Klima-Aktivist im Interview: „Was haben wir noch zu verlieren?“
Linkswende jetzt: Bevor dir das Ausmaß der Klimakrise bewusst geworden ist, hattest du sicher noch andere Pläne für dein Leben. Kannst du für uns nachvollziehen, wie sich deine Zukunftspläne seither verändert haben?
Florian Wagner: Meine Zukunftspläne von damals habe ich mir komplett abgeschminkt. Ungefähr seit ich 15 Jahre alt war, habe ich verstanden, dass die Klimakrise unsere gesamte Zivilisation bedroht und seither, ich bin jetzt 30, bin ich extrem zurückhaltend, was langfristige Zukunftsplanung anbelangt.
Ich habe längere Zeit in der Landwirtschaft gearbeitet, und an der Gusanos Hochschule Politische Ökonomie studiert. Ich habe angefangen an einem Institut zu arbeiten, wo wir Transformationsszenarien durchgerechnet haben – was es kostet, Häuser zu isolieren. Welche Förderungen braucht es, damit sich die Menschen das leisten können, und so weiter. Ich hätte dort auch weiter forschen können. Aber ich habe überhaupt aufgehört, über Zukunftspläne nachzudenken. Wenn es uns in den nächsten zehn Jahren, vielleicht sogar nur drei Jahren, nicht gelingt, eine Trendwende im Bewusstsein herbeizuführen, dann wird es ganz viel zerreißen. Länder, wie Pakistan, das seit einem halben Jahr zu einem Drittel überflutet ist, oder Indien, das wieder einen Sommer mit Temperaturen über 45° Celsius erwartet, werden dann einfach nicht mehr mitspielen, wenn der Westen weiter nur Scheinklimaschutz betreibt. Es droht bald das Aus für eine internationale Koordinierung der Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Deshalb habe ich mich ja bewusst entschlossen, heute schon alles zu geben, damit das nicht eintritt. Denn, was haben wir noch zu verlieren?
Rosa Parks hat mit ihrer Weigerung einem Weißen Platz zu machen, wahrscheinlich auch gestört, aber ohne ihrer Aktion wäre der große Busboykott in den USA und die Bürgerrechtsbewegung schwer vorstellbar gewesen.
Gut, dass du das ansprichst. Wer die Klimakrise zu Ende denkt, wird ähnlich reagieren wie ihr, weil man zu demselben Schluss kommen muss: Nur mehr kurze Zeit bleibt uns, um eine dann unumkehrbare Katastrophe noch abzuwenden, deshalb kann es für mich kein Zurück zur Normalität geben, bis wir eine Trendwende erzwungen haben. Die Bundesregierung dagegen ist völlig resistent gegen solche Erkenntnisse. Alle zwei Jahre hat sie ein Treffen mit wichtigen Wissenschafter_innen des Climate Change Center Austria, wird detailliert aufgeklärt und gewarnt, und dann geht sie von diesen Treffen weg, ignoriert das Gehörte, und tut das Gegenteil von dem was nötig wäre. Es kann also nicht unser strategisches Ziel sein, die Regierung endlich aufzuklären. Sie weiß genauestens darüber Bescheid, was uns droht und wieviel CO2 eingespart werden muss.
Aber es macht einen großen Unterschied, ob man etwas nur weiß, oder ob man es auch imaginiert. Das kann sogar den größten Unterschied machen, den es auf der Welt gibt.
Ich behaupte trotzdem, wenige Menschen sind besser informiert über die Klimakrise als die Regierenden, und allen voran die Wissenschafter_innen.
Und ich behaupte, die Claudia Plakolm z.B. hat es nicht verstanden. Dabei kann ich nicht sagen, ob es an den intellektuellen Fähigkeiten hapert, oder an der Art Politik zu machen, wo man sich schon längst daran gewöhnt hat, das Gesagte nicht so ernst zu nehmen.
