Farid Hafez: „Beamte mit schweren Waffen drangen in alle Zimmer ein, inklusive der Kinderzimmer.“

Farid Hafez ist Politikwissenschaftler, Autor und eine der starken Stimmen aus der muslimischen Community, die sich in den letzten Jahren gegen antimuslimischen Rassismus erhoben haben. Die unter dem Codenamen „Operation Luxor“ bekannt gewordene, rassistische Razzia, gegen muslimische Mitmenschen in ganz Österreich im November 2020, traf auch ihn und seine Familie. Um 5 Uhr Morgens, wurde von der Polizei die Tür zu seiner Wohnung aufgebrochen, und seine Familie und er mit Sturmgewehren aus dem Bett gejagt. Innenminister Nehammer verkauft diesen staatsrassistischen Akt, als erfolgreichen Schlag gegen Extremisten…
18. Mai 2022 |

Farid Hafez: Politikwissenschaftler, Antirassist & Autor von Büchern wie „Feindbild Islam. Über die Salonfähigkeit von Rassismus“ und „Mein Name ist Malcolm X: Das Leben eines Revolutionärs“

Linkswende: Am 9. November 2020 ist mitten in der Nacht deine Wohnung von bewaffneten Spezialeinheiten gestürmt worden. Bei der Operation Luxor sind du und über 70 weitere Betroffene Opfer einer staatlichen Gewalt geworden, die sich unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung gezielt gegen Muslim_innen gerichtet hat. Kannst du kurz erzählen, was damals genau passiert ist? 

Farid Hafez: Um 5 Uhr morgens drang schwer bewaffnetes Personal – Cobra-Beamte, WEGA-Beamte, LVT und lokale Polizei – scheinbar zeitgleich bei allen Personen und Institutionen in die Privatsphäre der Menschen ein. In meinem konkreten Fall wurde die Haustüre eingeschlagen und ein Fenster zerstört. Daraufhin folgte, was man im Polizeijargon die Sicherstellung der Zimmer nennt: Beamte mit schweren Waffen und Beleuchtung drangen in alle Zimmer ein, inklusive der Kinderzimmer. Ich musste mich an die Wand stellen. Auf meine Forderung hin wurde mir der Durchsuchungsbefehl ausgehändigt, ein Dokument, das zwar sehr umfassend ist, sich aber in Wirklichkeit auf einige wenige Dinge herunterbrechen lässt, die ich schnell identifizieren konnte.

Als ich sah, dass nichts als die üblichen öffentlichen Verleumdungen hinter dieser Hausdurchsuchung standen, war ich natürlich wütend, dass ich und meine Familie mitten in der Nacht auf diese Weise terrorisiert werden, aber auch perplex, wie es von Seiten des Staates zu so einer extremen Handlung kommen kann. Wir wurden, indem man uns anfangs die Akteneinsicht verweigerte, weiter im Dunkeln gelassen, ein durchaus perfider Akt, mit dem man eine breite Solidarisierungswelle mit uns verunmöglicht hat.

Linkswende: Ihr seid vor der Operation monatelang überwacht und abgehört worden, insgesamt sind über eine halbe Million an Steuergeld in diese Abhöraktion geflossen. Was wurde euch denn konkret vorgeworfen und was sind denn überhaupt die Grundlagen für die Anschuldigungen?  

Farid Hafez: Rechtlich gesehen stützte sich die Observierung, ebenso wie das Einfrieren meiner Bankkonten und die Beschlagnahmung meines Hauses auf fünf Paragraphen. Konkret wird mir und den anderen Betroffenen vorgeworfen, wir seien Teil einer Terrororganisation, Teil einer kriminellen Organisation, Teil einer staatsfeindlichen Organisation, würden Terrorismus finanzieren und damit einhergehend Geldwäsche betreiben.

In meinem spezifischen Fall gibt es, mit dem Verdacht auf Nötigung, mittlerweile eine Ausweitung der Ermittlungen: Ich habe jemanden für seine öffentliche Aussage geklagt, der sich als Hinweisgeber hergegeben hat, woraufhin der Staatsanwalt ein Verfahren wegen Nötigung und falscher Zeugenaussage eingeleitet hat. Ähnliche Verfahren hatte ich in den Jahren zuvor mehrere Male bis in die zweite Instanz gewonnen.

