Sklavenhandel war hautnah spürbar

Ein Bericht der Menschenrechtsaktivistin Anja Ringhofer.
29. Juni 2021 |

Stell dir vor, du stehst in Ghana im Cape Coast Castle – einem Schloss, das über Jahrhunderte als Lagerhaus für Menschen im transatlantischen Sklavenhandel verwendet wurde – und dir fallen die Bodenunebenheiten in den Gefängniszellen auf. Du denkst dir zunächst einmal nichts. Dann, wenn jemand erwähnt, dass diese Bodenunebenheiten entstanden sind, weil Sklaven über mehrere Monate oder Jahre hier eingesperrt waren und sie daher diese Zelle als Schlafplatz, Essensstelle und Toilette verwenden mussten, denkst du dir vielleicht: Gott sei Dank, dass diese Zeiten vorbei sind und dass ich nicht in dieser Barbarei gelebt habe.

Dann stell dir vor, du fliegst wieder nach Österreich und triffst einen jungen Mann, der dir erzählt, er kommt auch gerade aus Ghana. Er hat aber drei Jahre gebraucht um nach Österreich zu kommen, nicht so wie du, sechs Stunden. Der Weg nach Österreich war traumatisierend: in Libyen wurde er gemeinsam mit mehreren anderen Menschen über Monate in einem Erdloch gefangen gehalten, das als Schlafplatz, Essensstelle und Toilette diente.

Diese Geschichte hat mir Taffa erzählt, als ich ihn das vorletzte Mal gesehen habe. Das letzte Mal gesehen habe ich ihn im Schubhaftzentrum PAZ, als ich seinen Koffer gebracht habe. Dort wurde er in eine Zelle gesperrt und dann abgeschoben. Dass er von Libyen traumatisiert war, hat niemanden interessiert, im Gegenteil: der Terror ging nach seiner Zeit in Libyen weiter. Seine Herkunft und Hautfarbe haben erst in Europa so richtig Bedeutung bekommen. Was mir besonders aufgefallen ist: nicht nur in Afrika lässt ein Bruch mit der düsteren Vergangenheit auf sich warten. Ist nicht auch das Polizeianhaltezentrum (PAZ) seit NS-Zeiten durchgehend in Verwendung? Haben wir die Verquickung von Polizeiapparat und Rassismus jemals durchbrochen?

Taffa erhielt einen negativen Asylbescheid und wurde somit über Nacht ein „illegaler“ Flüchtling – ein Begriff der zum selben Zweck eingeführt wurde wie eine Hundepfeife, mit dem kleinen Unterschied, dass Letzteres Hunde herbeiruft und Ersteres Rassisten. Der Philosoph Grant J. Silva bezeichnet die verschiedenen Klassifizierungen für Reisende als „neue Segregationslinie“ – wobei Menschen aus den westlichen Industrienationen als Wissenschaftler, Investoren oder Touristen auf die Reise gehen, und arme Leute aus dem globalen Süden als Asylwerber, illegale Migranten oder Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden. Trotzdem, man mag es nicht glauben, leiden illegalisierte Menschen genauso in willkürlicher Gefangenschaft wie ein in Europa geborenes Mädchen in willkürlicher Gefangenschaft leiden würde.

Österreich nicht besser als Libyen

An diesem Tag, als Taffa mir die Geschichte über seinen Fluchtweg und die mehrmaligen Gefangenschaften erzählt hat, habe ich ihn gefragt, in welchem Land die Gefängnisse am schlimmsten sind. Wir alle haben Vorurteile, und somit rechnete ich mit der Antwort: Libyen. Taffa hat gesagt, ja, Libyen ist schrecklich, weil dort Krieg ist, aber Österreich ist ein Polizeistaat. Man ist als Asylwerber immer angespannt, weil fast kein Tag vergeht, an dem die Polizei keine schikanöse Razzia durchgeführt hat, solange er im Asylheim Schwechat war.

Es ist zur Gewohnheit geworden, indirekte, rassistische Immigrationsbeschränkungen einzuführen. Argumente, dass wir unseren Sozialstaat oder unsere Demokratie schützen müssen, klingen wertfrei, dienen aber lediglich als Stellvertreterargumente, um spezielle Ethnien, „Rassen“, und Religionen auszuschließen.

