Säuberung im BVT: Generalstabsmäßiger FPÖ-Putsch im Innenministerium

Ein FPÖ-nahes Polizei-Rollkommando stürmt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), kopiert und beschlagnahmt Daten der Rechtsextremismus-Referentin. Kurz darauf wird der ÖVP-nahe Chef der Behörde, Peter Gridling, suspendiert. Vorab gab es Treffen zwischen Innenminister Herbert Kickl, seinem Generalsekretär, dem Chef des Rollkommandos und „anonymen“ Beamten des BVT. Was wie ein Agententhriller klingt, läuft gerade als Polizei-Putsch vor unseren Augen ab.
26. März 2018 |

Der Staat wird seit der Übernahme des Innen- und Verteidigungsministeriums durch die FPÖ braun umgefärbt, wie Linkswende jetzt in der Ausgabe Nr. 5 ausführlich berichtet hat. Am 28. Februar der nächste Schlag, der allen Fakten nach zu urteilen als Putsch bezeichnet werden muss: eine schwerbewaffnete Einsatztruppe stürmt unter Leitung eines, der rechtsextremen „Reichsbürgerbewegung“ nahestehenden, FPÖ-Beamten das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT.

Das Ziel: BVT-Chef Peter Gridling, der im Kurier-Bericht kurz nach der Angelobung der schwarz-blauen Regierung, bereits „laut Insidern ganz oben auf der Abschussliste“ gestanden wäre, und die Rechtsextremismus-Referentin Sibylle Geissler. Vorwand 1 für die Razzia: im BVT wären Daten des Rechtsanwalts Gabriel Lansky nicht gelöscht worden. Vorwand 2: das BVT hätte illegal nordkoreanische Passrohlinge an Südkorea weitergegeben. Vorwand 3: ein anonymes Dossier eines BVT-Beamten. Jetzt deckte der Kurier auf: offenbar war alles erstunken und erlogen.

Lügen

Das BVT wusste vorab von den Ermittlungen in der Pass-Causa, somit gab es hier keinen triftigen Grund einer unangekündigten Razzia. Das Bundeskriminalamt (BKA)  fragte am 23. Jänner (also ein ganzes Monat vor der Hausdurchsuchung) im BVT nach, wie es zur Übergabe der Pässe gekommen sei. Anfang Februar wusste Gridling selbst von der Fragenliste Bescheid. Und, die Staatsan­waltschaft hatte bereits im November 2017 nach zwei Anzeigen von Lansky ermittelt und den Fall eingestellt. Der Einsatz der FPÖ-geführten Truppe musste andere Gründe haben.

Bleibt nur das „anonyme Dossier“, das laut Falter-Recherchen von Martin Weiss, Abteilungsleiter im BVT, verfasst wurde. Weiss wird für einen Spitzenposten im BVT gehandelt. Peter Goldgruber, Kickls Generalsekretär im Innenministerium, soll Weiss vorab bei einem Empfang in der US-Botschaft getroffen haben, um sich Material gegen Gridling zu besorgen. Mehrere BVT-Beamte beschuldigen Weiss, Pamphlete und Verschwörungstheorien über das BVT verfasst zu haben, um Gridling und die Behörde in Verruf zu bringen (Weiss bestreitet das). Diese Pamphlete wurden von der Justiz als unbrauchbar klassifiziert – damit wäre auch Weiss’  „Dossier“ entlarvt.

Rache

Eine Schlüsselfigur ist Sybille Geissler, Rechtextremismus-Referentin im BVT, deren Daten bei der Razzia beschlagnahmt wurden, obwohl diese gar nichts mit den vorher beschriebenen Vorwänden zu tun hatten. Ihr Vergehen? Geissler hatte einen kritischen Bericht über die rechtsextreme, FPÖ-nahe Website „Unzensuriert“ und den Neonazi-Kongress „Verteidiger Europas“ verfasst, auf dem ausgerechnet Innenminister Kickl – damals noch FPÖ-Generalsekretär – im Herbst 2016 eine Rede gehalten hat. Im Bericht heißt es, der Kongress sei ein „Vernetzungstreffen der rechtsextremen Szene“ und „Unzensuriert“ würde „zum Teil äußerst fremdenfeindliche“ Inhalte und Artikel mit „antisemitischen Tendenzen“ veröffentlichen.

Die Polizeigewerkschaft AUF unterwanderte systematisch die Exekutive – mit der Übernahme des Innenministeriums durch Herbert Kickl tritt sie jetzt in Aktion. Foto: Peter Heinz Trykar

 

Der Chefredakteur von „Unzensuriert“, Alexander Höferl, stieg zu Kickls Kommunikationschef im Innenministerium auf. BVT-Beamte gaben gegenüber der Wiener Stadtzeitung Falter an, die Razzia könnte mitunter eine Racheaktion gegen Geissler gewesen sein. Das ist gut möglich; wir vermuten darüber hinaus, es sollten Beamte, die sich mit der rechtextremen Szene auseinandersetzen, gezielt eingeschüchtert werden.

