Make linken Populismus great again!

Die derzeit populärste Sichtweise von Populismus meint, dass ein geschickter Führer den Massen, die immer rassistischer werden, nur nach dem Maul zu reden braucht und dies ihm allein seinen Erfolg garantiert. Brexit, Trump, Hofer und die kommenden Wahlen in Europa werden im selben Licht interpretiert. Aber diese Analyse kann den Aufstieg „rechtspopulistischer“ Kräfte wie der FPÖ nicht erklären, sie versucht nur die Idee eines linken Populismus diskreditieren.
5. Februar 2017 |

Die Wut auf das Establishment, das heißt auf die etablierte Politik, die großen Banken, Konzerne und Medien, hat in den letzten Jahren politischen Ausdruck in neuen linken Parteien gefunden – ­Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien oder DIE LINKE in Deutschland. Wir konnten sogar das neuere Phänomen beobachten, dass sich dieser Zorn in bestehenden Parteien formiert – Jeremy Corbyn in der britischen Labour-Party und Bernie Sanders bei den US-Demokraten. Populismus spielte in all diesen Phänomenen eine herausragende Rolle. Linker Populismus kann den berechtigten Klassenhass auf die Regierenden und den liberalen Konsens der letzten Jahrzehnte – oder allgemeiner die Massen für ihre eigenen objektiven Klasseninteressen – mobilisieren.

Bernie Sanders’ gewaltiger Verdienst im US-Wahlkampf war es, Begriffe wie „Sozialismus“ und ­„politische Revolution“ wieder populär zu machen und hunderttausende Arbeiter_innen auf Massenversammlungen zu motivieren und mit Bewegungen wie Black Lives Matter und Standing Rock zu verbinden. „Wir müssen die stärkste Grassroots-Bewegung in der modernen Geschichte unseres Landes aufbauen, in der Millionen Menschen eine Stimme haben“, sagte Sanders in einer Diskussion 2015. „Immer mehr Menschen sagen Es reicht!, verlangen nach grundlegenden Veränderungen und meinen, dass das Establishment – egal ob es das wirtschaftliche, politische oder Medien-Establishment ist – die Amerikaner im Stich lässt.“

Liberaler Konsens

Aber auch die aufstrebenden rechten Parteien wie die FPÖ und der französische Front National, oder Donald Trump bedienen sich des Populismus – aber sie setzen ihn gegen die Interessen ihrer eigenen Basis ein. „Make America great again“ und „Österreich zuerst“ – die Rechten mobilisieren die Massen auf eine verlogene Art und Weise: mittels Nationalismus, Sexismus, Rassismus und anderer Formen der Unterdrückung. Der rechte Populismus scheint gegen die bestehende Ordnung anzutreten. Die ihn verwenden, haben aber das entgegengesetzte Interesse, diese Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie bieten Scheinlösungen, die an den Grundfesten des kapitalistischen Systems nichts verändern.

Trumps rechter Populismus richtete sich scheinbar gegen das Establishment. Einmal im Amt räumte er die Mittelsmänner aus dem Weg und brachte die Eliten des Establishments selbst an die Staatsspitze: Der Geschäftsführer des Öl-Multis Exxon, Rex Tillerson (links), ist Außenminister; der designierte Arbeitsminister Andrew Puzder (Mitte) ist als CEO der Fast Food-Kette CKE dafür bekannt, Angestellten einen Hungerlohn zu zahlen; und der Hedgefonds-Manager Steve Mnuchin (rechts), der hunderttausende Menschen aus ihren Häusern geworfen hat, wird Finanzminister. Fotos: ExxonMobil, US Congress, Office of the President-elect (alle Wikimedia Commons)

 

Dass es in der westlichen Welt mit wenigen Ausnahmen vor allem rechte Parteien sind, die die Gunst der Stunde nutzen können, hängt viel mit dem Versagen der traditionellen Sozialdemokratien zusammen, die um des liberalen Konsens willens über Jahrzehnte auf populistische Forderungen gegen die Reichen und Mächtigen verzichtet haben. Die „Sozialpartnerschaft“ lebte gerade davon, die Arbeiter_innen nicht gegen ihre Klassenfeinde zu mobilisieren.

Das Festhalten der SPÖ an dieser Versöhnung der Klassengegensätze insbesondere seit der Rückkehr der Krise in den 1970er-Jahren erlaubte es Jörg Haider, die FPÖ als einzige „klare Alternative zu den beiden Proporzparteien“ (Andreas Mölzer) SPÖ und ÖVP aufzubauen. Mehr noch, die SPÖ „bekämpfte“ die steigende Arbeitslosigkeit, indem die österreichischen Arbeiter_innen auf höhere Löhne verzichten sollten und Verträge von Gastarbeiter_innen nicht mehr verlängert und sie abgeschoben wurden. Die ­Sozialdemokratie lieferte der FPÖ mit ihrer rassistischen Krisenpolitik (man nannte diese Politik, auf die man bis heute stolz ist, „Austro-Keynesianismus“) die ideologische Grundlage für ihre populistischen Anti-Ausländerwahlkämpfe.

