Kopftuchverbot: Versuch, mit Rassismus den Kopf aus der Schlinge zu ziehen
Erstmals tun sich tiefere Risse in der Regierung auf. Wie die Salzburger Nachrichten richtig erkannt haben: „Immer, wenn der Hut brennt, schüttelt die Regierung eine politische Maßnahme aus dem Ärmel, von der sie ausgehen kann, dass die Zustimmung in der Bevölkerung groß ist. Im aktuellen Fall dient das Kopftuchverbot in Volksschulen als Ablenkungswaffe. Der Vorschlag kommt just in dem Moment, als der Kanzler in Vorarlberg wegen der Abschiebepolitik des Bundes in die Kritik gerät und der Vizekanzler alle Hände voll zu tun hat, seiner eigenen Klientel die geplante Abschaffung oder Nicht-Abschaffung der Notstandshilfe zu erklären.“
Tatsächlich, zum ersten Mal seit ihrem Antritt zeigen sich größere Instabilitäten innerhalb der Regierung, das heißt im Deal zwischen ÖVP und FPÖ, der da lautet: radikaler Sozialabbau im Interesse der Industriellenvereinigung gegen die Rehabilitierung von Faschismus, das heißt die faschistischen Traditionen der FPÖ. Wie aufgedeckt wurde, drängte die FPÖ zum Rückzug aus dem UN-Migrationspakt, der bis vor kurzem noch von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz begrüßt wurde; und im Gegenzug erhielt Kurz die Zustimmung der FPÖ bei der Zerschlagung der Notstandshilfe, die eine Enteignung von Langzeitarbeitslosen bis auf 4.200 Euro bedeutet (Beschlagnahmung von Ersparnissen, Auto und Wohnung).
Instabilität ausnutzen
Infolge wütender Attacken seiner Wähler_innen musste FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beteuern, dass niemand enteignet werde, was nicht als ein Ablenkungsmanöver sein dürfte. Auf der anderen Seite brach ÖVP-Wissenschaftsminister Heinz Faßmann sein Schweigen und griff indirekt Kurz und Strache an, indem er den Rückzug aus dem UN-Migrationspakt beklagte, und sagte: „Österreich ist natürlich ein Einwanderungsland.“ Dazu kommt die Causa Verfassungsschutz (BVT), in der FPÖ-Innenminister Herbert Kickl mit im Parlament als Securities eingesetzten Neonazis immer mehr in Erklärungsnot kommt. Mit einem rassistischen Kopftuchverbot will die Regierung ihren Kopf wieder aus der Schlinge ziehen.
Die ganze Causa zeigt wunderbar die Brüchigkeit des Deals zwischen ÖVP und FPÖ, und wäre für die Opposition leicht auszunützen. Die groß hinausposaunte Bereitschaft der neuen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, über das Kopftuchverbot zu verhandeln, ist deshalb nicht nur schäbig, weil es sich bei der vorgeschlagenen Maßnahme offensichtlich um Rassismus gegenüber einer ohnehin schon ständig angegriffenen Minderheit handelt. Die Ankündigung ist auch einfach nur unnötig und dumm, weil sie damit auf das Ablenkungsmanöver von Kurz und Strache reinfällt. Die Comedians Stermann und Grissemann machten sich in der ORF-Satiresendung Willkommen Österreich zu Recht über „Joy of Silence“ Rendi-Wagner lustig: Das rassistische FPÖ-Video um den angeblichen E-Card-Betrug von „Ali“ wäre „die Chance gewesen“, aber stattdessen schweigt sie dazu – und befürwortet im Gegenteil ein Kopftuchverbot.
Antisemitismus
Kurz und Strache haben die Gefahr erkannt und spielen beide ihre Trumpfkarte aus: antimuslimischer Rassismus.
Dazu haben sie offensichtlich auch wieder Wissenschaftsminister Faßmann auf Linie gebracht, aus dessen Maul zuletzt im ZIB2-Interview regelrecht die Kreide staubte: Nicht nur, dass er wiederholte, eine „breite Diskussion“ über ein Kopftuchverbot starten zu wollen (wie bereits im September). Faßmann wurde auch auf die antisemitische Hasswelle gegen den jüdischen Holocaustüberlebenden George Soros angesprochen. Niemand geringerer als FPÖ-Klubchef Johann Gudenus schürte zuvor antisemitische Verschwörungstheorien und meinte, es gäbe „stichhaltige Gerüchte“, wonach Soros daran beteiligt sei, „Migrantenströme nach Europa zu unterstützen“. Die darauf folgenden Hasspostings kommentierte Faßmann so: „Das muss man nicht alles zur Kenntnis nehmen, das sollte man ignorieren, weil es zu ignorieren ist.“
Um den Koalitionsfrieden zu wahren, schürt Faßmann nicht nur Islamfeindlichkeit, sondern er fördert auch das Wiederstarken des klassischen europäischen, in den deutschnationalen Burschenschaften noch immer gepflegten Antisemitismus. Er weiß ganz genau, wofür seine Gegenüber in der Regierung stehen: in den Buden der Burschenschaften wird noch heute die Ermordung der „siebten Million“ Jüdinnen und Juden besungen.
Proteste aufbauen
Es wäre leicht, die Regierung in ernsthafte Schwierigkeiten zu stürzen, wenn die Bewegung in die sich auftuenden Kerben schlagen würde. Die antirassistische Bewegung in Vorarlberg macht es vor: dort brachte man Kurz wegen seiner grauenhaften und mörderischen Deportationspolitik phänomenal in Bedrängnis. Bei einem „Bürgerdialog“ konfrontierten wütende Besucher den Kanzler: „Wir gehen lieber auf die Straße demonstrieren, wenn Sie hier nicht reden wollen.“ Das taten sie auch, erst letzten Sonntag (18. November) gab es drei großartige antirassistische Demonstrationen in Bregenz, Hohenems und Dornbirn.
Die nächsten Gelegenheiten für Protest bieten sich sogleich: am Dienstag, 27. November muss Innenminister Kickl im U-Ausschuss zur BVT-Affäre aussagen. Wir wollen sicherstellen, dass auch alle Verbindungen von Kickl mit der Neonaziszene aufgedeckt werden und protestieren deshalb ab 9 Uhr vormittags am Wiener Heldenplatz vor dem U-Ausschuss (zwischen OSZE und Nationalbibliothek). Am Mittwoch, 5. November organisieren Aktivist_innen einen wichtigen Protest ab 11 Uhr gegen die deutschnationale FPÖ-Burschenschafter an der Universität Wien, denen noch immer erlaubt wird, jeden Mittwoch einer Nazi-Ikone, dem sogenannten „Siegfriedskopf“ in der Uni zu huldigen.