Begonnen hat die ganze Aktion, lange bevor ich unter Observation stand, damit, dass man Dissidenten gegen das diktatorische Regime in Ägypten beobachtet hat. Das ist an sich schon eigenartig, denn das ägyptische Regime ist eine Militärdiktatur, die den ersten seit 1952 frei gewählten Präsidenten Ägyptens gestürzt hat. Dementsprechend ist das meiner Ansicht nach kein Grund jemanden unter Beobachtung zu stellen. Daraus wurde gesponnen, dass es sich um die Muslimbruderschaft handeln würde. Dabei ist die Muslimbruderschaft keine Terrororganisation – das BVT selbst hat sie nicht als solche klassifiziert – auf diesem Verdacht also ein Verfahren gegen Terrorismus einzuleiten, ist an sich schon ein Skandal und total jenseitig.

Ich selbst wurde erst vier Monate vor der Razzia in die Untersuchung aufgenommen, in den Monaten zuvor, in allen Aufzeichnungen und Fotos, die gemacht wurden, kam ich natürlich nicht vor. Unter Beobachtung standen Immigranten der ersten Generation, großteils ägyptisch-stämmig, die gegen das Militärregime protestieren. Das ist schlicht nicht das Sozialmilieu, in dem ich zuhause bin.

Das einzige Indiz, dass die Staatsanwaltschaft verwendet hat, um weitere Ermittlungen zu legitimieren und die Untersuchung auf mich und Leute in meinem Umfeld auszuweiten, war die Aussage eines anonymen Hinweisgebers. Wie wir später über die Akten erfahren haben, wurde dieser selbst als Beschuldigter geführt, mit dem Vorwurf er sei einer der höchsten Muslimbrüder in Ägypten. In einem Telefonat mit einem mittlerweile für Exxpress arbeitenden Journalisten aus dem rechts-katholischen Milieu hat er gesagt: „Naja, weißt eh: der oberste Muslimbruder, das ist der Farid Hafez!“ und daraufhin noch zwei weitere Namen erwähnt. Interessant ist: Die Fragen und Antworten in diesem Telefonat klingen für mich nach einem gewissen Drehbuch. Mit diesem Telefonat kam es zu einer enormen Ausweitung der Ermittlungen, viele Menschen, die zuvor nie in der Untersuchung aufgeschienen sind, standen plötzlich unter Verdacht. Grundlage dafür war tatsächlich allein diese falsche Aussage des anonymen Hinweisgebers, der seine Aussage später enorm relativiert hat.

Linkswende: Unter den Beschuldigten befanden sich neben dir ja noch weitere Aktivist_innen, Akademiker_innen und Vereine, die sich gegen antimuslimischen Rassismus zur Wehr setzen. Welche Auswirkungen hatte die Operation Luxor jetzt einerseits für die Betroffenen und andererseits für die politische Landschaft in Österreich? 

Farid Hafez: Die meisten Beschuldigten sind bis dato nicht öffentlich bekannt und ich freu mich für sie, dass sie ihre Anonymität wahren konnten und ihr Ruf durch diese Operation keinen Schaden erlangt hat. Ich, auf der anderen Seite, wurde ziemlich aus der Reserve gelockt. Vom ersten Tag an haben die großen Medien geschrieben: „Der Politikwissenschafter an der Uni Salzburg, der zu Islamophobie forscht und jährlich einen Report herausgibt!“ Natürlich wusste jeder, dass es sich dabei um mich handelt. Indirekt war ich dadurch gezwungen an die Öffentlichkeit zu gehen und mit vielen Nachteilen und manchen Vorteilen behaftet, habe ich das schließlich getan.

Vor dem Hintergrund, dass ich in der muslimischen und antirassistischen Szene ein relativ bekanntes Gesicht bin, hat mich doch überrascht, dass es von Seiten der Zivilgesellschaft unmittelbar wenig Solidarität gab. Im Gegenteil: großes Schweigen. Damit einher ging das Gefühl einer enormen Einschüchterung. Nach den Ereignissen des 2. Novembers, diesem kollektiven Schockzustand, in den man sich hineingeredet hatte, war es schwer möglich, dass sich irgendjemand mit Menschen solidarisiert, die genau dessen beschuldigt wurden, was der Anschlag manifestiert hatte. Von Seiten der Türkisen war das ein Zaubertrick, besser hätten sie es nicht machen können. 

Linkswende: Islamophobie, beziehungsweise auch das Schweigen zu Islamophobie ist sehr ausgeprägt in Österreich und kommt insbesondere auch von Personen und Parteien, die sich gegen andere Formen von Rassismus aussprechen. Was würdest du denn sagen sind die Ursachen dafür, dass gerade der Rassismus gegen Muslim_inne so salonfähig ist? 