Multiple Krise

Populisten treten nicht im luftleerem Raum auf. Wir befinden uns im zehnten Jahr der Wirtschaftskrise. Der marxistische Ökonom Michael Roberts spricht von einer „Langen Depression“. Inzwischen ist eine ganze Generation von jungen Menschen ohne Perspektive herangewachsen, die nie einen Wirtschaftsaufschwung, geschweige denn offen ausgetragenen Klassenkampf erlebt hat. In seiner Vorhersage für das Jahr 2017 meint Roberts, dass „das Risiko eines neuerlichen Konjunktureinbruchs steigen wird“. Die Menschen sind zu Recht zornig auf jene, die nichts an dieser Perspektivenlosigkeit ändern.

Zwischen 2007 und 2014 sanken die Einkommen der untersten 10 Prozent in Österreich um 17% (OECD-Schnitt 14%), während die Einkommen der reichsten 1 Prozent um 2% stiegen (OECD-Schnitt 0,7%). Alleine in den USA wanderten zwischen 1975 und 2012 laut OECD 47% der Einkommenssteigerungen (vor Steuer) in die Taschen der obersten 1 Prozent. In diesem Zusammenhang wies der Financial Times-Kommentator Martin Wolf darauf hin, dass eine „lateinamerikanische Einkommensverteilung“ (Umverteilung von unten nach oben) eben zu einem „lateinamerikanischen Politikstil“ führe – Populismus von links und rechts.

Die andauernde Krise verengt den Spielraum für Reformen. Alte reformistische Kräfte wie die SPÖ (aber auch neuere wie Syriza), die sich an den liberalen Konsens (das heißt die neoliberalen Institutionen wie die Europäische Union, Sozialpartnerschaft, usw.) klammern und keine systemüberwindende Perspektive haben, müssen in politische Krisen stürzen, wenn sie regieren – ein Phänomen, das Marxist_innen als „Reformismus ohne Reformen“ bezeichnen und das den Aufstieg rechtsextremer Parteien erklären kann.

Donald Trump hat die Wahl in den USA nicht gewonnen, sondern Hillary Clinton und die Führung der Demokratischen Partei haben sie verloren, weil sie nur „more of the same shit“ anzubieten haben. In Österreich äußerst sich das besonders drastisch, weil mit dem völligen Fehlen eines linken Sprachrohrs im Parlament der FPÖ das Monopol auf Opposition zugefallen ist.

Kampfbegriff der Mitte

Die etablierten Parteien werden unter dem Druck der Krise zerquetscht – im ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahlen stürzten SPÖ und ÖVP auf jeweils 11% ab. Kein Wunder, dass die Mitte versucht populistische Oppositionsbewegungen zu diskreditieren. Mehrfach rief  EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im letzten Jahr dazu auf, sich „populistischen Strömungen“ entgegenzustellen. Für 2017 wünschte sich der Chef der ÖVP-Delegation im EU-Parlament, Othmar Karas, „einen Aufschrei der Mitte gegen die Extreme von Links und Rechts und den Populismus“.

Als Kampfbegriff hat Populismus eine lange Tradition. Schon die Herrschenden des alten Roms bekämpften die Opposition als „Populisten“. Die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus führten knapp 100 Jahre vor unserer Zeit Volkaufstände im alten Rom an. Sie stammten selbst aus Aristokratenfamilien, aber sie begeisterten mit ihrem Programm die ärmeren Bauern und Handwerker und versetzten die reichen Senatoren und konservativen Aristokraten in Rage. Im berühmten Film „Spartacus“ (1960) von Stanley Kubrick wird Tiberius Gracchus von seinem Erzfeind Crassus als „Meister des Mobs“ bezeichnet. Die „zivilisierten“ Herrscher Roms denunzierten die Volkstribunen als „popularis“ (die „Volksfreundlichen“), ließen sie hinrichten und metzelten jeweils tausende – im Falle von Gaius Gracchus 3.000 – Aufständische nieder.

Die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus führten im alten Rom Aufstände von Bauern und städtischen Armen an – und wurden dafür von den Herrschern Roms als „Populisten“ denunziert und ermordet. Foto: Jean-Baptiste Claude Eugène Guillaume (Wikimedia Commons)

 

Die Mitte agiert im Denunzieren von Oppositionsbewegungen im Übrigen selbst ziemlich populistisch – aber wenn es für „gute Sache“ ist, dann kann das kein Populismus mehr sein. Van der Bellen plakatierte passenderweise „Unser Präsident der Mitte – Vernunft statt Extreme“. Oder erinnern wir uns an die „Nein zum Öxit“-Kampagne des Großindustriellen und Van der Bellen-Unterstützers Hans Peter Haselsteiner. Van der Bellen selbst – the Economist bezeichnete ihn als angeblichen „Anti-Trump“ und „einen der wichtigsten anti-populistischen Kreuzritter Europas“ – affichierte patriotische „Heimat“-Plakate und Rot-Weiß-Rot-Fahnen – was für Außenstehende so irritierend war, dass sie nicht mehr erkannten, wer Van der Bellen und wer Hofer sei.

