Haben wir das 1.5C Ziel verpasst?
Was sagt die Wissenschaft dazu?
2024 war das erste Jahr der Geschichte, das 1,5 °C wärmer als das vorindustrielle Niveau war (Durchschnitt der Jahre 1850–1900). Das ist sehr bedrohlich, bedeutet aber noch nicht, dass wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlt haben. Jahresmitteltemperaturen schwanken, ein Jahr kann besonders warm sein, ein anderes etwas kühler. Um die langfristigen Trends zu erkennen, die durch die Treibhausgasemissionen verursacht werden, sind langjährige Mittelwerte entscheidend. Um den Zustand des Klimas zu bestimmen, wird der 30-jährige Mittelwert herangezogen. Dieser liegt noch unter 1,5 °C. Allerdings fehlt nicht mehr viel, um diesen Wert zu überschreiten. Eine im Jahr 2023 in Nature Climate Science erschienene Studie schätzt das verbleibende Kohlenstoffbudget, um eine 50-prozentige Chance zu haben, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, auf 250 Gt CO₂. Aktuell werden jährlich 40 Gt CO₂ emittiert. Bei einem „Business as usual” wäre das Budget in sechs Jahren aufgebraucht. Die Möglichkeiten, CO₂ langfristig aus der Atmosphäre zu binden, sind sehr begrenzt. Vor allem gilt: Die Emissionen müssen rapide auf null sinken.
Was bedeuten 1,5 °C?
Bei einer dauerhaften Erwärmung um mehr als 1,5 °C könnten die Eisschilde der Westantarktis und Grönlands unwiederbringlich schmelzen, was einen langfristigen Anstieg des Meeresspiegels um 10 Meter zur Folge hätte. Inselstaaten und Megastädte würden im Meer versinken. Die tropischen Korallenriffe, die wichtigsten Lebensräume der Ozeane, würden aussterben. Dürren, Hochwässer, Waldbrände und Hitzewellen würden weltweit noch mehr Menschen töten, in die Obdachlosigkeit treiben und die Nahrungs- und Wasserversorgung gefährden. Besonders die ärmere Bevölkerung wäre durch die schlechtere Gesundheitsversorgung, die schlechteren Arbeitsbedingungen und den schlechteren Zugang zu klimatisierten Räumen stärker von Hitzewellen betroffen. Die globale Erwärmung ist keine abstrakte Krise, sondern bereits jetzt tödlich. Wenn Politik und Wirtschaft jegliche weitere Erwärmung zulassen, signalisieren sie nichts anderes als: „Wir scheißen auf euch.“
Wir könnten die Erwärmung auf 1,5 °C beschränken.
Stellen wir uns vor, die Arbeitenden würden alles stehen und liegen lassen, sich zusammensetzen und solidarisch sowie demokratisch darüber entscheiden, wie sie ihre Arbeitskraft, Technologie und Forschung einsetzen wollen. Der vollständige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wäre eine Frage von wenigen Jahren. Wir könnten alle Menschen koordiniert mit allem versorgen, was für ein gutes, modernes Leben benötigt wird. Es würden keine Ressourcen für Kriege, Werbung oder Wegwerfprodukte verschwendet werden. Wir würden Waren nicht für die Profite der Milliardäre mehrfach um die Welt schiffen, sondern ressourcenschonend produzieren. Wir würden Dinge reparieren und recyceln – nicht nur, wenn es ausnahmsweise profitabel ist. Anstatt die Erde mit teuren Autos und Asphalt zu verschandeln, wäre eine ressourcenschonendere und gerechtere öffentliche Mobilität möglich. Sonnenlicht, Wind, Gezeiten und Erdwärme stellen ausreichend Energie bereit. Die Umstellung auf fluktuierende, nachhaltige Energiequellen ist zwar eine Herausforderung, aber technologisch gut möglich. Durch großflächige Renaturierung von Mooren und Feuchtgebieten sowie durch großflächige Aufforstung ließe sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre wieder reduzieren, sodass selbst bei einem Overshoot der langfristige Temperaturanstieg auf unter 1,5 °C begrenzt werden könnte. Die Veränderungen, die die bisherige Erwärmung zwangsläufig für das Erdsystem mit sich bringt, müssten nicht zu humanitären Katastrophen führen. Die Umsiedlung von Menschen aus dauerhaft unbewohnbaren Gebieten müsste nicht an Grenzregimen scheitern.
