Orli Reichert-Wald

Aurelia (Orli) Reichert-Wald war eine deutsche Widerstandskämpferin und Kommunistin, die sowohl das KZ Ravensbrück als auch Auschwitz überlebte. Ihre Position als Häftlingsfunktionärin nutzte sie, um Mithäftlinge vor dem Tod zu bewahren, wofür ihr der Name „Engel von Auschwitz“ verliehen wurde.
4. März 2019 |

Orli Reichert-Wald kam am 1. Juli 1914 im französischen Bérelles als sechstes Kind des Maschinisten August Torgau und seiner Frau Maria Torgau auf die Welt. Das kommunistische Engagement wurde ihr bereits in die Wiege gelegt – nachdem ihre Familie infolge des Ersten Weltkriegs nach Trier ausgewiesen wurde, engagierten sich ihr Vater und ihre zwei älteren Brüder in der dortigen Ortsgruppe der KPD.

Zeit in Trier

Nach ihrem Schulabschluss und ihrer Ausbildung zur Verkäuferin wurde auch sie politisch aktiv. In den 1920er Jahren schloss sie sich dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) an. Die Machtergreifung der Nazis hielt sie nicht davon ab, sich im Widerstand zu engagieren. Unter anderem wurde sie als Kurierin nach Luxemburg geschickt und half bei der Verteilung von Parteischriften. 1934 wurde sie von der Gestapo verhaftet, aus Mangel an Beweisen aber wieder freigelassen. 1935 heiratete sie ihren ersten Mann, Fritz Reichert, ein ehemaliger KJVD-Genosse, der sich jedoch der SA anschloss.

Zuchthaus und Ravensbrück

1936 wurde die Widerstandsgruppe im Zuge einer Verhaftungswelle, die gegen KJVD-Mitglieder gerichtet war, entdeckt. Orli war gezwungen sich in Trier zu stellen, da ihr mit der Verhaftung ihrer Eltern gedroht wurde. In den Verhören behandelte die Gestapo sie brutal und versuchte, sie mit Folter zu brechen. Sie kam schließlich vors Gericht und wurde wegen „eines hochverräterischen Unternehmens“ zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Orlis Entlassung wartete jedoch nicht die Freiheit auf sie. Stattdessen wurde sie 1940 in das KZ Ravensbrück gesperrt, als Strafe dafür, dass sie sich im Prozess gegen den luxemburgischen KP-Führer Zenon Bernard weigerte, ihn als Kronzeugin zu belasten.

Auschwitz

Im März 1942 wurde sie aus Ravensbrück ins Frauenlager des KZ Auschwitz eingeliefert. Sie wurde als Lagerälteste im Häftlingskrankenbau beschäftigt, wo sie Schreckliches erleben musste: Ärzte, die Säuglinge mit Phenolspritzen ermordeten, Menschenversuche durchführten und Kranke für die Gaskammer auswählten. Während der Haft erkrankte sie an Tuberkulose, Fleckfieber und Ruhr. 1943 unternahm sie einen Suizidversuch, befreundete Häftlingsfrauen konnten sie davon abhalten.

Auch im Lager war sie Mitglied einer Widerstandsgruppe. Unter Lebensgefahr rettete sie mit kleinen Essenszuwendungen viele vor dem Hungertod. Eine jüdische Häftlingsärztin half ihr dabei, anderen Gefangenen mit Krankheitsverdacht Ruhezeiten im Krankenhaus zu ermöglichen. Mithäftlinge nannten sie wegen ihrem Einsatz, der viele vor dem Tod bewahrte, „Heldin“ und „Engel von Auschwitz“. Die Häftlingsärztin Adélaide Hautval meinte über sie, dass es kaum jemanden gab, der seine Funktion in Auschwitz so uneigennützig ausgeübt hätte wie Orli.

Historiker Hermann Langbein über Orlis Leiden: „Sie konnte keine Musik vertragen, da sie immer an die Lagerkapelle erinnert wurde, welche beim Abtransport der Selektierten aus dem Krankenbau zu spielen hatte, um Klagen und Geschrei der zur Gaskammer Geführten zu übertönen.“
© Projekt Erinnerungskultur Hannover


1945 wurde sie in ein Nebenlager des KZ Ravensbrück verlegt, aus dem sie fliehen konnte. Vollkommen geschwächt, wurde sie von Soldaten der Roten Armee auch noch vergewaltigt, nachdem sie in ihrem Waldversteck entdeckt wurde.

Nachkriegszeit und Krankheit

Ende 1945 kam sie wegen Tuberkulose in das Sanatorium Sülzhayn, wo sie ihren späteren Mann, den kommunistischen Widerstandskämpfer Eduard Wald, kennenlernte, den sie 1947 heiratete. Sie blieb politisch aktiv, trat in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ein und wurde Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Bereits 1948 brach sie jedoch, wie ihr Mann, wieder mit der SED, Grund dafür waren die stalinistischen Verfolgungen.

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Die Vergangenheit ließ sie aber nicht los. Sie litt unter schweren Depressionen und Angstzuständen. Der Beginn des Eichmann-Prozesses 1961 löste in ihr einen so schlimmen Nervenzusammenbruch aus, dass sie wieder in eine Nervenklinik eingeliefert wurde. Sie bekam Bewusstseinsstörungen und glaubte, sie wäre immer noch in Auschwitz. Sie gab sich die Schuld, nicht genug für ihre Mithäftlinge getan zu haben. Der Historiker Hermann Langbein schrieb über ihr Leiden: „Auch Orli Reichert-Wald mied nach der Befreiung den Anblick von Kindern; als Lagerälteste im Krankenbau hatte sie allzu oft mitansehen müssen, wie Babies und Kleinkinder von Sanitätern der SS mit Giftinjektionen getötet wurden.“

Am 1. Januar 1962 war ihr Zustand so heftig, dass man ihr ihre Medikamente in einer viel höheren Dosis verabreichte. Orli starb noch am selben Tag. Auschwitz hatte sie schließlich doch noch ermordet.