„Identitärer“ schießt um sich: Staat fördert rechte Gewalt
Kurz nach der Demonstration gegen den Akademikerball am 3. Februar um 22:20 Uhr schoss der Chef der „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, in der Wiener U-Bahn Station Schottentor mit einer Gaspistole um sich. Angeblich musste er sich gegen Antifaschist_innen verteidigen, behauptete er. Nach den Schüssen wurde die Polizei alarmiert.
Man stelle sich vor, ein Linker oder gar ein Flüchtling hätte an einem öffentlichen Platz einen Gegenstand gezogen, der nur ausgesehen hätte wie eine Pistole. Mehrere Polizisten wären auf ihm gekniet, Handschellen wären ihm angelegt und sofort wäre Untersuchungshaft verhängt worden. Weil er auf der Demonstration gegen den Burschenschafterball vor drei Jahren einen Mistkübel aufgerichtet hatte, wurde der Jeaner Student Josef S. sechs Monate in U-Haft gesteckt.
Sellner durfte hingegen lässig mit Händen in der Jackentasche und Gesicht zu den Beamten stehen und wurde nur zu „zu weiteren Ermittlungen“ auf die Wache mitgenommen und wieder freigelassen. Die Polizei schrieb in einer Aussendung sogar fürsorglich: „Der Mann wurde nicht verletzt.“ Die einzige „Strafe“ für Sellner: gegen ihn wurde ein vorrübergehendes Waffenverbot verhängt.
Sellner ruft zur Bewaffnung gegen „Islamisierung“ auf
Auch wenn er sich jetzt als Unschuldslamm darstellt, für Sellner und die „Identitäre Bewegung“ war Gewalt schon immer ein eingeplantes politisches Mittel. Als im Sommer 2015 vermehrt Flüchtlinge nach Österreich kamen, postete Sellner auf Twitter: „Gottseidank hab ich schon ne Waffe gekauft, bevor der Asylwahn begonnen hat. Dürfte schwer sein jetzt noch was Gutes zu bekommen.“ Auch nach dem Angriff am Schottentor vergingen nur wenige Stunden, bis er über Twitter seine Kameraden erneut zur Bewaffnung aufrief. Er postete ein Bild der Tatwaffe und schrieb darunter: „Frei erhältlich und leider für Patrioten notwendig.“
Sellner rechtfertigte seinen Waffeneinsatz in einer Video-Stellungnahme mit der Verteidigung vor der „Islamisierung Europas“ (ein wiederkehrendes Bild bei den „Identitären“), indem er Medien kritisierte, die ihn attackierten: „Das ist ungefähr so, als würde bei der Türkenbelagerung 1683 in Wien die Presse nachher schreiben: ‚Verteidiger Wiens feuern wild von Stadtmauer um sich‘. Wenn man sich gegen einen gezielten Angriff gezielt wehrt, ist das Notwehr. Man hat ein Recht dazu, ja man hat sogar die Pflicht dazu sich zu verteidigen und ich werde das auch wieder tun.“
Sellner, Breivik und Waffenübungen
Und Sellners Anhänger nehmen seine Aufforderungen zur „Selbstverteidigung“ ernst. Laut jüngster Standard-Recherche organisierten Mitglieder des Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ), die sich im Umfeld der „Identitären“ bewegen, in Kooperation mit einem offiziellen Bundesheer-Verein ausgerechnet in Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, einen Schießbewerb. Abgehalten wurde der Bewerb auf einen polizeilichen Schießplatz, die Teilnehmer durften sogar in einer Kaserne übernachte.
Überhaupt erinnert Sellners Rechtfertigung an den norwegischen Rechtsterrorist Anders Breivik, der 2011 insgesamt 77 Menschen im Namen der „Verteidigung gegen den Islam“ ermordete. Breivik bezog sich – wie Sellner – auf die Türkenbelagerung 1683. Er wählte als Titel für sein 1.515 schweres politisches Manifest „2083“ – 400 Jahre nach dem „Sieg gegen die Türken“ würde die Patrioten in einem Bürgerkrieg erneut den „Dschihad zurückgeschlagen und die marxistische/multikulturalistische Hegemonie in Westeuropa zerschmettern“, so Breivik.
Gewalt hat System
Nicht nur nehmen regelmäßig gewaltbereite Neonazis an Aufmärschen der „Identitären“ teil (etwa die Neonazi-Hooligans „Unsterblich Wien“). Die „Identitären“ trainieren in ihren „Sommerlagern“ Kampfsport und „Selbstverteidigung“ und setzen das gelernte in der Praxis um. Schon häufiger kam es auf Kundgebungen der „Identitären“ zu gewalttätigen Angriffen auf Linke Gegendemonstrant_innen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb haben sie von der Polizei und Justiz nichts zu befürchten:
- Nach einer antifaschistischen Demonstration in Graz wurden linke Kundgebungsteilnehmer_innen von Mitgliedern der „Identitären“ attackiert. Die Angreifer waren mit Schlagstöcken und Quarzhandschuhen bewaffnet, trotzdem wurde das Verfahren eingestellt.
- Nach einer Demonstration der Identitären im Juni 2015 prügelten „Identitäre“ am Praterstern auf Linke mit Holzlatten ein. Ein Antifaschist musste ins Spital eingeliefert werden. Die Polizei ließ sie gewähren.
- Im April 2016 attackierten die „Identitären“ eine Aufführung von Elfriede Jelineks Theaterstück „Die Schutzbefohlenen“ im Audimax der Uni Wien, bei der mehrere Zuschauer_innen (darunter Flüchtlinge) verletzt wurden. Einer schwangeren Frau wurde in den Bauch geschlagen, sie musste ins Krankenhaus gebracht werden. Strache lobte den Angriff auf Facebook als „friedlichen Aktionismus“. Die Täter wurden von der Polizei nicht aufgegriffen. Im folgenden Gerichtsprozess wurden zehn der schätzungsweise 50 Angreifer wegen „Besitzstörung“ verurteilt.
- Kurz darauf stürmten „Identitäre“ in Klagenfurt eine Vorlesung zum Thema „Flucht, Asyl und Migration“ und schlugen dabei dem Rektor in die Magengrube.
Justiz gibt Nazis Freibrief
Wie die Österreichische Justiz tickt, haben wir am EKH-Prozess gesehen. Am 27. Oktober 2013 drangen Neonazis der Gruppe „Unsterblich Wien“ in das linke Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) ein und attackierten eine Versammlung einer kommunistisch-türkischen Gewerkschaftsversammlung.
Die Mitglieder der Gewerkschaftsgruppe KOMintern verteidigten sich erfolgreich, aber die Verteidiger wurden zu härteren Strafen verurteilt, als die Angreifer (gegen neun Unsterblich-Aktivisten wurde ursprünglich ermittelt, sieben von ihnen waren vorbestraft, zwei davon wegen NS-Wiederbetätigung). Die Urteile gegen zwei Gewerkschafter lautete auf schwere Körperverletzung. Gerade einmal zwei von den sieben Angreifern erhielten eine Strafe – und zwar wegen leichter Körperverletzung und „Hausfriedensbruch“.
Die Sonderbehandlung von Neonazis ist ein Indiz dafür, dass der Einfluss von rechtsextremen Burschenschaftern auf Ministerien, Justiz, Polizei und Militär dramatisch zunimmt. Der Staat müsste von diesen Elementen gesäubert werden. Stattdessen verweigert man auf Zuruf von PEGIDA, den „Identitären“ und der FPÖ – und unter Berufung auf ein „Neutralitätsgebot“ – Musliminnen mit Kopftuch den Zutritt in den Staatsdienst.