Gescheiterter Klimagipfel: Wir müssen die alte Macht brechen
Eigentlich sollten auf internationalen Klimakonferenzen Förderverbote für Öl, Kohle und Gas diskutiert werden. Was tatsächlich passiert? Der Spiegel charakterisierte wunderbar die inzwischen 25. UN-Klimakonferenz 2019 (COP25): „In Madrid feilschen die Staaten darum, sich mit Geld vom Klimaschutz freizukaufen.“ Man diskutierte elendslange gefinkelte Marktmechanismen, den sogenannten CO2-Zertifikathandel, die den Konzernen und Staaten durch Schlupflöcher die weitere Förderung fossiler Brennstoffe ermöglichen sollen. Und es ging – selbstverständlich ergebnislos – um Ausgleichszahlungen für ärmere Länder, die den Klimawandel nicht verursacht haben.
Noch im Vorfeld haben führende Wissenschafter_innen des Weltklimarats (IPCC) eingemahnt, dass die Bemühungen der Vertragspartner mindestens verfünffacht werden müssen. Die Staats- und Regierungschefs waren aber nicht bloß unfähig. Sie waren nicht willens, die vier Jahre zuvor am Gipfel in Paris versprochenen Klimaziele in konkrete politische Maßnahmen umzusetzen. Aktivist_innen, die eben diese Verpflichtungen einforderten, wurden von Polizisten des Saales verwiesen. Am Ende: ein vages Bekenntnis zum Pariser Abkommen. Ein Desaster.
Aber ein Desaster, das Klarheit schafft. Das völlige Scheitern der Konferenz lässt keinen Zweifel mehr übrig: Die bestehenden Machtverhältnisse müssen global bekämpft und gebrochen werden. Entweder wir zerstören sie, oder sie zerstören uns. Die Erderwärmung auf 1,5-Grad-Ziel zu beschränken, kann nur gelingen, wenn wir den Mächtigen das Steuer aus der Hand reißen. Mit anderen Worten, die fossilen Konzerne müssen enteignet und unter demokratische Kontrolle gebracht, und die sie verteidigende Staatsmacht konfrontiert und herausgefordert werden.
Nicht auf den Leim gehen
Unsere Gegner haben viele Gesichter. Die alte Macht bewegt sich zwischen offenem „Scheiß auf den Klimawandel“ und „Wir stehen eh auf eurer Seite“.
Befeuert wird die Klimabewegung durch die offene Klimawandelleugnung und die Verachtung, mit der manche Regierungschefs ihren Bevölkerungen gegenübertreten. Der australische Premierminister Scott Morrison, ein treuer Verfechter der Kohleindustrie, war in Madrid einer der ganz großen Blockierer. Gespräche über notwendige Schritte gegen die Klimakrise mit Rettungsorganisationen, die seit Wochen gegen die verheerenden Buschbrände kämpfen, schlug er einfach aus. Nachdem sich nach Endes der Konferenz die Brände zu einem regelrechten Inferno ausweiteten, gönnte sich Morrison einen Urlaub nach Hawaii und sandte den Menschen, die versuchen in den Städten Schutz vor den Flammen zu finden, Partyfotos über Instagram.
Doch am gefährlichsten sind jene Teile der alten Macht, die so tun, als würden sie gegen den Klimawandel vorgehen, aber im Grunde alles beim Alten lassen. Greta Thunberg hat den Hinterhalt, ganz offenbar in Bezug auf die Präsentation des „Green Deal“ der neuen EU-Kommission, völlig richtig erkannt. In Madrid sagte sie: „Ich glaube immer noch, dass die größte Gefahr nicht Untätigkeit ist. Die echte Gefahr ist, wenn Politiker und Konzernchefs es so wirken lassen, als würden echte Maßnahmen gesetzt werden, während in Wahrheit aber fast gar nichts getan wird, außer geschickter Buchhaltung und kreativer PR.“
Furcht vor der Gegenmacht
Jenen Menschen, die die Auswirkungen dieser globalen Macht schon heute tagtäglich am eigenen Leib erleben, braucht man vor diesen Manövern der Mächtigen nicht mehr warnen. Sie haben die bestehenden Machtverhältnisse längst durchschaut. Indigene Gruppen und NGOs probten auf der Klimakonferenz kurzerhand den Aufstand, machten auf die dringliche Lage aufmerksam. Zwar wurden sie von der Gipfelleitung mithilfe von Securities und der spanischen Polizei hinausgeworfen – aber die Reaktion war viel mächtiger: zehntausende beteiligten sich weltweit an einem spontanen Streiks, auch in Wien (wir haben berichtet).
Überall wird die alte Macht herausgefordert. Im Libanon musste Premier Hariri der Macht der Straße weichen. In Frankreich wird es für Präsident Macron immer enger. Inmitten die Gipfelgespräche platzte die Ankündigung des irakischen Premierministers Mahdi, nach wochenlangen Protesten zurückzutreten. Gestürzt von einem Aufstand, der übrigens mit vom Klimawandel angefacht wurde: Infolge der klimabedingten Austrocknung von Euphrat und Tigris dringt salziges Meerwasser ins Landesinnere vor – mit katastrophalen Auswirkungen auf den Fischerei, Fischzucht und die Landwirtschaft.
Die globale Rebellion erfasst immer mehr Länder – und natürlich fürchten die derzeitigen Machthaber, dass sie die nächsten sein könnten.
Von der Ohnmacht in die Offensive
Die unglaubliche Stärke der weltweiten Klimabewegung ist, dass sie die politische Ohnmacht, das Gefühl, nicht bewirken zu können, überwindet. Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer erinnerte in einem Beitrag zur COP25 an die Bewegung der letzten Monate, die bereit ist, der „Klimakrise den Kampf anzusagen“. Wir alle konnten miterleben, so Neubauer, wie „unwahrscheinlich groß die Macht von Menschen sein kann, die zusammenkommen, um die Verhältnisse zu ändern.“ Klimagerechtigkeit ist das neue Schlagwort.
Diese Kraft strahlt weit über das Klimathema hinaus aus, wie die Formierung des Jugendrates in Österreich wunderbar ausdrückt. Der Jugendrat will sich grundsätzlich mit demokratischer Teilhabe, Antirassismus und sozialen Machtgefügen auseinandersetzen. Eine der Gründerinnen, die Fridays for Future– und Linkswende jetzt-Aktivistin Lena Schilling, erklärte gegenüber dem Kurier ihre Motivation: „Die Jugend hat überhaupt keine demokratische Macht.“ Das will der Jugendrat ändern. Sehen wir demnächst Besetzungen von Schulen, nicht nur wie vor kurzem an der Technischen Universität Wien? Wir hoffen es!
Revolutionäre Sozialist_innen müssen diese Entwicklungen verstärken, Kämpfe zusammenführen und sie können eine Expertise in die Bewegung einbringen: Dass diese globale Macht nicht auf moralischen Verfehlungen einzelner beruht, sondern auf einem Konkurrenzsystem, dessen grundlegende Dynamik die Menschen und die Umwelt immer der Profitmaximierung unterordnet. Eine Kenntnis darüber, wie das globale Machtsystem, der fossile Kapitalismus, funktioniert, und wie er mit der geballten Macht der Lohnabhängigen durch Streiks gebrochen werden kann.