Dass die Claudia Plakolm das nicht zu Ende denken kann, ist eigentlich auch kein Wunder. Wenn Klimaschutz einmal oberste Priorität wird, wenn wir beginnen das Anthropozän aktiv zu gestalten, dann ist die Zeit ihrer Partei zu Ende. Das zeichnet doch die Konservativen aus, dass sie sich gegen die notwendigen Veränderungen stemmen. Zu allen großen Zeitenwenden hat sich die Gesellschaft erst einmal polarisiert: in den rechten Pol, der das alte Machtgefüge konservieren will, und Menschen wie euch, die sich rausgewagt haben um die Veränderungen herbeizuführen.
Ich sehe es viel lieber als eine gigantische Herausforderung für uns alle, für jeden einzelnen, aber noch viel mehr für uns als Gesellschaft. Es hat noch nie in der Menschheitsgeschichte eine existenzielle Herausforderung gegeben, die wir nur global lösen können. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das in der Zukunft entsteht, aber heute erzeugt wird. Das hat es auch noch nie gegeben. Gandhi und die indische Unabhängigkeitsbewegung haben die Unterdrückung durch Großbritannien gekämpft, die Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King haben gegen die Rassentrennung gekämpft, das trifft die Menschen unmittelbar. Man darf das nicht unterschätzen – die Leistung im Klimaschutz besteht auch darin, dass ich mir aus einer abstrakten Erkenntnis – Treibhausgase und die Folgen – eine Vorstellung erarbeiten muss, die mich genauso mobilisieren soll, wie etwas, das mir direkt auf den Leib rückt.
Letzte Generation ist wegen der Aktionsform des Blockierens in aller Munde. Und da habt ihr ja in sehr kurzer Zeit sehr viel bewegt.
Das stimmt und das macht uns auch sehr stolz. Aber wir haben aber nicht nur Unterstützer_innen mobilisiert, sondern es mobilisieren auch die Rechtsextremen gegen uns. Wir haben uns schon manchmal Sorgen gemacht, ob wir denen Wind in die Segel blasen. Der Beuys hat von einem sozialen Organismus, von einer sozialen Plastik, geredet. Wie sich der soziale Organismus weiterentwickelt, davon haben wir halt keine Ahnung. Wir sind aber in den letzten Monaten um hunderte Unterstützer_innen angewachsen, so dass wir unsere Blockadeaktionen ganz gut ausweiten werden können. Die Kritik von rechts hindert uns nicht daran, uns zu exponieren. Rosa Parks hat mit ihrer Weigerung einem Weißen Platz zu machen, wahrscheinlich auch gestört, aber ohne ihrer Aktion wäre der große Busboykott in den USA und die Bürgerrechtsbewegung schwer vorstellbar gewesen.
Ich finde der Vorwurf, ihr wärt viel zu radikal, greift komplett daneben. Was auf uns mit dem Klimawandel zukommt, ist so gewaltig, dass es nur legitim ist, mit jeglichen Protestformen gegen Regierungen zu protestieren, die nichts tun. Ihr macht mit radikalen Aktionen darauf aufmerksam, dass wir einen radikalen Wandel brauchen. In wenigen Jahren werden wir sagen, das Blockieren von Straßen war doch völlig harmlos.
Stimmt, wir haben schließlich ganz bewusst zwei ganz leicht umsetzbare Maßnahmen als unsere zentralen Forderungen gewählt. Tempo 100 und das Aus für weitere Erdöl- oder Erdgasbohrungen. Dass damit noch nichts gewonnen ist, ist uns völlig klar, aber es wäre der Anfang einer wichtigen Trendwende. Die Regierung hat sich ja selbst per Gesetz dazu verpflichtet, Emissionen zu reduzieren und etwa das Pariser Klimaabkommen umzusetzen. Sie rechtfertigt ihr Nichtstun, bzw. ihren klimaschädlichen Kurs ja mit der Vielzahl an Krisen, mit der sie konfrontiert ist – Inflation, Gesundheit, Krieg, Energiekrise usw. Da ist Tempo 100 ein Geschenk. Tempo 100 bringt zwei Prozent Emissionseinsparungen beim Faktor Verkehr ohne irgendeinen Teil der Wirtschaft zu schädigen und mit lauter vorteilhaften Nebenwirkungen. Wenn sie Tempo 100 nicht umsetzt, hat sie keine Ausreden mehr.
Das Interview führte Manfred Ecker.