Farid Hafez: Der allgemeine Grund ist die Unfähigkeit in deutschsprachigen Ländern generell und insbesondere in Österreich, eine offene Diskussion über Rassismus zu führen. Die späte Aufarbeitung des nationalsozialistischen Regimes, ebenso wie die damit einhergehende Vorstellung, Rassismus könne danach nicht mehr existieren, wir seien schließlich nicht mehr antisemitisch, haben dazu geführt, dass wir auf diskursiver und institutioneller Ebene ein enormes Rassismusproblem haben. Antisemitismus, insbesondere der völkische, wird auf den Holocaust reduziert, dadurch können die Erfahrungen des Antisemitismus nicht auf andere Formen von Rassismus, wie jenen gegen Muslime, übertragen werden. So wie es aus der antisemitischen Perspektive vor hundert Jahren die Judenfrage gegeben hat, so gibt es heute die Islamfrage und sie wird ausverhandelt, als wäre es eine reale Frage, nicht verstehend oder nicht verstehen wollend, dass es sich hier in Wirklichkeit um eine antimuslimisch-rassistische Frage handelt.

Edward Said hat es damals in seinem Buch „Orientalismus“ sehr gut auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Die andere Seite der Medaille des Orientalismus ist der Antisemitismus.“ Das ist die allgemeine Ursache! Im Speziellen ist auch bedeutend, dass die ÖVP, unter Sebastian Kurz, gezielt FPÖ Themen übernahm und sie subtil mit dem rechtskatholischen Programm der Rettung des christlichen Abendlands verband. Dieser Versuch das Land in katholischer Dominanz zu halten und Muslime somit als Gefahr zu brandmarken hat nicht nur auf politischer Ebene eine antimuslimisch-rassistische Diskussion hervorgebracht, sondern auch ein ganzes Arsenal an Politiken im Dienste des Rechtskatholizismus. Diese Kombination ist die Ursache für die islamfeindlichen Gesetzgebungen und polizeilichen Handlungen, die wir in den letzten sieben Jahren erlebt haben.

Linkswende: Politiker_innen wie Sebastian Kurz, Karl Nehammer und Susanne Raab haben ihre politischen Karrieren sehr stark auf islamfeindlichen Projekten wie der Islam-Landkarte, der Kindergartenstudie oder dem Kopftuchverbot an Schulen aufgebaut, Nehammer eben mit der Operation Luxor. Wie würdest du das denn einschätzen, ist das strategisch, geht es da um Wählerstimmen?

Farid Hafez: Dieses Hauptargument, es würde um Wählerstimmen gehen, ist natürlich nicht falsch, aber es greift zu kurz. Wir können hier eine Strategie beobachten, die weit über Österreich hinausgeht. Viele Innenministerien zielen mit ihrer Politik darauf ab, den Islam zu domestizieren, ihn in nationalstaatliche Schranken zu verweisen und zu einer Institution zu machen, die der staatlichen Macht dient. Das ist die wichtige politische Kalkulation, die wir hier ablesen können.

Somit unterscheidet sich die islamfeindliche Politik der Türkisen von jener der FPÖ. In dem Versuch das Gros der Muslime zu vereinnahmen, gibt die ÖVP vor, die „guten, friedfertigen“ – die staatliche Macht nicht gefährdenden – Muslime vor dem bösen politischen Islam zu retten. Der politische Islam muss dabei als ein Kampfbegriff verstanden werden, der es ermöglicht, jede Kritik an der antimuslimisch-rassistischen Politik der Türkisen als extremistisch abzutun. Das ist auch der Grund warum ich, als jemand der sich eine Expertise in dem Gebiet aufgebaut hat, und sich damit in der Öffentlichkeit gegen die staatstragende Politik stellt, wie ein vermeintlicher Terrorist behandelt wird.

Was die ÖVP um jeden Preis verhindern will, ist eine unabhängig, kritisch denkende und für sich aus sich selbst heraus agierende muslimische politische agency. Muslime sind ihnen nur dann willkommen, wenn sie, wie Mouhanad Khorchide und Ednan Aslan, der türkisen Politik unwidersprochen applaudieren und von muslimischer Seite legitimieren. Die Dokumentationsstelle politischer Islam, sowie viele andere Institutionen und Gesetze haben genau diesem Zweck gedient. 

Linkswende: Es ist sehr auffällig, dass in Diskursen zum Islam sehr schnell diese Dichotomie zwischen europäisch und politisch oder zwischen gemäßigt und extremistisch aufgemacht wird. Der Islam hat überall auf der Welt und auch innerhalb von einzelnen Ländern ganz unterschiedliche Strömungen und Auslegungen, die sich nicht so einfach über einen Kamm scheren lassen. Wieso hat also diese Einteilung in zwei starre Kategorien einen so hohen Stellenwert im allgemeinen Diskurs? 

