Frauenbefreiung: Die sozialistische Strategie

Im Vergleich zu früheren Lebensbedingungen haben Frauen heute scheinbar alle Möglichkeiten: sie können Kanzlerin, Konzernchefin oder Pilotin werden. Dennoch kann von wirklicher Gleichberechtigung noch lange nicht die Rede sein. Die Debatten um Abtreibungsgesetze und #MeToo zeigen, wie aktuell das Thema Frauenrechte nach wie vor ist und dass die ernsthafte Bekämpfung von Sexismus mit sozialen Kämpfen verbunden sein muss.
5. November 2018 |

Im Mai dieses Jahres ging eine Erfolgsmeldung um die Welt: die irische Bevölkerung stimmte für die Legalisierung von Abtreibungen! Obwohl das Land sehr katholisch geprägt ist, sprachen sich die Menschen explizit für das Selbstbestimmungsrecht der Frau aus. Genauso setzten die „Women’s Marches“, die anlässlich der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten stattfanden, ein wichtiges Zeichen: weltweit gingen Millionen Menschen für Frauen- und Menschenrechte auf die Straße. Einen weiteren Schritt nach vorne markiert die #MeToo-Kampagne, in deren Rahmen Frauen seit Oktober 2017 in sozialen Medien ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen und Diskriminierung veröffentlichten und so eine breitere Auseinandersetzung mit Sexismus und Gleichberechtigung anstießen.

Das ist auch bitter nötig, angesichts des Wiedererstarkens reaktionärer Ideen im Zuge des weltweiten Rechtsrucks oder täglicher Meldungen über Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht und die Würde der Frau – so verglich Pabst Franziskus erst kürzlich Abtreibungen mit „Auftragsmord“.

Ideen der Herrschenden

Frauenunterdrückung ist kein neu aufgetauchtes Problem. Beinahe jede Frau macht im Alltag Erfahrungen mit Sexismus: anzügliche Bemerkungen, eine Hand auf dem Oberschenkel oder massive Belästigung bis zur Vergewaltigung. Dennoch werden häufig die Frauen selbst dafür verantwortlich gemacht, schließlich war der kurze Rock ja eine direkte Einladung! Der Mann – als „triebgesteuertes Wesen“ – könne da ja gar nicht anders.

Genauso wie andere Arten der Unterdrückung – wie etwa Rassismus – gibt es Sexismus aber nicht, „weil die Menschen nun mal so denken und immer so denken werden“, sondern er wird von den gesellschaftlichen Verhältnissen erzeugt und reproduziert, um damit die Ausgrenzung bestimmter Gruppen zu rechtfertigen und so die Arbeiter_innenklasse zu spalten. Dass sich Vorurteile halten, die den unterschiedlichen Geschlechtern bestimmte Eigenschaften zuschreiben, ist gewollt. Diese Ideen spiegeln unsere ungleiche Gesellschaft wider, sind aber nicht die Ursache dafür. Das meinte Karl Marx mit dem häufig zitierten Satz: „Die herrschenden Ideen einer Zeit sind stets die Ideen der Herrschenden.“

Frauen werden als einfühlsamer und emotionaler als Männer dargestellt. Es wird ihnen nachgesagt, sie hätten einen natürlichen Mutterinstinkt“, und deshalb wäre es auch bloß logisch, dass die höchste Erfüllung von Frauen in der Kindererziehung bestehe. Männer hingegen seien stärker, ihre Handlungen immer rational und konkurrenzbetont. Das entspringt aber keineswegs einer Natur des Menschen, sondern daraus, wie wir sozialisiert, also erzogen und gesellschaftlich geprägt werden. In Werbungen, Filmen usw. wird uns das Bild der perfekten Frau vermittelt, die neben Shoppen gehen, die Kinder zur Schule bringen und kochen, stets auf ihre Schönheit bedacht ist, um „den Männern zu gefallen“.

