Kunst und Widerstand im Ghetto Theresienstadt
Friedl Dicker-Brandeis galt als eine der vielseitigsten Vertreter_innen der mitteleuropäischen Zwischenkriegs-Avantgarde. Die brillante Architektin und engagierte Sozialkritikerin war in Österreich eine der bedeutendsten Repräsentant_innen des „Neuen Bauens“. Sie schuf aber auch fantastische Grafiken, Plastiken und Bühnenbilder, kreierte Möbel und Schmuck. Ihre Lehre als Kunstpädagogin absolvierte sie in der revolutionären Zwischenkriegszeit bei dem damals fortschrittlichsten Kunstpädagogen Franz Cizek.
Dicker-Brandeis engagierte sich bald im kommunistischen Widerstand. Sie gestaltete großartige Collagen und Plakate, die den Kapitalismus und Faschismus anprangerten. „Wenn dir […] diese Welt nicht gefällt, dann musst du sie eben ändern“, zitierte sie Bertolt Brecht 1930 in einer Arbeit. 1934 wurde sie wegen ihren politischen Aktivitäten monatelang inhaftiert und floh dann nach Prag. 1938 bekam die Künstlerin zwar ein Visum für Palästina, aber sie wanderte, um ihre Arbeit mit Kindern fortzusetzen, nicht aus. 1942 deportierten die Nazis Dicker-Brandeis nach Theresienstadt.
Selbst mit dem Tod vor Augen, wurde sie dort für die Kinder zum Fels in der Brandung und organisierte Malunterricht gegen das Grauen. Eine ihrer Schülerinnen erinnerte sich später: „Sie war selbst die Medizin. Und bis heute ist mir das Geheimnis ihres Gefühls der Freiheit unfassbar. Es übertrug sich von ihr auf uns wie elektrischer Strom.“ Mit diesen Bildern im KZ Theresienstadt manifestiert sich die doppelte Kunst von Dicker-Brandeis, als Pädagogin und als Künstlerin. 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert, nicht ohne vorher die etwa 5.000 Bilder der Kinder in Koffern zu verstauen, die vom Leiter des Mädchenheims, Willy Groag, auf dem Dachboden versteckt und 1945 zur Jüdischen Gemeinde nach Prag gebracht wurden. Sie sei stärker als gedacht, schrieb sie noch in einem letzten Brief.
Kunst und Propaganda
Künstlerisches Schaffen ermöglichte im Grauen der alltäglichen Folter die eigene Menschlichkeit und Würde zu retten. Warum erlaubten die barbarischen Folterknechte den KZ-Gefangenen diesen Freiraum im Elend? Einerseits waren in Theresienstadt viele Intellektuelle und junge politische Gegner_innen, die man – aus Angst vor aktivem Widerstand – versuchte ruhig zu stellen. Andererseits brauchten die Nazis zumindest ein „Vorzeige-Konzentrationslager“. Kunst sollte den herrschenden Hunger, die Seuchen, die Brutalität und Zwangsarbeit verdecken.
Auf internationalen Druck erteilte Adolf Eichmann Vertretern der dänischen Regierung sowie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz die Erlaubnis, das Ghetto Theresienstadt am 23. Juni 1944 zu besichtigen. Monatelang zuvor mussten die Gefangenen für „Verschönerungsmaßnahmen“ – wie eine Fassade, Park- und Rasenanlagen – zwangsarbeiten. Schlussendlich wurden im Mai 1944 rund 7.500 Menschen nach Auschwitz deportiert, um das Ghetto weniger überfüllt erscheinen zu lassen.
Das Rote Kreuz ließ sich täuschen und inspizierte keine weiteren Lager im Osten. Die neue Kulisse nutzte das NS-Regime gleich für die Herstellung des Propagandafilmes „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Fiktive Spiel-, Freizeit-, Alltags- und Kulturaktivitäten, wie etwa einen Ausschnitt aus der Kinderoper „Brundibár“, gaukeln vitale Lebensbejahung vor. Der Regisseur, der Häftling Kurt Gerron, und die meisten unfreiwilligen „Mitwirkenden“ wurden danach nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die todgeweihten Kinder in den gezeigten Filmszenen gehen einem besonders nahe.
Vom Opfer zum Kämpfer
Der kürzlich verstorbene, unvergessliche Rudolf Gelbard wurde im Alter von 12 Jahren von den Nazis in das KZ Theresienstadt deportiert. Neunzehn seiner Verwandten wurden damals ermordet. Gelbard wählte durch seine Erfahrungen im KZ die antifaschistische Kämpferrolle anstatt der Opferrolle. Als Zeitzeuge klärte er auf und leistete unermüdlich Widerstand gegen Burschenschafter, NS-Nostalgiker und FPÖ-Nazi-Verharmloser. Gelbard verurteilte noch kurz vor seinem Tod am 24. Oktober 2018 scharf die Regierungsbeteiligung der FPÖ.
Die ÖVP/FPÖ-Regierung versucht mit Symbolpolitik die internationale Empörung zu beruhigen, etwa indem sie ein neues Shoah-Denkmal vor der Nationalbank baut. 2018 waren im Liederbuch der Burschenschaft des niederösterreichischen FPÖ-Landesparteiobmanns Udo Landbauer Texte wie „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ‚Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million‘“ unter vielen anderen NS-Liedertexten zu finden. Landbauer war sogar stellvertretender Vorsitzender der Burschenschaft. Aber in der strammen Burschenschafter-Partei, geführt vom Burschenschafter und Wehrsportler Strache, ist dies keine Karrierebremse, und der Koalitionspartner ÖVP schaut weg.
Heute noch wird den Opfern der Shoah ins Grab nachgespuckt. Angesichts dieser widerwärtigen Perversionen der österreichischen Politik kommt diese wichtige und sehr gut zusammengestellte Ausstellung genau zum richtigen Zeitpunkt. Bitte schaut hin!
Die Ausstellung läuft noch bis 16. Dezember: https://www.volkskundemuseum.at/theresienstadt