Rassismus als Nährboden für mehr Rassismus
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat im Juni 2020 die österreichische Regierung gewarnt. Wörtlich hieß es in dem Bericht: „Es gibt einen hohen Grad an Islamophobie und der öffentliche Diskurs ist immer fremdenfeindlicher geworden. Politische Reden haben äußerst spaltende und antagonistische Grundtöne angenommen, insbesondere in Bezug auf Muslim_innen und Flüchtlinge.“ Besonders hervorgehoben wurde von der Kommission 1. die Sonderbehandlung muslimischer Mädchen, z.B. das Kopftuchverbot an Grundschulen, sowie 2. den hohen Grad an Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit im öffentlichen Diskurs, und 3. die Untätigkeit vis-à-vis von hassmotivierter Gewalt und Hassreden, und 4. die rassistische Praxis (ethnic profiling) der Polizei in Bezug auf dunkelhäutige und muslimische Menschen. Auch wenn wir der EU in Sachen Rassismus jegliche moralische oder politische Autorität absprechen; was die ECRI in Österreich beobachtet, ist die Quintessenz von Staatsrassismus. Der Gesetzgeber erzeugt rassistische Stimmung und setzt Fakten, die die Stimmung vertiefen.
Sonderbehandlung muslimischer Buben
Eine Reihe von Regierungsinitiativen zielt auf die „muslimische Familie“ ab, und erzeugt den Eindruck einer von tyrannischer Gewalt und Vernachlässigung geprägten Welt. 2019 stellte die ÖVP muslimische Buben an den Pranger und machte sie bzw. ihre Familien verantwortlich für Gewalt an Schulen. Gernot Blümel erklärte in seiner Funktion als Wiener ÖVP-Chef: „In arabisch- oder türkischstämmigen Familien gibt es dafür oft kein Problembewusstsein.“ Und wie aus einem Lehrbuch für rassistische Verhetzung verknüpft er diese boshafte Unterstellung mit dem Kampfbegriff Integration: Man werde „bei Integrationsverweigerung und Verletzungen von Erziehungspflichten kein Auge zudrücken. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss bestraft werden.“ Man beachte, welche ungeheuren Vorwürfe hier mitschwingen. „Arabisch- oder türkischstämmige Familien“ kämen als Teile einer gewalttätigen Kultur in unsere zivilisierte Gesellschaft. Sie importieren Gewalt, und sind dabei auch noch so rückständig, dass sie nicht einmal das Problematische darin verstehen.
Als logische Konsequenz muss der Staat diese Familien bestrafen. Das spiegelt nicht nur die Haltung eines Blümel oder seiner Partei gegenüber Muslim_innen wider. Diese Haltung soll als gelebte Praxis in unseren Alltag einfließen. So soll man als österreichische Nicht-Muslimin seinem muslimischen Mitbürger gegenübertreten – voll des Misstrauens, von oben herab, immer den Generalverdacht im Hinterkopf, dass man es mit gewalttätigen Menschen zu tun hat. Diese Wirkung erzeugt solche Politik natürlich nur begrenzt, aber Rassisten klatschen sich auf die Schenkel und übernehmen diese Vorlage. Wir wissen auch, dass einzelne Pädagog_innen auf dieses Muster anspringen, denn es gibt Probleme an den Schulen. Nur suchen sie die Ursache dann nicht in strukturellen Missständen im Bildungssystem, sondern eben bei den „anderen“.
Sonderbehandlung muslimischer Mädchen
Von April 2018 bis Ende November hielt die schwarz-blaue Regierung das Thema Kopftuchverbot in Kindergärten am Köcheln. Ein echtes Kunststück, da kein einziger Fall von Kopftuch-tragenden Mädchen in Kindergärten dokumentiert werden konnte. Aber Fakten zählen für die Regierung nicht, es hat völlig ausgereicht, dass die Regierungsmitglieder von Kanzler Kurz abwärts einen permanenten Skandal daraus machten. „Meiner Meinung nach hat es keinen Platz, wenn Eltern ihre Töchter dazu zwingen, ein Kopftuch zu tragen“, war die Dauerbotschaft von Kanzler Kurz. Im November 2018 wurde das Kopftuchverbot in Kindergärten dann in der 15a Vereinbarung (Geld gegen Kopftuchverbot) zwischen Bund und Ländern in Gesetzesform gegossen.