Im Gegensatz dazu ist der Mann unabhängig, berufstätig, geht in Bars und ist immer bereit für ein Abenteuer. Ebenso sieht es bei Spielzeug oder Kleidung aus – Mädchen üben mit Puppen die Mutterrolle und Jungs werden Autos in die Hand gedrückt; für Mädchen alles rosa, für Jungen blau. Hier lässt sich leicht zeigen, wie manipuliert diese für uns selbstverständlich erscheinende Zuschreibung ist. In einer Zeitschrift für Mütter aus dem Jahr 1918 heißt es: „Die allgemein anerkannte Regel lautet: Rosa für den Jungen und Blau für das Mädchen. Denn Rosa ist eine entschlossenere und stärkere Farbe und passt deshalb besser zu Jungen, während Blau als eher zarte und anmutige Farbe Mädchen besser zu Gesicht steht.“ Heute sind die Farbzuweisungen genau umgekehrt.

Erziehung, Einkaufen, Beruf, Sexobjekt: Die Gesellschaft verlangt von der perfekten Frau, dass sie alles kann.

Frauenfrage ist soziale Frage

Diese Vorurteile sind nicht nur abstrakte Ideen, sondern haben tatsächliche Auswirkungen auf unser Leben. Die Herrschenden sind daran interessiert, den Status quo beizubehalten. Und dazu gehört auch das Aufrechterhalten der „traditionellen“ Geschlechterrollen, was umgekehrt wieder die herrschende Ordnung stabilisiert. Marx schreibt: „Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.“ Die materiellen Verhältnisse, in denen wir leben, beeinflussen also unser Denken. Deshalb kommt es, wenn wir Frauenunterdrückung von der Wurzel weg bekämpfen wollen, darauf an, die materiellen Bedingungen grundlegend zu ändern. Wesentlich sind hier die sozialen Voraussetzungen; ob 12-Stunden-Tag, Kürzung der Familienbeihilfe oder Anheben des Pensionsalters: all die neoliberalen Maßnahmen des Sozialabbaus betreffen vor allem Frauen.

Frauen werden immer noch als die Verantwortlichen für Haushalt und Kinderbetreuung gesehen. Das ist zum einen ideologisch begründet, zum anderen zwingen uns die sozialen Verhältnisse diese Einteilung auf. Immer noch verdienen Frauen viel weniger als Männer, da ergibt es natürlich mehr Sinn, wenn der Besserverdienende das Geld nach Hause bringt. Laut einer Analyse der Statistik Austria liegt der Unterschied zwischen den mittleren Bruttojahreseinkommen von Frauen und Männern in Vollzeitbeschäftigung bei 16%. Rechnet man auch die Teilzeitbeschäftigten ein, verdienen Frauen um 38% weniger. 48% der beschäftigten Frauen arbeiten in Teilzeit, 37,5% gaben an, dass sie aufgrund ihrer Betreuungspflicht für Kinder oder pflegebedürftige Verwandte nicht Vollzeit arbeiten können. Während nur 6% der Väter mit Kindern unter 15 Jahren in Teilzeit arbeiten, sind es bei den Müttern 49%.

Ein weiteres Problem stellt die Kinderbetreuung dar. Die ganztägige Betreuung in einem staatlichen Kindergarten kostet etwa in Wien zwischen 200 und 250 Euro (variiert je nach Bundesland). Allerdings sind die wenigsten Betreuungsstätten mehr als acht Stunden am Tag geöffnet, österreichweit sind es nur 30 Prozent. Da so – vor allem auf dem Land – keine ausreichende Kinderbetreuung gegeben ist, muss ein Elternteil diese Aufgabe übernehmen. Auf den künftigen 12-Stunden-Arbeitstag wären derzeit nur 965 der insgesamt 9.297 Kindergärten, Krippen und Horte in ganz Österreich vorbereitet.

