Interview mit Train of Hope: Flüchtlingshilfe am Hauptbahnhof

Seit Wochen werden hunderte Flüchtlinge von freiwilligen Helfer_innen auf Bahnhöfen in Wien versorgt und betreut. Am Hauptbahnhof hat sich aus dem freiwilligen Engagement eine Gruppe gegründet, die die Erstversorgung für die Reisenden organisiert – „Train of Hope“. Neue Linkswende hat mit der Mitorganisatorin, Martina Barwitzki, gesprochen.
15. Oktober 2015 |

Neue Linkswende: Wie ist Train of Hope entstanden?

Martina Barwitzki: Es begann damit, dass über soziale Netzwerke Nachrichten gepostet wurden, dass erste Flüchtlinge am Hauptbahnhof ankamen und nur am Westbahnhof organisatorische Hilfe vorhanden war. Am Hauptbahnhof gab es keine Erstversorgung, bis erste Helfer_innen kamen, um die Menschen dort mit dem Nötigsten zu versorgen. Wir haben mit ein paar Leuten angefangen, Train of Hope auf Facebook und mit einer Homepage einzurichten, über die wir an die Öffentlichkeit weiterleiten, was wir gerade brauchen.

Die meisten Flüchtlinge sind unterkühlt und dehydriert, also versorgen wir sie mit Decken, Essen und Trinken. Eine Erste-Hilfe-Station wurde eingerichtet, weil viele Flüchtlinge mit Verletzungen hier ankommen, speziell jene aus Ungarn.

Sind noch andere Organisationen bei der Hilfsarbeit beteiligt? Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Ich denke, mittlerweile sind die wichtigen Stellen wie ÖBB und der Stadt Wien zu wichtigen Vertrauenspartnern geworden. Wir alle haben in den letzten zwei Wochen gemerkt, dass wir nur Hand in Hand funktionieren.

Wir alle haben in den letzten zwei Wochen gemerkt, dass wir nur Hand in Hand funktionieren.

Vor Ort sind auch ständig der Samariterbund, die Polizei und die ÖBB. Wir haben direkten Draht zu ÖBB-Mitarbeiter_innen, die uns Bescheid geben, wenn Züge mit Flüchtlingen an Bord ankommen. So können wir Unterkünfte und Verpflegung entsprechend vorbereiten. Die Erstversorgung der Flüchtlinge stand für alle an erster Stelle – und das hat sich bis heute durchgezogen.

Wie seid ihr an die Räumlichkeiten gekommen?

Die Räumlichkeiten werden von der ÖBB zur Verfügung gestellt. Seit knapp einer Woche hat die Erste Bank ihr neues Gebäude in der Nähe vom Hauptbahnhof als neue Schlafstätte zur Verfügung gestellt. Auch Erste Bank-Mitarbeiter_innen übernehmen die komplette Betreuung des Schlafquartiers. Im gesamten Erdgeschoss können wir jeden Abend dort Reisende unterbringen. Es wird dort eine ähnliche Infrastruktur wie unsere aufgebaut mit Erste Hilfe, einer Essensausgabe und sogar Duschmöglichkeiten.

Wie erfahrt ihr, ob und wann für die Flüchtlinge relevante Züge fahren?

Von der ÖBB erfahren wir immer tagesaktuell, welche Züge fahren, weil sich die politische Situation schnell ändert. Die Flüchtlinge werden über die aktuelle politischer Situation informiert, ob es Grenzkontrollen an der deutschen oder der ungarischen Grenze gibt und ob Sonderzüge ankommen, mit denen sie weiter fahren können. Wir versuchen ihnen die Angst zu nehmen, vor allem jenen, die von Ungarn kommen, und sie auf ihre zukünftige Reise vorzubereiten, etwa bei den Grenzkontrollen.

Wie funktioniert das, wenn man hier mithelfen möchte?

Wir haben wir flache Hierarchien, wir sind keine NGO. Jeder kann hierher kommen und helfen, wann er/sie möchte. Für die Helfer_innen ist es sehr angenehm, weil sie spontan mithelfen können ohne sich in einen Wochenplan eintragen zu müssen. Wir sind übrigens seit ein paar Tagen ein offizieller Verein mit ungefähr 2.000 Freiwilligen, die sich bei uns registriert haben.

Dieses Ärzte-Team voller Freiwilliger, welches vollkommen autark funktioniert, teilt sich die freien Minuten außerhalb der eigentlichen Arbeitszeiten für Train of Hope ein.

Das Ärzt_innen-Team ist da ausgeklammert, weil diese sich komplett selbst organisieren. Geleitet wird das von einer Oberärztin, die ihr komplettes Umfeld und ihre Freund_innen mobilisiert hat und für jede Woche einen fixen Schichtplan zusammenstellt. Dieses Ärzte-Team voller Freiwilliger, welches vollkommen autark funktioniert, teilt sich die freien Minuten außerhalb der eigentlichen Arbeitszeiten für Train of Hope ein.

Wie sind die Helfer_innen hier organisiert?

Es gibt quasi ein Kern-Team, welches täglich vor Ort ist und aus circa 30 bis 50 Personen besteht. Diese leiten mittlerweile einzelne selbstständige Teams. Das Ganze läuft trotzdem transparent, damit jede Schicht und jeder wichtige Bereich täglich gedeckt wird. Daher haben wir einen transparenten Schichtplan auf Flipcharts in Form von Post-Its aufgeschrieben.

Welche Menschen kommen täglich hierher?

Martina Barwitzki und Majid Muhammad, ein Urdu Dolmetscher. © trainofhope.at
Martina Barwitzki und Majid Muhammad, ein Urdu Dolmetscher. © trainofhope.at

Kunterbunt durch die Bank. Von Juristen, die gezielt unsere Rechtsabteilung aufsuchen, um dort zu beraten, bis zu Menschen, die froh sind, einfach helfen zu können und Tätigkeiten wie Putzen oder Kinderbetreuung übernehmen. Andere bieten direkt ihre Kompetenzen an wie unsere Dolmetscher_innen. Es gibt sowohl Transport-Teams, die sich um die Hilfstransporte kümmern als auch Backstage-Teams, die herausfinden, was gerade benötigt wird und das in die Social Media-Kanäle posten.

Warum bist du aktiv geworden?

Für mich ist das absolut selbstverständlich. Wenn diese Schutzsuchenden ihre Heimat verlassen müssen und das findet direkt vor unserer Haustür statt, muss ich aktiv werden. Ich denke, dass ich mir diese Hilfe selber gewünscht hätte, wenn ich in dieser Situation wäre. Die Dankbarkeit und das Lächeln, das du siehst, wenn sie hier ankommen, halten mich hier täglich. Wenn man hier mal mitarbeitet, ist es schwer, sich abends hinzusetzen und alles auszublenden.

Seit drei Wochen komme ich nach der Arbeit jeden Abend direkt hierher und bleibe meistens bis zum Schluss, was im Durchschnitt 12 Uhr nachts bedeutet. An Tagen, wo wir die 5.000er-Grenze erreicht haben, waren Helfer_innen bis drei oder vier Uhr nachts vor Ort. Ich arbeite eigentlich Vollzeit in einer PR-Agentur. Jetzt habe ich um die Hälfte reduziert, damit ich die mehr Zeit hier verbringen kann.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.