Ist es deshalb nur eine Lachnummer? Nein, denn wieder wird das Bild von der muslimischen Familie als Hort der Unterdrückung verfestigt. Und dieser repressiven Kultur stellte sich die ÖVP-FPÖ Regierung als Verteidigerin von Frauen- und Mädchenrechten gegenüber: „Ich möchte einfach, dass Mädchen sich frei entfalten können,“ erklärte Familienministerin Juliane Bogner-Strauß. Das Kopftuchverbot zeigt auch sehr schön, wie methodisch und überlegt die Regierungen vorgehen. 2017 führte die Regierung das Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum ein. „Wir werden keine Symbole tolerieren, die darauf abzielen, bei uns eine Gegengesellschaft zu errichten“, tönte es vom damaligen Integrationsminister Sebastian Kurz. Im selben Jahr lancierte Schwarz-Blau einen Vorstoß für ein Kopftuchverbot für Richterinnen. Nach den Kindergärten soll das Kopftuchverbot an Grundschulen kommen. Die FPÖ forderte wiederholt ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Die Begründungen dafür wechseln und passen sich der gerade vorherrschenden Propaganda an. Antimuslimischer Rassismus ist inzwischen so gut etabliert, dass dem Kopftuch von der rassistischen Propaganda ein fixes Set an bedrohlichen Eigenschaften zugeschrieben werden kann, ohne diese extra ausführen zu müssen.
Gefälschte Kindergartenstudie
Im April 2017 präsentierte Sebastian Kurz eine Studie über islamische Kindergärten. Die Studie, vorgelegt von Ednan Aslan, dem Leiter des Instituts für Islamische Studien der Uni Wien im Jänner 2016, war äußerst unseriös, wie eine Folgestudie der Universität Wien ergab. Aber für Kurz war sie immer noch nicht tendenziös genug. Seine Beamten nahmen sich die Studie zur Brust und veränderten sie in wesentlichen Teilen. Ein Beispiel: Im Original liest man: „Muslimische Eltern suchen in den Islamkindergärten für ihre Kinder „Werte wie Respekt, Gelassenheit, Individualität des Kindes, Hygiene, Zufriedenheit der Kinder, Pünktlichkeit, Liebe, Wärme und Geborgenheit, Selbständigkeit und Transparenz der Regeln“. In der von Kurz vorgelegten Version wurde all das gestrichen und ersetzt durch: „Besonders wichtig ist ihnen (den Eltern, Anm.), dass den Kindern islamische Werte vermittelt werden“. Das ist eine ungeheuerliche Manipulation und vor allem dient sie dem Schüren von rassistischen Vorurteilen, nach dem Motto: Nur Islamisten schicken ihre Kinder in islamische Kindergärten. Das Bild, das die österreichische Regierung hier erzeugt hat, ist klassische rassistische Verhetzung: Muslimische Eltern würden ihre Kinder vernachlässigen und Gewaltbereitschaft fördern, sie unterdrücken ihre Töchter und zwingen sie dazu das Kopftuch zu tragen, und sie schicken sie in Kindergärten, die sie islamistisch indoktrinieren.
Vorwurf Antisemitismus
Karoline Edtstadler von der ÖVP, damals Staatsekretärin unter FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, griff zu einer anderen, beliebten Waffe im rassistischen Feldzug gegen die muslimische Bevölkerung. Am 15. März 2019 schrieb sie: „Wir müssen die islamische Glaubensgemeinschaft verstärkt in die Pflicht nehmen. Zudem ist es für mich vorstellbar, dass alle Muslime, die nach Österreich kommen, zu einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen verpflichtet werden.“ Denn, so impliziert sie, Muslime sind Antisemiten, denen bewusst gemacht werden muss, wohin Antisemitismus führt. Edtstadler präsentierte auch einen Beleg für ihre Anschuldigung. Eine Studie hätte aufgedeckt, „dass knapp 70% der arabischsprachigen und 50% der türkischstämmigen Bevölkerung etwa der Aussage zustimmten, dass im Nahen Osten Frieden herrsche, wenn es den Staat Israel nicht mehr gebe.“ Diese Meinung muss man nicht unterstützen, aber solche Israelkritik als antisemitisch einzustufen, ist ein starkes Stück für eine Staatssekretärin aus einer Koalitionsregierung mit der Burschenschafterpartei FPÖ.
Echter Antisemitismus in der Tradition der NSDAP ist in Österreich deshalb so stark, weil Österreich die NS-Vergangenheit niemals aufgearbeitet hat, nicht weil wir muslimische Zuwanderer haben.
Man möchte gerne glauben, dass solche Propaganda, so plump und dumm wie sie ist, von selbst richten würde. Aber Islamfeindlichkeit hat weltweit die Rolle einer Leitideologie der Staaten eingenommen. Nicht nur Rechtsextreme bedienen sich ihrer, sie findet auch in linken und liberalen Kreisen großen Anklang, einmal als Antiislamismus, einmal als ungeschminkter islamfeindlicher Rassismus. Das wird nicht von heute auf morgen ein Ende finden, aber alle solidarischen Menschen müssen sich schon heute offen auf die Seite der Angegriffenen stellen. So können wir verhindern, dass auf diesem Nährboden wieder rechtsextreme und faschistische Bewegungen an die Macht kommen.