Auch die Versorgung pflegebedürftiger Erwachsener übernehmen meist Frauen. Aufgrund zu geringer Pensionen können sich viele eine Betreuung in einem qualifizierten Heim nicht leisten. Kürzungen im Gesundheits- und Sozialbereich, wie etwa die Zerschlagung der AUVA, machen die Pflege kranker Menschen noch stärker zur Privatangelegenheit – und so zur Aufgabe der Hausfrauen.

Frauenkampf ist sozialer Kampf

Um Frauen von diesem Zwang, die Arbeit des Staates zu übernehmen, zu befreien, müssen die sozialen Verhältnisse geändert werden. So könnte beispielsweise durch eine ganztägige und kostenlose Kinderbetreuung – auch für Kleinkinder vor dem Kindergartenalter – gewährleistet werden, dass Frauen nicht ihren beruflichen Werdegang unterbrechen müssen.

Die Ausbildung für Betreuer_innen und Pädagog_innen muss kostenlos werden und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu zählt eine bessere Bezahlung und Entlastung, also die Einstellung von mehr Menschen für kleinere Gruppen von Kindern. Und wir müssen durchsetzen, dass die Zeit der Karenz für die Pension angerechnet wird. Außerdem müssen wir uns für höhere Pensionen einsetzen, damit auch ältere Menschen würdevoll leben können, ohne auf die Hilfe der Familien angewiesen zu sein. Auch eine kostenlose Gesundheitsversorgung, mehr Krankenhäuser und Seniorenheime, mehr und besser bezahlte Pfleger_innen müssen gewährleistet sein.

18,1% der österreichischen Bevölkerung sind armutsgefährdet, mehrheitlich alleinerziehende Frauen. Zwangsweise geben sie die Armut weiter, da beispielsweise der Zugang zu Bildung erheblich an finanzielle Mittel gebunden ist. Geringe Bildung führt wiederum zu niedrigeren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb muss der Kampf um Frauenbefreiung als sozialer Kampf verstanden werden.

Doppelte Unterdrückung

Neben den sozialen Kämpfen müssen wir selbstverständlich gegen jede Form von Sexismus aufstehen. Denn trotz Fortschritten gehört Sexismus nach wie vor zum Alltag. Frauen werden zu Sexobjekten stilisiert und so nur auf ihren Körper reduziert – dagegen müssen wir kämpfen, aber immer mit dem Bewusstsein, dass die Wurzeln für Frauenunterdrückung in den Herrschaftsverhältnissen liegen. Der Kampf um Frauenbefreiung muss antikapitalistisch sein, um Sexismus endgültig zu beseitigen, und deshalb von Grund auf eine andere Gesellschaft anstreben, in der jede und jeder selbstbestimmt leben und auch seine Sexualität frei ausleben kann.

Frauenunterdrückung betrifft die gesamte Bevölkerung, kein vernünftiger Mann wird sich darüber freuen, dass seine Frau weniger verdient. Dennoch kann nicht behauptet werden, dass alle Frauen gleichermaßen unterdrückt sind. Die Frauen der herrschenden Klasse können sich Haushaltshilfen und Kindermädchen leisten. Frauen der arbeitenden Klasse haben dazu aber nicht die Möglichkeit. Ihre Unterdrückung zeigt sich mehrfach: sie erledigen die Reproduktionsarbeit, sie werden gleichzeitig im Produktionsprozess ausgebeutet und sie erleiden sexistische Diskriminierung.