Auch in einem solchen Szenario würde gestritten und debattiert werden, es würden Fehler gemacht, die später korrigiert werden müssten. Der große Unterschied zu heute wäre jedoch, dass es nicht um die Renditen der Superreichen ginge, sondern dass wir unsere Bedürfnisse wirklich in den Vordergrund stellen könnten.
Politik der Milliardäre
Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist physikalisch und technologisch machbar, aber nicht wirtschaftlich. Betrachtet man die Gesetze des Kapitalismus jedoch als unumstößliche physikalische Gesetze – und genau das tun Regierungen –, dann besiegelt man nicht nur 1,5 °C, sondern auch 2, 3, 4 und mehr Grad inklusive des Zusammenbruchs von fast allen Ökosystemen, der Vernichtung von Lebensgrundlagen für Milliarden Menschen weltweit, Massenarmut, Gewalt, Unterdrückung und Kriege um Land und Ressourcen.
Regierungen behaupten, sie würden im Klimaschutz bremsen, da sie eine weitere Steigerung der Lebenshaltungskosten vermeiden möchten. Die Preise müssten aber nur steigen, wenn sich die Umstellung auf erneuerbare Energien für die Energiekonzerne lohnen muss. Die Politik hat jedoch keine Skrupel, die Lebensstandards der Bevölkerung durch stetige Sozialkürzungen zu senken. Es geht ihr um die Profite!
Um dies zu verdecken, versucht man, die Interessen der Arbeitenden als abgeleitete Interessen der Wirtschaft darzustellen – nach dem Motto: Geht es der Wirtschaft gut, hast du einen Arbeitsplatz und möglicherweise sogar einen guten Lohn. Also ist die oberste Priorität eine florierende Wirtschaft – selbst wenn du dafür deine Lebensgrundlage und die deiner Kinder untergräbst und nur einige wenige immer reicher werden.
Damit es der Wirtschaft gut geht, wird weiterhin auf teuren Individualverkehr und fossile Infrastruktur gesetzt. Weil der Kapitalismus in der Krise steckt, wird in Aufrüstung investiert. Wir sollen wieder lernen, uns im Kampf um imperialistische Vorherrschaft an der Front erschießen zu lassen und Bombenangriffe auf Zivilisten sowie Genozide zu akzeptieren. Probleme werden auf Sündenböcke abgewälzt, Staaten werden autoritärer und Rechtsextreme bekommen immer mehr Raum für ihren Kampf gegen jegliche Emanzipation von unten. Im Krisenkapitalismus ist kaum noch Raum für Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit.
Wer auf dieses System setzt, verzögert den Kampf gegen die Klimakrise. Wir müssen die Notbremse ziehen. Die jüngsten Generalstreiks in Italien in Solidarität mit Palästina haben erneut gezeigt, welche Kraft dazu fähig ist: die Arbeiter:innenklasse. Wenn sie als Kraft für sich auftritt, kann sie nicht nur das System lahmlegen, sondern auch dafür sorgen, dass wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Um die politischen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, muss der Kampf gegen Rechts eine zentrale Aufgabe der Klimabewegung sein. Der Kampf gegen den Klimakollaps ist ein politischer Kampf, der keinen Aspekt des Klassenkampfs ignorieren kann. Am aktuellen Verhalten unserer Herrschenden sehen wir, dass wir nur dann noch eine Chance haben, wenn wir den Kapitalismus besiegen.