Unterschiedliche Ziele

Van der Bellen versuchte ganz offensichtlich mit Populismus Wähler_innen zu mobilisieren. Hofer ging es hingegen nicht in erster Linie darum, die Wahl zu gewinnen (auch wenn er in der zweiten Hälfte des Wahlkampfs immer mehr Kreide gefressen hatte), sondern um den Aufbau einer politischen Massenbewegung, die die Grenzen der parlamentarischen Demokratie überschreitet und eine Kraft hervorbringt, die ihre wirklich gefährlich werden kann. Die Wahlanfechtung ist dafür ein Paradebeispiel.

Faschistische Parteien unterscheiden sich von Trump und Konsorten, dass sie ein viel gefährlicheres politisches Projekt verfolgen: den Aufbau einer unabhängigen faschistischen Massenbewegung auf der Straße – sobald die Zeit dafür reif ist. Sie schmieden aus verzweifelten Kleinbürgern (kleinen Ladenbesitzern, Händlern, usw.) und deklassierten Arbeiter_­innen ein Machtinstrument, das imstande ist Terror in Ausländervierteln und Arbeiterbezirken auszuüben – jenes Mittel, das Hitler seinen Erfolg garantierte. Populismus ist dabei mehr als bloßes Mittel zum Stimmengewinn – er  funktioniert hier als Kleber für die Bewegung.

Hegemonie

Mit dem Aufkommen neuer links­populistischer Parteien wie Syriza und Podemos wurden auch alte Debatten um linken Populismus neu angefacht, die wir noch kurz skizzieren wollen.

Für den argentinischen Post-Marxisten Ernesto Laclau und die belgische Philosophin Chantal Mouffe gibt Populismus als „gegenhegemoniale Strategie“ jenen Menschen eine Stimme, „die aus dem System exkludiert sind“, vereint die Unterprivilegierten und verschiedenen Bewegungen durch Abgrenzung vom Establishment. Laclau und Mouffe bedienten sich in ihrem Buch Hegemonie und radikale Theorie (1985) der Hegemonietheorie des italienischen Revolutionärs Antonio Gramsci, aber beraubten sie ihres revolutionären Inhalts, negierten den Klassenkampf, die soziale Revolution und Zerschlagung des kapitalistischen Staates.

Gramsci beschrieb, wie die herrschende Klasse durch eine Kombination aus Zwang (Polizei, Militär, usw.) und Konsens (über die Hegemonie in Kultur, Moral und Intellektuellem) ihre Macht ausübt. Aus diesem Grund wäre es zu wenig, einfach nur den Staat zu bekämpfen. Er argumentierte, dass Revolutionär_innen eine Gegenhegemonie aufbauen müssen und dabei „Agitation und Propaganda“ verbinden müssen. Gramsci bezog sich dabei ganz explizit auf Lenin, der die „Lehre von der Hegemonie als Ergänzung der Theorie des Zwangs-Staates“ geschaffen habe. Er schrieb bewusst von einer „Ergänzung“ zur, nicht vom Ersetzen der Klassenkonfrontation.

Selbstaktivität von unten

Aus dem Verständnis von Gramsci und Lenin folgt ein gravierender Unterschied zwischen rechtem und linkem Populismus. Die beiden verfolgen nicht nur unterschiedliche Ziele. Rechte Populisten betrachten die Massen immer nur als Objekte, die für die eigenen Ziele (letztlich der herrschenden Klasse) mobilisiert oder demobilisiert werden können. Linke können Populismus in ähnlicher Weise von oben herab verwenden und die Arbeiter_innenklasse „ein- und ausschalten“, wenn es etwa darum geht Wahlen zu gewinnen oder eine Streikforderung durchzusetzen. Schlecht eingesetzter Populismus wäre demnach, wenn reformistische Führer den Eindruck erwecken, dass nur er oder sie alleine etwas ändern können, während die Massen bis auf Abruf still sitzen sollen (ein Beispiel wäre die Oxi-Kampagne von Alexis Tsipras vor dem griechischen Referendum 2015).

Aber wir können Populismus auch zur Mobilisierung der Werktätigen von unten nutzen, damit die Massen ein höheres Klassenbewusstsein und mehr Solidarität entwickeln und ihr Schicksal selbst in die Hände nehmen. Die Menschen verändern ihr Bewusstsein, während sie ihre Umwelt umgestalten (Streiks organisieren, Solidarität mit Muslim_innen und Flüchtlingen aufbauen). Wir müssen sie unterstützen, vom bloßen Objekt zum Subjekt geschichtlicher Veränderung zu werden.

Die Europäische Union: Ein Projekt der Eliten

Die Europäische Union: Ein Projekt der Eliten

Bernie Sanders hat zwar davon gesprochen, dass wir die „stärkste Grassroots-Bewegung der modernen Geschichte“ formieren müssen, jedoch hat er bislang gerade den Aufbau einer eigenständigen Bewegung vernachlässigt, seine Loyalität galt der Demokratischen Partei. Wir verfolgen jedenfalls sehr aufmerksam, in welche Richtung sich sein neues Projekt Our Revolution entwickelt.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.