Geohrfeigt und mit Bierdosen beworfen: Muslimische Kinder im Visier

Für seine Anti-Islam-Hetze lässt Des-Integrationsminister Sebastian Kurz „wissenschaftliche“ Studien fälschen, mit katastrophalen Folgen für muslimische Kinder und Jugendliche. Petra Klier ist Obfrau von Isma – Verein zur Erhaltung privater Schulen, der neben einer islamischen Gesamtschule auch einen Kindergarten und Hort in Wien-Meidling betreibt. Im Interview erzählt sie von unfassbaren rassistischen Angriffen auf muslimische Kinder, Jugendliche und Pädagog_innen.
16. Juli 2017 |

Neue Linkswende: Ihr seid direkt von der der „Vorstudie“ von Ednan Aslan im Auftrag von Sebastian Kurz betroffen gewesen?

Petra Klier: Ja, wir wurden in der „Studie“ sogar erwähnt, mit sehr an den Haaren herbeigezogenen Argumenten! Egal wie haarsträubend das Ergebnis, wir spüren die Folgen.

Wenn zum Beispiel jemand in Karenz geht, brauchen wir Ersatz. Nicht-muslimische Elementarpädagog_innen sind jetzt für uns nicht mehr zu haben. Es gibt überhaupt einen Pädagog_innen-Mangel, aber viele haben jetzt auch Angst in „islamischen“ Kindergärten zu arbeiten. Bewerberinnen sind am Telefon im Gespräch mit mir offen, schauen dann aber auf die Homepage und sagen ab. Ähnlich ist es, wenn wir versuchen Kooperationen mit Seniorenheimen aufzubauen. Dank der erzeugten Stimmung halten alle Abstand zu uns. Wir schotten uns nicht ab, wir werden abgestempelt und isoliert.

Jetzt ist der Betrug an der Öffentlichkeit durch Manipulation bekannt geworden. Hat das einen Effekt auf euch?

Wir hatten das durch den Umgang mit unserer Institution schon bei der Studienpräsentation (im Dezember 2015, Anm.) vermutet. Aber es ist traurig. Wir sollten der Wissenschaft und den Medien trauen können. Nach dieser Erfahrung weiß man nicht mehr, wem man trauen kann.

Islamfeindlichkeit wird von oben politisch geschürt und von vielen Medien verbreitet. Merkt ihr das auch im Bildungsalltag in den Gruppen oder Klassen?

Oh ja, es werden Lehrkräfte und Kindergartenpädagog_innen teilweise rassistisch angegriffen. Auf der Meidlinger Hauptstraße ist zum Beispiel einmal eine Passantin mitten durch eine Schulklasse durchgegangen und hat ein Mädchen geohrfeigt. Das Mädchen war geschockt, wurde im Spital behandelt. Die Polizei hat sich gegen die Anzeige der Pädagoginnen verweigert. Die hartnäckige Lehrerin und eine Begleitlehrerin brauchten 20 Minuten, um die Anzeige durchzusetzen.

Es sind auch schon Bierdosen auf uns geworfen worden. Ein Sportlehrer wurde am Hals aus der U-Bahn gezogen und sogar Kinder wurden dabei rausgeschubst.

Grauenhaft! Ist der Rassismus gegen muslimische Menschen also stärker geworden?

Als ich vor neun Jahren von München nach Wien gezogen bin, habe ich Wien als viel offener für eine Frau mit Kopftuch erlebt. Inzwischen ist es umgekehrt, aber nicht weil München besser geworden ist. Österreich hat sich radikal verschlechtert.

Dr. Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung Erlangen hat aufgezeigt, wie negative Mediendarstellungen des Islams seit über 15 Jahren immer mit dem Bild einer Frau mit Kopftuch unterlegt wird. Das konditioniert einfach. Dem kann sich niemand leicht entziehen, auch Muslim_innen nicht.

Ihr habt selbst auch schlechte Medienerfahrungen gemacht?

Ja, wir hatten vor zwei Jahren fünf Fernsehteams im Haus und haben Interviews gegeben. Die Kamerateams waren von unserer Schule und vom Kindergarten begeistert. Aber es wurde nichts gesendet, weil wir nicht ins „aktuelle Islambild“  passen würden. Zwei Teams haben uns sogar offen rückgemeldet, dass wir „zu gut“ gewesen wären.

Erst viel später wurde ein Beitrag gesendet, wo unser Schuleingang zu sehen war. Eingeblendet war die Frage, ob hier Extremisten ausgebildet werden! Wir tun hier das Gegenteil. Inzwischen will kaum noch jemand von den Kolleg_innen Interviews geben. Fast alle kennen jemanden, der schlechte Erfahrungen mit Medien gemacht hat.

Glaubst du Minister Sebastian Kurz und andere brauchen Muslime als Sündenböcke?

Das kann ich nicht sagen. Aber dass wir im Bildungssystem Defizite haben ist offensichtlich. Jeder vierte jugendliche Österreicher kann nicht sinnerfassend lesen. Menschen, die einfache Texte nicht verstehen, sind weder demokratiefähig noch sonst groß entscheidungsfähig in einer immer komplexer werdenden Welt. Private Bildungseinrichtungen sind wie öffentliche gefragt, kosten dem Staat aber weniger Geld.

Wir leisten unseren finanziellen Beitrag – Eltern und Pädagog_innen von privaten Trägern –, nicht nur mit unseren Steuergeldern. Da würde ich mir mehr Fairness wünschen. Ein Bildungsplatz sollte gleich viel wert sein, egal ob öffentlich oder privat. Der Staat müsste gleichzeitig einheitliche Qualitätsstandard für alle festlegen. Dann haben Eltern auch echte Wahlmöglichkeiten für ihr Kind, egal ob sie jüdische oder muslimische Träger, Waldorf- oder Montessori-Einrichtungen möchten.

„Jedes Kind ist gleich viel Wert“ und ein österreichweites einheitliches Bundesrahmengesetz werden auch von Betriebsrätinnen der Gewerkschaft GPA-djp gefordert. Die Politik ignoriert aber Bildungsexpert_innen trotz klarem Reformbedarf und steigendem Förderbedarf.

Ja, wir haben teilweise Kinder, die noch nie in einem Wald waren oder einfache Gegenstände und Gefühle nicht artikulieren können. Wir merken, die Kinder brauchen immer mehr Zuwendung, einige haben schon ganz jung einen „Rucksack“ umgehängt. Wir haben auch Kinder mit Fluchterfahrungen, die Schreckliches erlebt haben und einen geschützten Raum brauchen. Die Gruppen und Klassen sind ohnehin überall zu groß für individuelle Betreuung und echte Bildungsqualität.

Wir achten pädagogisch auch gezielt auf Eigenkompetenz, Selbstwahrnehmung und Kreativität. Begreifen kommt von greifen, die Kinder lernen mit allen Sinnen. Sie brauchen Freude am Lernen, wir wollen das den Kindern bieten. Jedes Kind ist gleich wertvoll. Wir brauchen im Bildungssystem echte flächendeckende Inklusion und dafür kleinere Gruppen und zusätzliche pädagogische Fachkräfte. Auch in der Pädagog_innen-Ausbildung bräuchte es deshalb Veränderungen.

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Wir benötigen starke, bestmöglich ausgebildete Persönlichkeiten und zusätzliches Stützpersonal für die Kinder. Das kostet Geld, aber wer nicht ins Bildungssystem investiert, zahlt später mehr in anderen Bereichen. Kinder sind jeden Cent wert, egal wo sie betreut werden.

 

Das Interview führte Karin Wilflingseder.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.