„Podemos ist ein nützliches Werkzeug für die Bewegung“
David Albrich: In Europa sehen wir eine starke Polarisierung. Die Großparteien haben sich der Austerität verschrieben und gleichzeitig gibt es dagegen Widerstand von unten, wie beispielsweise in Griechenland, Spanien oder Portugal. Es gibt Raum für linke Politik. Was sind die Wurzeln von Podemos in Spanien?
Jesús M. Castillo: Die Kapitalisten in Europa benutzen die Krise als Vorwand, um Dinge umzusetzen, die sie schon lange umsetzen wollten – aber erst jetzt haben sie die Möglichkeit dazu. Es ist eine Schock-Doktrin, in der globalisierten Welt gegenüber China und Nordamerika konkurrenzfähig zu werden. Deshalb müssen sie Arbeiter_innen und Umwelt ausbeuten.
Im Spanischen Staat hatten wir zu Beginn der Krise 2007/08 eine sozialdemokratische Regierung (PSOE). Sie begann mit Kürzungen im Sozialwesen. Die Menschen sahen klar, dass weder die Konservativen (Partido Popular, PP) noch die Sozialdemokraten Antworten auf die Krise hatten, welche ihren Bedürfnissen entsprachen. Die Menschen kamen in der Indignad@s-Bewegung zusammen und sagten „wir wollen diese zwei Parteien nicht“, „wir glauben nicht an ihre Demokratie, das ist keine echte Demokratie“ und „wir wissen dass die Banker eine Mafia sind“.
Das war die Basis, auf der sich Podemos gründete. Die Führung um Pablo Iglesias wusste dies, weil sie soziale Umfragen betrieben. Diese Umfragen offenbarten, dass es sowohl in der Linken, wie auch in der Rechten, Raum für politische Alternativen gab. Sie benutzten eine populistische Strategie: Durch populistische Ansprachen sollte der Kern der Indignad@s-Bewegung dazu bewogen werden, bei Wahlen anzutreten. Podemos ist ein nützliches Werkzeug für die Bewegung.
Eine starke Triebkraft der Bewegung war, wie du schon sagtest, die Forderung nach „echter Demokratie“ („¡Democracia Real Ya!“). Was waren weitere Forderungen der Indignad@s bzw. von Podemos?
Die Indignad@s-Bewegung, auch bekannt als Bewegung 15M, sagte klar und deutlich, dass das System korrupt sei. Korruption ist nicht nur ein Problem von zwei oder drei bösen Bankern oder Politikern, sondern des ganzen Systems. In der Bewegung war klar, dass wir nicht in einer Demokratie leben, sondern in einer Plutokratie, in der nur die Reichen entscheiden. Die Bewegung richtete sich auch gegen das Regime aus dem Jahr 1978, also die Konstituierung des Spanischen Staates nach dem Franco-Regime.
Das ist auch der Geist von Podemos in den Anfängen. Einerseits total gegen Austerität, aber gleichzeitig für die Europäische Union (EU). Das ist interessant, weil wir diese Debatte aktuell auch innerhalb von Syriza in Griechenland hören. Sie wollen ein Ende der Austerität, aber innerhalb der EU und des Euro. Die Führung von Podemos glaubt ebenfalls, es sei möglich die EU zu reformieren und gleichzeitig die Interessen von Arbeiter_innen und anderen unterdrückten Gruppen repräsentieren zu können. Diese Debatte kommt nun, nach Griechenland, auch in den Spanischen Staat.
Nach den Erpressungsversuchen der Troika (EU, IWF, EZB) verzichtete Syriza auf ihre urspünglichen Forderungen, wie Schuldenerlass und Ende der Austerität, und machte gegenüber der Rechten eine Konzession nach der anderen. Ist Podemos anders? Wie sieht es bei den anstehenden Wahlen aus?
Bei Podemos sehe ich ähnliche Probleme. Die Führung von Podemos denkt nur kurzfristig. Sie denken nur daran, die Wahlen im Dezember zu gewinnen, aber werden die selben Widersprüche zu spüren bekommen wie Syriza heute.
