„Gelebt, erlebt, überlebt“ von Gertrude Pressburger und Marlene Groihofer

Montag, 26. Februar, im Thalia bei Landstraße, Wien-Mitte: Die Buchhandlung geht fast über vor Menschen, zahlreiche Leute strömen zur Buchpräsentation von Gertrude Pressburger, eine Holocaust-Überlebende, die mit Hilfe der Journalistin Marlene Groihofer ihre Biographie niedergeschrieben hat. Bekannt wurde sie als „Frau Gertrude“ im Präsidentschaftswahlkampf, als sie in einem Video vor Norbert Hofer und der FPÖ warnte.
28. Februar 2018 |

Als „Frau Gertrude“ wurde Gertrude Pressburger während des Bundespräsidentenwahlkampfs österreichweit bekannt. Die Holocaust-Überlebende betonte in einer Videobotschaft ihre Sorge über die sich immer mehr etablierende rechte Rhetorik in der Politik. Mit Hilfe der Journalistin Marlene Groihofer veröffentlichte Pressburger nun ihre Biografie.

 

1927 in Wien geboren, erlebt  Gertrude als Sechsjährige den österreichischen Bürgerkrieg. Sie ist Zehn, als Hitler einmarschiert. Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung, Flucht – und schließlich Ausschwitz. In dieser Mordmaschinerie verliert Gertrude ihre ganze Familie: die Eltern und die beiden jüngeren Brüder. „Siehst du den Rauch dort drüben?“, lautet die Erklärung. Selten wird der Alltag im KZ so eindringlich geschildert, jede Kleinigkeit sollte den Häftlingen ein weiteres Stück ihrer Menschlichkeit, ihres Mensch-Seins rauben. Und über allem schwebt wie Rauchwolken die ständige Bedrohung der Gaskammern.

Der Mythos der Entnazifizierung

Zahlreiche Menschen haben sich den Bericht der beeindruckenden Zeitzeugin angehört. © Christian Volek

Doch die Brandmarkung endet nicht mit der Befreiung. Gertrude wird nach Schweden gebracht. Von dort kehrt sie 1947 zurück nach Wien, es ist eine Rückkehr ins „Feindesland“. Ausgrenzung und Rassismus gehören nach wie vor zu ihrem Alltag. Der Mythos der Entnazifizierung? Bleibt ein Mythos: „Jüdische Heimkehrer wie ich sind ungern gesehen. Widerwillig händigen mir ehemalige Nazis meine Papiere aus.“ Ihr wird sogar eine eigene Wohnung verweigert, da sie vor dem Krieg – als Elfjährige – keine besessen hatte.

Die Auseinandersetzung mit den Gräueltaten der Nazis gestaltet sich schwierig. „Ihr Leben lang erfährt die Nazi-Verwandtschaft meines Mannes kein Sterbenswörtchen über das Schicksal meiner Familie.“ Die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit und die nahtlose Eingliederung „ehemaliger“ Nazis ins öffentliche Leben halten das Misstrauen in Gertrude wach. Immer wieder muss sie stumm fragen: „Wer bist du? Was warst du im Krieg?“ Geendet hat das nie. Verdrängt, vertuscht, vergessen.

Widerstand leisten

So konnten Vertreter des Dritten Lagers mitsamt ihrer unveränderten Gesinnung Posten besetzen. Kein Wunder, dass sich „Frau Gertrude“ genau jetzt zu Wort meldet. Skandale um die Nazi-Rhetorik der FPÖ, Witze über den Holocaust, Burschenschafter in den höchsten Ämtern – das alles erinnert sie an die Anfänge der NS-Diktatur. „Politiker schüren Ängste und Hass vor dem Fremden und missbrauchen Religion zum Stimmenfang.“, sagt sie. Genau wie damals.

„Gutmenschen“

„Gutmenschen“

Gertrude ist eine Kämpferin, nie hat sie ihren Mut verloren. „Halt hoch den Kopf und werde niemandes Knecht.“ Diesen Satz ihres Vaters macht sie sich zum Lebensmotto. Ihre offene Erzählung macht zutiefst betroffen, beim Zuklappen des Buches bleibt vor allem Eines: Nie wieder!