Historischer Generalstreik in Frankreich: Hat Macrons letzte Stunde geschlagen?

Am Donnerstag, 5. Dezember organisierten die Gewerkschaften in Frankreich einen massiven unbefristeten Generalstreik gegen die Reform des Pensionssystems. Dieser Streik war historisch. Seit 1995 gab es in Frankreich keine derart große soziale Bewegung. Laut Gewerkschaft CGT haben landesweit 1,5 Millionen Menschen demonstriert, sogar das Innenministerium sprach von 800.000 Menschen.
9. Dezember 2019 |

Die Demonstrationen gegen die Pensionsreform am 5. Dezember waren mit 250.000 Menschen laut Gewerkschaft (65.000 laut Polizei) nicht nur in Paris riesig. Auch in kleineren Städten, wo es oft keine starke Bewegung gibt, gingen tausende Menschen auf die Straße.  Die hohe Streikbeteiligung des Personals im öffentlichen Verkehr legte ganz Frankreich lahm. Nur einer von zehn TGV-Schnellzügen und einer von fünf Regionalzügen fuhren. In Paris wurden 11 von 14 U-Bahn-Linien bestreikt.

Der öffentliche Verkehr  war aber nicht der einzige Sektor, der stark mobilisierte. Der Streik war auch in den Schulen massiv. In den Grundschulen beteiligten sich laut Gewerkschaften 70 Prozent der Lehrer_innen (51 Prozent nach offiziellen Angaben). Ein Teil der Beamten und das Krankenhauspersonal streikte. Auch Studierende haben ihren Unmut geäußert und mehrere Universitäten besetzt.

Unterschiedliche Kämpfe liefen an diesem Tag zusammen, insbesondere beteiligten sich Gelbwesten aktiv an den Protesten. Sie besetzten Autobahnmautstellen und verhinderten die Einhebung der Mautgebühren. Immer wieder wurde auf den Protesten „Tous ensemble, tous ensemble!“ gerufen (Alle gemeinsam, alle gemeinsam!).

Pensionskürzungen

Wofür haben alle diese Menschen gestreikt und demonstriert? Zunächst spielt klar die Pensionssystemreform eine Rolle. Diese Reform, die von der Regierung angekündigt wurde und noch in Vorbereitung ist, bedeutet einen Abbau von sozialen Rechten und eine Zunahme der Armut. Die Pensionssondersysteme von manchen Sektoren, wie dem Bahnpersonal, sollen abgeschafft werden, um ein einheitliches System zu schaffen.

Die Regierung behauptet, dass das neue System gerechter wäre. Aber die Reform bedeutet Verschlechterungen für alle Sektoren. Die Reform würde zum Beispiel die Pensionen der Lehrer_innen um 30 Prozent kürzen. Um die Reform zu rechtfertigen, behauptet die Regierung auch, dass angeblich Arbeitnehmer_innen von den Sondersystemen profitieren und „Privilegien“ genießen. Aber die Lehr-, das Bahn- und das Krankenhauspersonal haben keine Privilegien. Sie haben einfach starke Gewerkschaften.

Zorn über steigende Armut

Die Reform wird nicht nur diese Sektoren betreffen, sondern alle Werktätigen. Die Pensionshöhe soll nämlich künftig aus allen Jahren der Berufstätigkeit berechnet werden und nicht mehr aus den besten Jahren. Im Durchschnitt werden die Pensionen erniedrigt. Darüber hinaus soll das Pensionsbudget auf 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt werden, auch wenn die Zahl der Pensionsberechtigten steigt. Das bedeutet, dass die Pensionen automatisch von Jahr zu Jahr gekürzt würden.

Auch das Antrittsalter würde verändert werden, obwohl die Regierung dies leugnet. Zwar wäre es noch möglich, mit 64 Jahren in den Ruhestand zu gehen, aber ohne die volle Höhe. Erst mit 67,5 Jahren bekäme man die volle Pension.

Die Pensionsreform ist jedoch nur einer von vielen Gründen, weshalb die Menschen auf die Straße gehen. Der Ärger richtet sich grundsätzlich gegen die zunehmende Armut und die ungerechte Politik der Regierung von Emmanuel Macron. Die Wut ist schon lange da, wie die Bewegung der Gelbwesten zeigt. Eine 72-jährige Demonstrantin in Marseille erklärte, warum sie gegen ihre „Elendsrente“ demonstriert: „Ich bekomme nur 590 Euro pro Monat, obwohl ich seit meinem 17. Lebensjahr gearbeitet habe.“  

Leben nicht mehr leistbar

Die Studierenden protestierten gleichfalls gegen die steigende Armut. Erst im November zündete sich ein Student selbst an, nachdem er kurz zuvor sein Stipendium verloren hatte. Ines, die in Paris studiert, sagt gegenüber Linkswende jetzt: „Ich bekomme ein Stipendium in der Höhe von 396 Euro pro Monat, das ist ein vergleichsweise hohes Stipendium für Frankreich – die Stipendien betragen maximal 555 Euro. Auch wenn die Studenten mit einem Stipendium normalerweise einen Vorrang für die staatlichen Studentenwohnheime haben, habe ich dieses Jahr keinen Platz bekommen, weil die Nachfrage das nur geringe Angebot übersteigt.“

„Ich habe ein sehr kleines Zimmer auf dem privaten Wohnungsmarkt gefunden, aber dafür muss ich 600 Euro pro Monat bezahlen und bin weit von meiner Universität entfernt. So muss ich neben meinem Studium arbeiten und über all meine Ausgaben genau Buch führen“, erzählt Ines. „Ich überlege ernsthaft, von Paris zurück zu meiner Familie in Limousin zu ziehen, weil ich mir dieses Leben nicht mehr leisten kann. Am Donnerstag habe ich gegen diese unerträgliche Lage demonstriert, die nicht nur mich, sondern auch viele andere Studierende betrifft. Auch weil ich Angst habe, im Ruhestand wieder in Armut zu leben.“

Der Streik am Donnerstag war nur der Anfang eine massiven Protestbewegung, die Präsident Macron richtig gefährlich werden kann. Das Zugpersonal stimmte in Streikversammlungen für weitere Aktionen in den nächsten Tagen. Bereits am Freitag war der öffentliche Verkehr erneut außer Gefecht. Die nächste große Protestaktion ist für Dienstag geplant. Die Gewerkschaften kündigten eine massive Beteiligung an.