Strike 4 Repeal am internationalen Frauenkampftag: Männer und Fauen streikten für die Abschaffung des achten Verfassungszusatzes, der bislang Abtreibungen verboten hat. Am 26. Mai 2018 wurde der Zusatz schließlich mit überwältigender Mehrheit in einem Referendung abgeschafft. Foto: ©Strike 4 Repeal

 

Produktion und Reproduktion

Die Produktion im Kapitalismus basiert auf der Ausbeutung von Arbeiter_innen. Dazu gehört auch die Reproduktion, also die ständige Erneuerung und Erhaltung der Ware Arbeitskraft durch Geburten, Erziehung, Pflege und Versorgung. Diese Arbeit in die Familie zu verlagern, ist für die Herrschenden einerseits billig, andererseits erhält es auch die traditionelle Rollenverteilung aufrecht, da die Frau „an den Herd“ gebunden ist. Die Kleinfamilie ist für die Herrschenden auch insofern eine wichtige Institution, da der Arbeiter Verantwortung für sie trägt und deshalb seiner Arbeit zuverlässig nachgehen muss. Außerdem ist die Familie ein Rückzugsort innerhalb der kalten, rationalen Arbeitswelt. Ursprünglich stammt das Wort „Familie“ vom lateinischen „familia“, was „Haussklaven“ bedeutet.

Friedrich Engels beschäftigt sich in Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats mit Gesellschaften, von denen er annahm, dass sie von unserer „modernen Welt“ unberührt waren, und stellte fest, dass die Unterdrückung der Frau mit der Entstehung der im Titel genannten Institutionen verbunden ist. Zwar irrte sich Engels in einigen Punkten seiner Analyse dieser „urkommunistischen“ Verhältnisse, seine Grundannahmen sind jedoch wegweisend. Neuere archäologische Erkenntnisse beweisen, dass es urkommunistische Lebensformen gab. Ausgrabungen aus Anatolien zeigen etwa, dass Menschen dort nach einer Revolution über tausende Jahre in völliger Gleichberechtigung lebten – es gab keine herrschende Klasse und keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Eine soziale Revolution kann die überholten Strukturen der Kleinfamilie aufbrechen und somit auch die doppelte Ausbeutung der Frau beenden. So geschah es in der Russischen Revolution, in der Frauen eine führende Rolle spielten. Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb: „Die Revolution machte einen heroischen Versuch, den sogenannten ‚Familienherd‘ zu zerstören, das heißt jene archaische, muffige und starre Einrichtung, in der die Frau der werktätigen Klassen von der Kindheit bis zum Tode wahre Zwangsarbeit leisten muss.“

Wir streiken, um alles zu verändern“: Am 8. März 2018 dem Weltfrauentag, legten Frauen den spanischen Staat lahm. Foto: ©Clàudia Prat (Twitter)

 

Frauenfrage ist Klassenfrage

Anders als viele feministische Bewegungen, dürfen wir nicht glauben, Frauenbefreiung wäre nur eine Sache der Frauen gegen die Männer. Die Ansätze eines „weißen Mittelstandsfeminismus“ können Sexismus nicht erfolgreich beenden, denn nicht das Geschlecht ist bestimmend, sondern die Klasse. Die britische Marxistin Judith Orr schreibt: „Wenn wir uns nur als Frauen organisieren, verzichten wir auf die Solidarität und Stärke unserer gesamten Klasse.“

Die Unterdrückung von Frauen bringt für niemanden Vorteile – außer für die herrschende Klasse. Sie profitiert davon, weil Sexismus die Arbeiter_innenklasse spaltet. All die bisherigen Fortschritte, wie z.B. das Frauenwahlrecht, wurden von Arbeiter_innen erkämpft. Wir müssen diese Freiheiten verteidigen, dürfen hier aber nicht stehen bleiben. Wirkliche Frauenbefreiung ist erst möglich, wenn wir das System, das Unterdrückung hervorbringt, überwinden und damit Sexismus die Basis entziehen. Oder, wie es die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai ausdrückt: „Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus!“

Palästinenserinnen schießen mit Steinschleudern gegen die Besatzungsarmee in Bethlehem. Der Kampf der Frauenbefreiung kann nur dann erfolgreich sein, wenn sich Frauen in anderen sozialen Bewegungen ins Zentrum stellen. Foto: Twitter