Und was die Gefängnisse betrifft: Es ist ziemlich egal, wo man in einem Loch eingesperrt wird. In Österreich wird der illegitime Prozess nur „gesäubert“, in dem man vorgibt, rational zu denken und pragmatisch zu handeln (insofern es die geistigen Kapazitäten ermöglichen; wir Europäer sind wirklich Analphabeten, was Rassismus betrifft), und dann sagt: „Wir haben nach dem Gesetz gehandelt.” Taffa nannte das „den Stil des weißen Mannes.“ Genau an diesem Abend ist Taffa nicht mehr nach Hause gekommen. Er wurde zum Opfer einer rassistisch motivierten Polizeikontrolle und landete im Polizeianhaltezentrum. Diesen Personen in den Polizeianhaltezentren werden auf willkürlicher Weise wertvolle Lebensjahre gestohlen.

Schubhaft ist Diskriminierung

Man mag sich nun fragen, warum ich Schubhaft als bloße Willkür bezeichne. „Gesetz ist Gesetz“, sagt der Legalist, immerhin muss sich der Gesetzgeber beim Erlass etwas gedacht haben. Die Betonung liegt auf etwas. Da wir schon anhand der materiellen Welt sehen können, dass sich an den Gebäuden des Horrors seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten nichts geändert hat, warum sollen wir dann denken, dass sich in den Köpfen – den Ideologien – der Gesetzgeber irgendetwas getan hat?

Genau an diesem Abend ist Taffa nicht mehr nach Hause gekommen. Er wurde zum Opfer einer rassistisch motivierten Polizeikontrolle und landete im Polizeianhaltezentrum.

Der Rassismus, mit dem wir im 21. Jahrhundert konfrontiert sind, ist farbenblind. Er wirkt sich jedoch auf dieselben Gruppen von Menschen aus, die schon historisch unterdrückt worden waren, nur eben indirekt. Es ist heutzutage moralisch verwerflich, spezielle Ethnien, „Rassen“ oder Religionen gesetzlich zu diskriminieren. Ein Beispiel für diese direkte Diskriminierung wäre Australiens „White Policy“ oder Trump’s „Muslim Ban“. Daher ist es zur Gewohnheit geworden, indirekte, rassistische Immigrationsbeschränkungen einzuführen. Argumente, dass wir unseren Sozialstaat oder unsere Demokratie schützen müssen, klingen wertfrei, dienen aber lediglich als Stellvertreterargumente, um spezielle Ethnien, „Rassen“, und Religionen auszuschließen. Die auffallende „Rassen“-Disproportionalität in Schubhaftanstalten und Gefängnissen in Europa und den USA legt nahe, dass die Inhaftierung gewissermaßen ein Mittel zur „Verwaltung“ von unterdrückten Minderheiten ist.
Diese Verschleierung der eigentlichen diskriminierenden Absichten hat den Nachteil, dass die Absurdität von Schubhaftpraxis und Abschiebung dem Normalbürger nicht unmittelbar auffallen.

Konstruierte Delikte

Warum ist Haft so absurd? Ich war vor einigen Jahren auf einem Menschenrechtstreffen in Tansania. Plötzlich begannen Anwälte und Polizisten die Rechte von Gefangenen zu besprechen und redeten davon, dass Leute, die aufgrund von homosexuellen Delikten inhaftiert sind, ein Recht auf Psychotherapie haben sollten. Als ich gefragt habe, ob Homosexualität denn nicht an sich ein Menschenrecht sei, und die Personen deshalb gar nicht erst inhaftiert werden sollten, wurde ich von der Mehrheit so schief angeschaut, wie in Europa, wenn man in Frage stellt, dass illegalisierte Asylwerber vielleicht gar nicht I) illegalisiert und II) eingesperrt werden sollten. Umgekehrt, ist es für Afrikaner ebenso absurd, Menschen einzusperren, nur weil sie irgendeine von Europäern gezogenen Linie im Boden übertreten. Der Philosoph Achille Mbembe schreibt: „Wenn Europa dem Mittleren Osten und Afrika wirklich helfen will, dann sollen sie Grenzen und Gefängnisse in Libyen, Sudan und in ihrer eigenen Mitte abbauen, nicht aufbauen.”

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