Kickls Leibgarde

Bei allem was bekannt ist, kann die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS), die die Razzia durchführte, als protofaschistisches Rollkommando bezeichnet werden. Die EGS brüstet sich in Polizeikreisen gerne mit „Negerklatschen“: gemeint ist, Schwarze zu Boden zu ringen und nach Drogen zu durchsuchen. Der Chef der EGS, der FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Preiszler, teilte auf Facebook Beiträge von Rassisten, „Reichsbürgern“ und Neonazis. Intern wird die Einheit als „Prätorianergarde“ bezeichnet, eine Anspielung auf die Elitetruppe römischer Kaiser, die ihre Loyalitäten je nach Zuwendung schnell änderte. Und die EGS führt offenbar gehorsam die Befehle des FPÖ-Innenressorts aus.

Jenes Innenministerium, namentlich deren Generalsekretär Peter Goldgruber, schlug die EGS  bei einer Vorbesprechung für die Hausdurchsuchung vor. Insbesondere wurde explizit deren Chef, Wolfgang Preiszler, empfohlen. Justizminister Josef Moser sagte in einer Pressekonferenz, dass Goldgruber „Oberst Preiszler“ vorgestellt und die Staatsanwaltschaft zugestimmt hätte. Goldgruber und Preiszler kannten sich seit Jahren, und Kickl besuchte Preiszler und die EGS kurz vor der Razzia in der Dienststelle.

Säuberung

Dass man bei der Razzia nicht das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) eingesetzt hatte, erklärte man durch „Befangenheit“. Auch das ist offenbar Schwachsinn. Schon kurz nach der Hausdurchsuchung erklärte Kickl, dass der Staatsanwaltschaft zur „raschen Aufklärung“ Beamte des BAK zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus deckte ein ehemaliger Kollege von Preiszler auf, dass dieser persönliche Beziehungen ins BVT haben dürfte. Er hat früher in der Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Terrorismus (EBT), dem Vorläufer des heutigen BVT, gearbeitet. Rund 30 Beamte hätten „Top Gun“ (Preiszlers Deckname) beim EBT gekannt, einige davon würden noch immer beim BVT tätig sein.

Der Einsatzleiter der Razzia im BVT posierte vor nationalsozialistischen Plakaten. Faksimile: Krone

 

Noch während der Regierungsverhandlungen besuchte Goldgruber mehrere Spitzenbeamte des Innenministeriums und erklärte ihnen siegessicher, dass er der neue Kabinettchef oder Generalsekretär sein werde, berichtete der Kurier.  Beinahe das gesamte Kabinett von Kickl besteht aus Vertrauensleuten von Goldgruber: ehemalige Kollegen der Polizeigewerkschaft AUF wie Albert Schmiedt, der Referent des Wiener Verfassungsschutzes, Udo Lett, oder Ewald Ebner, zuvor Diebstahlreferent im „Sicherheitsbüro“.

Einschüchterung

Goldgruber selbst war Gründungsmitglied der freiheitlichen Polizeigewerkschaft (später bekannt als AUF), die seit Jahren systematisch den Polizeiapparat unterwandert. 1999 stieg er in der Polizei zum Leiter für interne Ermittlungen auf und lernte spätestens dort, wie man gegen missliebige Kollegen vorgeht. Zeitgleich arbeitete er als Berater für die Wiener FPÖ. 2008 wurde er als Favorit für die Nachfolge des Wiener Polizeipräsidenten gehandelt, bekam den Posten aber nicht. „Seit damals hat Goldgruber einige Rechnungen mit der Wiener Polizei offen“, meinen Spitzenbeamte gegenüber dem Kurier. Sie rechnen damit, dass nach der Säuberung des Innenministeriums als nächstes die Wiener Polizei an die Reihe kommt.

Nicht nur, dass FPÖ und ÖVP den Untersuchungsausschuss unterdrücken wollen. Inzwischen sagte die Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis, sie respektiere zwar die öffentliche Diskussion, befürchte aber, dass die „langandauernde Diskussion, Spekulationen und damit natürlich ausschließlich negative Berichterstattung ein Risiko werden kann“. Es ist ein gewaltsamer Putsch im Gange, über den wir nicht schweigen dürfen und den alle Demokrat_innen vereint aufhalten müssen.

 

Chronologie

  • Juli 2017: Anonymes Dossier mit Vorwürfen gegen leitende BVT-Beamte
  • bis Oktober 2017 wird Dossier von Korruptionsstaatsanwaltschaft untersucht, leitet aber kein Verfahren ein
  • November 2017: Verfahren wegen Nicht-Löschung von Daten wird eingestellt
  • 18. Jänner 2018: Peter Goldgruber, Generalsekretär von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, geht mit gleichen Dossier noch einmal zur Staatsanwaltschaft
  • 9. Februar 2018: Kickl besucht die Spezialeinheit EGS, nur kurze Zeit später die Razzia durchführen wird, Fotos von Kickl und EGS-Chef Preiszler werden auf Facebook geteilt
  • 20. Februar 2018: Anonyme Zeugen „bestätigen“ der Staatsanwaltschaft illegale Speicherung und Weitergabe von Daten
  • 27. Februar 2018: Goldgruber schlägt EGS für die Hausdurchsuchung bei einer Vorbesprechung mit der Staatsanwältin vor, die zustimmt
  • 28. Februar 2018: Razzia im BVT mit einer Polizei-Spezialeinheit unter Führung eines FPÖ-Funktionärs
  • 13. März 2018: Gridling wird vom Dienst suspendiert

 

Donnerstag, 19. April, 18 Uhr: Demo gegen Kickl! Universität, Schottentor U2. Mehr dazu | Facebook