.

Weg in den Bürgerkrieg

„Den Kampf, der, wenn auch ohne unsere Absicht, nun einmal begonnen hatte, bis zur letzten Konsequenz durchzufechten. Das bedeutet, an Stelle der planlosen, zufälligen Zusammenstöße zwischen Polizei und Arbeiterschaft einen Kampf um die endgültige Entscheidung herbeiführen.“ Mit diesen Worten forderte der Sozialdemokrat (SDAP) Wilhelm Ellenbogen den Parteivorstand am Abend des 15. Juli 1927 zum Bürgerkrieg auf.

Am 14. Juli verbreitete sich die Nachricht über das sogenannte „Schattendorf-Urteil“ wie ein Lauffeuer. Die Justiz hatte drei Rechtsextreme freigesprochen, die auf eine sozialdemokratische Demonstration schossen und dadurch ein Kind und einen Hilfsarbeiter ermordeten. Die Arbeiter_innen der Wiener Elektrizitätswerke erkannten in diesem Urteil die Kriegserklärung der Bürgerlichen an die Arbeiter_innenbewegung und schalteten als Signal zum Generalstreik am Morgen des 15. Juli den Strom der Wiener Straßenbahnen ab.

In ganz Wien legten Arbeiter_innen ihre Arbeit nieder, versammelten sich zu einem Protestzug am Ring und zündeten den Justizpalast an. Die SDAP-Parteiführung war von dem spontanen Aufstand komplett überrascht und schickte die Kampforganisation der Partei, den Schutzbund, unbewaffnet auf die Straße – zur Beruhigung der Menge.

Obwohl fünf von sechs Polizisten gewerkschaftlich organisiert waren, der SDAP also nahe standen, eröffneten sie das Feuer auf den unbewaffneten Schutzbund. Am Ende des Abends waren mindestens 84 Demonstranten tot und Hunderte verletzt. Die linke Sozialdemokratin Ilona Duczyńska liefert in ihrem Buch Der Demokratische Bolschewiki: Zur Theorie und Praxis der Gewalt eine einzigartige und brillante politische und militärische Kritik der zurückhaltenden Strategie der Parteiführung.

Ihre Kritik lässt sich in drei Punkten zusammenfassen. Erstens die Verwandlung des Schutzbundes, welcher aus einer spontanen Selbstverteidigungsbewegung der Arbeiter_innenklasse entstanden war, in ein Anhängsel der Partei. Zweitens die rein militärische Ausrichtung des Schutzbundes. Drittens die Strategie des kampflosen Rückzuges der Parteiführung vor rechten Offensiven. Die Kombination aus diesen drei Punkten führte im Februar 1934 in die Niederlage.

Soldatenräte

Im Zuge des Ersten Weltkrieges zersetzte sich das k.u.k. Militär zusehends. Immer mehr Soldaten weigerten sich, für Kapital und Krone in die Schlacht zu ziehen. Ausdruck dieser Bewegung waren zahlreiche Soldatenaufstände, etwa am 12. Mai 1918 in Judenburg, am 20. Mai in Pecs in Südungarn und, am bekanntesten, der Matrosenaufstand am 1. Februar 1918 in Cattaro. Doch es handelte sich nicht einfach um einen Zerfallsprozess, sondern die Soldaten versuchten, anstelle der alten militärischen Ordnung eine neue demokratische Ordnung zu setzen.

Inspiriert wurden sie von der Russischen Revolution, in deren Zuge hatten sich Soldatenräte gebildet, das bedeutet, die Offiziere wurden abgesetzt und die einfachen Soldaten trafen alle Entscheidungen bspw. über die Verteilung der Lebensmittel, die Ausgabe von Waffen usw. Im Gegensatz zu Russland kam es dank des Einwirkens der SDAP aber nicht zu einer Machtübernahme der Arbeiter_innen und Soldatenräte, sondern die Räte wurden dem Parlament untergeordnet.

Arbeiterwehren

Am 1. August 1919 wurde die ungarische Räterepublik von konterrevolutionären Truppen zusammengeschossen. Dieser Sieg der Reaktion führte auch in Österreich zu einem Erstarken des Bürgertums, das wieder einen starken Führer an der Spitze sehen wollte. Dieses Mal einen Diktator anstelle eines Monarchen.

Ausgehend von den Soldatenräten bildeten sich Verteidigungskomitees (Arbeiterwehren), welche es sich zur Aufgabe setzten, zumindest die erreichten Fortschritte zu verteidigen. Auch wenn der Großteil der Mitglieder dieser Komitees in der SDAP organisiert war, beteiligten sich auch Kommunist_innen und Anarchist_innen an ihnen. Das Selbstverständnis dieser Verteidigungskomitees war defensiv. Ihr unmittelbares Ziel war nicht die Revolution, sondern die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie.

Der SDAP war jede Klassenorganisation außerhalb ihrer eigenen Reihen suspekt, insbesondere wenn sie über genug Waffen und Mitglieder verfügte, um zu einem eigenständigen Machtfaktor zu werden. Stück für Stück versuchte sie, diese Komitees unter ihre Kontrolle zu bringen, mit stellenweise vernünftigen Argumenten; bspw. ist es richtig, dass es im Falle einer bewaffneten Konfrontation zwischen Arbeiter_innenklasse und Kapital eine geordnete Führung braucht, erstens militärisch und zweitens, deutlich wichtiger, politisch. So ein Kampf darf nur begonnen werden, wenn die Mehrheit der Arbeiter_innenklasse hinter ihm steht.

Mit diesem Argument gelang es der SDAP-Führung, die radikale Linke aus den Komitees zu drängen. Nach der Machtübernahme Mussolinis in Italien 1922 erkannte aber auch die SDAP die Notwendigkeit einer bewaffneten Verteidigungsformation. Sie führte die Arbeiterwehren in die Parteiorganisation Schutzbund über.

Die Arditi del Popolo setzten auf bewaffneten Kampf und Massenmobilisierung. Sie bereiteten Mussolini mehrere Niederlagen © unbekannt (Wikimedia Commons)


Entwaffnung

Die Entwaffnung der Arbeiter_innen und ehemaligen Soldaten war das erste Ziel der Konterrevolution, und die Sozialdemokratie unterstützte diese Entwaffnung. Im Mai 1927 verhandelte der Chef des Schutzbundes, Julius Deutsch, mit dem Heeresminister Carl Vaugoin den Deal, das größte Waffenlager des Schutzbundes im Wiener Arsenal kampflos zu räumen.

Die Polizei konfiszierte 665 Maschinengewehre, 21.645 Infanteriegewehre und 700 automatische Repetierpistolen. Die Entwaffnungen waren für die Moral des Schutzbundes verheerend. Eine Kampforganisation mit beinahe 80.000 Mitgliedern, die sich von ihrem Gegner widerstandslos entwaffnen lässt, wirkt grotesk.

Die Revolutionären Sozialisten (R.S.) Österreichs

Die Revolutionären Sozialisten (R.S.) Österreichs

Als es dann im Februar 1934 zum Bürgerkrieg kam, versuchte die Parteiführung nicht einmal den militärischen Kampf zu führen. Der Großteil der Schutzbündler erhielt keine Waffen, dafür hätte es den Befehl der Parteiführung gebraucht, und diese war auf der Flucht nach Brünn.