Die herrschende Klasse in Europa will in Griechenland demonstrieren, dass eine linke Regierung die Dinge nicht verändern könne. Sollte Podemos im Spanischen Staat an die Macht kommen, wird die herrschende Klasse eine Krise heraufbeschwören, die für die Menschen Instabilität und Probleme bedeutet. Wie wir in Griechenland sehen, attackieren sie linke Regierungen um jeden Preis.
Vor sechs Monaten hätte Podemos die Wahlen gewinnen können. In den Umfragen lagen wir bei 30 bis 35 Prozent. Jetzt, mit dem Aufkommen der rechtspopulistischen Partei Ciudadanos, die von den Herrschenden nach der Gründung von Podemos groß gemacht wurde, ist es nicht mehr so sicher, ob Podemos gewinnen wird. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass Podemos, die Sozialdemokratische Partei und die Konservativen alle zwischen 20 und 25 Prozent der Stimmen liegen.
Ciudadanos versucht sich selbst als Bewegung von unten darzustellen, wie Podemos es ist. Wie geht ihr damit um?
Das ist eine Strategie der herrschenden Klasse. Die Banker stecken viel Geld in ein paar opportunistische Leute, von denen viele aus der Konservativen Partei und Unternehmen kommen, ähnlich wie To Potami in Griechenland. Ciudadanos benutzt Populismus, indem sie sagen, sie wären gegen Korruption – aber nicht gegen das ganze System, sondern nur gegen eine Hand voll korrupter Menschen. Sie wollen die politischen Parteien nur ein wenig modernisieren.
Wir sagen, sie sind die selbe Scheiße mit anderer Fratze. Einige von denen kommen aus faschistischen Gruppen. Einige ihrer Abgeordneten im Europaparlament unterstützten die Konservativen nach der letzten Parlamentswahl und den Regionalwahlen im Mai und brachten sie so an die Macht. Wir versuchen ihre Widersprüchlichkeiten offenzulegen.
Arbeiter_innen in ganz Europa setzen ihre Hoffnungen in die Kämpfe in Griechenland und Spanien. Wie stellst du sicher, dass sich die Kämpfe gegen Austerität vertiefen?
Erstens möchte ich klarstellen, dass nicht nur die Peripherie in Europa unter der Krise leidet. Wir sehen sogenannte „working poor“ in Deutschland oder migrantische Arbeiter_innen in Minijobs in Ländern wie Österreich. Wir sehen, dass sich die Menschen in Irland gegen die Wasser-Steuer wehren. Wir leiden alle, also müssen wir auch gemeinsam kämpfen.
Im Spanischen Staat hatten wir letztes Jahr einige Wahlen. Deshalb denken viele, dass die Wahlen eine Lösung seien und wir die Welt über Parlamente ändern könnten. Wir müssen verstehen, dass dieses System, die bürgerliche Demokratie, nur für einen gemacht ist – die herrschende Klasse. Wir können die Welt nicht über den Weg ins Parlament ändern, wenn wir wirklich soziale Gerechtigkeit erkämpfen wollen.
Es ist essentiell, Widerstand von unten aufzubauen – in den Arbeitsplätzen und auf den Straßen. Das bedeutet Selbstorganisierung der Arbeiter_innen um eine Alternative zu schaffen. Sollte Podemos in die Regierung kommen, brauchen wir noch mehr Menschen auf den Straßen und noch mehr Menschen in Streiks, um die Regierung dazu zu zwingen, unsere Forderungen gegen die Europäische Union und die Kapitalisten in Europa umzusetzen.
Austerität ist noch nicht vorbei; Im Gegenteil sieht es danach aus, als bliebe sie noch viele Jahre auf der Agenda. Der Schlüssel sie aufzuhalten liegt in den Kämpfen von unten.
Jesús M. Castillo ist führendes Mitglied von Podemos in Sevilla und Gewerkschafter im Sindicato Adaluz de Trabajadores. Er arbeitet in der Universität von Sevilla und war Kandidat für Podemos bei den Europawahlen 2014 (13. Listenplatz).
Übersetzung von Judith Litschauer