Farid Hafez: Diese Teilung ist mitunter historisch begründet. Im kalten Krieg stellten die konservativen Muslime für die USA eine wirksame Gegenkraft gegen den Sozialismus und jene blockfreien Staaten dar, von denen befürchtet wurde, sie könnten ins UdSSR-Camp übergehen. Der 11. September 2001 bot die Möglichkeit ein Herrschaftsprojekt unter dem Deckmantel des Krieges gegen den Terror zu legitimieren. Es folgte ein großer Komplex aus Deradikalisierungsmaßnahmen und in diesem Kontext war es dem Staat möglich, ein ganzes Arsenal an Vokabeln zu definieren, das diese Zweiteilung autorisierte.

Betrachtet man nun die Verbündeten der Vereinigten Staaten auf globaler Ebene, wird ersichtlich, dass die Kooperation mit Muslimen nie außer Frage stand. Notwendig war dafür jedoch ein Konzept, dass es einerseits ermöglicht, Muslime als Kollaborateure mit ins Boot zu nehmen, gleichzeitig aber alle kritischen Akteure mundtot zu machen. Das heißt: Auf der einen Seite stehen die guten Muslime, die die liberale Demokratie unterstützen und auf der anderen Seite der politische Islam, der Dschihadismus oder Salafismus, all das eben, was mit Extremismus und Radikalisierung verbunden wird. Auch die Dokumentationsstelle politischer Islam ist, gefördert aus einem Topf zur Deradikalisierung, ein Produkt des Krieges gegen den Terror.

Die Vereinten Nationen verpflichteten damals ihre Mitgliedsstaaten Deradikalisierungsmaßnahmen auf nationalstaatlicher Ebene umzusetzen. Die islamfeindliche Politik Österreichs ist eine sehr verspätete Institutionalisierung genau jener Agenda. Einhergegangen ist diese aber zu einem ganz wichtigen, kritischen Moment, als im Jahr 2015 das Islamgesetz geändert wurde und somit auch der Paradigmenwechsel des Umgangs des Staates mit seinen Muslimen. Es hat wenige Leute gegeben, die dagegengestanden sind, einige davon sind von der Operation Luxor betroffen gewesen. Das scheint mitunter die Rechnung zu sein, die hier beglichen wurde. 

Linkswende: Was braucht es denn deiner Ansicht nach, um Islamophobie in Österreich zu bekämpfen? 

Farid Hafez: Zuallererst braucht es den politischen Willen, der ist nicht vorhanden. Und da beziehe ich mich nicht nur auf die Türkisen und die FPÖ, die ihre antimuslimische Politik offen nach außen tragen. In Wirklichkeit gibt es keine Partei, die sich traut, sie dafür anzugreifen. Nehmen wir die Operation Luxor als Beispiel: die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokratie, hat im Wesentlichen geschwiegen. Einige dieser Politiken hat die SPÖ mit Sebastian Kurz sogar mitgetragen, ebenso die Grünen in ihrer Koalition mit Kurz. Beim Islamgesetz hat die SPÖ Kurz als Integrationsminister walten lassen, obwohl das nicht einmal seine Agenda war.

Was es außerdem braucht ist eine viel stärkere Zivilgesellschaft. Viele Menschen, allen voran antirassistische Institutionen, machen schon sehr gute Arbeit, doch um Islamophobie effektiv bekämpfen zu können, braucht es eine große Masse an Solidarischen. Nehmen wir noch einmal die Operation Luxor als Beispiel: das war die größte Polizeioperation in der 2. Republik. Du hast vorher die 500.000 Euro angesprochen, die allein in die Observation geflossen sind. Man kann davon ausgehen, dass das Gesamtbudget vielfach höher ist. Vor dem Hintergrund dieses immensen Ausmaßes der Operation war die Medienberichterstattung, wenn auch sehr kritisch, zu wenig.

Die Intoleranz gegenüber Minderheiten und da geht es nicht nur um Muslime, da geht es um jede Minderheit, ist der Kern des Problems. Wir brauchen fundamental kritische Hinterfragungen zu unserem politischen System und zu unserer politischen Kultur, um eine andere Zukunft zu gestalten, in der wir derartige Formen von Diskriminierung und Polizeigewalt nicht mehr haben.

Das Interview führte Lisa Hasenbichler

Donnerstag 23. Juni | Antirassismus Podium mit Farid Hafez | Muslim_innen im Fadenkreuz des Staates >>Alle Infos<<