Solidarität auf Österreichs Bahnhöfen zeigt unsere beste Seite
Die Eingangshalle des Westbahnhofs wirkt bis auf die üblichen Menschenmassen unscheinbar. In flottem Schritt ziehen Ankommende und Abfahrende ihre Koffer hinter sich her. Ein freundlich lächelnder Augustin-Verkäufer steht in der Mitte des Geschehens. Man betritt die Rolltreppe und fährt hinauf zu den Bahnsteigen. Anhand der Blicke von abwärtsfahrenden Menschen kann man erahnen, dass sich einen Stock höher etwas Ungewöhnliches abzuspielen scheint.
Die Rolltreppe endet und man fühlt sich wie in einer anderen Welt. Auf jedem Bahnsteig stehen unzählige Menschen, ausgerüstet mit Einkaufswägen voller Wasserflaschen. Blickt man hinter sich, Richtung Ausgang, kommen immer wieder neue hilfsbereite Leute hinzu, um Hygieneartikel, Wasser und Nahrung abzugeben. Das Lager der Caritas quillt bereits über. An der Wand von Bahnsteig 1 hängt ein großes Transparent mit der Aufschrift „Refugees Welcome!“.
Gemeinnützige Hilfe
Dutzende Dolmetscher_innen haben sich Zettel in verschiedenen Sprachen auf die Brust geklebt, um ankommenden Flüchtlingen die Orientierung zu erleichtern. Englisch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Farsi, Urdu. Dutzende Sprachen und Kulturen sind hier auf sehr kleinem Raum vertreten. Die Stimmung gleicht einem lebendigen Markt. An diesem Ort herrscht eine wunderbare Solidarität, und sie wird von Minute zu Minute größer.
Am Montag, 31. August, sind alleine 3.650 Flüchtlinge angekommen und wurden mit Klatschen und Jubelgesängen empfangen. „Die Willkommenskultur in diesem Land ist unglaublich“, hört man aus vielen Mündern. Einer der vielen Helfer_innen ist Anzor, ein junger Mann aus Weißrussland, der vor elf Jahren selbst nach Österreich fliehen musste.
Flüchtlinge von einst und jetzt
„Wir haben auf unserer Flucht Schlimmes erlebt. Die Leute in Österreich haben uns aber sehr freundlich aufgenommen. Einige Zeit lang wohnten wir in Schwechat bei zwei älteren Damen, die uns regelmäßig mit Keksen und Kuchen versorgten. Das war immer ein absolutes Highlight für uns“, erzählt Anzor, der 2011 die HTL abgeschlossen hat und mittlerweile bei der Post als Werbeentwickler arbeitet.
Sein tschetschenischer Vater wurde in der alten Heimat von der Polizei verfolgt und misshandelt. Gemeinsam mit seiner Mutter, seinen drei Brüdern und seiner Schwester, machten sie sich auf nach Österreich. Der Pfarrer in Gänserndorf nahm sie mit offenen Armen auf. Anzor erinnert sich: „Weil wir offiziell nicht arbeiten durften, haben wir einfach im Pfarrhaus ausgeholfen. Die Bevölkerung gab unserer Familie privaten Sprachunterricht und unterstützte mich und meine Geschwister beim Einstieg in die Schule.“
Mit Applaus empfangen
Sehr viele Menschen haben hier am Westbahnhof eine spannende Lebensgeschichte zu erzählen. Meistens geht es um Verlust und einen Neubeginn. Neben den zahlreichen Freiwilligen an diesem Ort, sind es Menschen wie Anzor, die selbst einmal Flüchtlinge waren und die gemeinsame die Botschaft „Wir wollen helfen“ verbreiten.
Mehrmals pro Stunde treffen neue Züge mit Flüchtlingen ein. Um 20:52 Uhr kommt ein Zug aus Budapest Keleti an. Begrüßt wird er von der Menge mit frenetischem Applaus. Mitarbeiter_innen der ÖBB, Dolmetscher_innen und Freiwillige stehen bereit, um die Flüchtlinge zu empfangen. Die Zivilgesellschaft hat hier die Organisation der Sozialarbeit übernommen. Polizisten und Security-Leute stehen weiter abseits, nicken jedoch oftmals zustimmend.
Welle der Solidarität nutzen
Zahlreiche Medienvertreter_innen sind bei der Ankunft anwesend. Auch ihre Solidarität ist ehrlich und sie wollen so viel wie möglich über die Lebensschicksale der Flüchtlinge berichten. Durch die spontane Hilfe für die Flüchtlinge ist vielen klar geworden, wie stark die Zivilbevölkerung sein kann, wenn man sich organisiert und solidarisiert. Diese Bewegung hat Druck auf die Regierung erzeugt und sie hat das Potential zu mehr. Sie zwingt die Verantwortlichen sich menschenfreundlicher zu geben.
Die unmenschliche Behandlung von Schutzbedürftigen durch die österreichische Regierung, wird von der großen Mehrheit nicht mitgetragen. Die Mehrheit fordert ein Ende der rassistischen Asylpolitik und sichere Einreisemöglichkeiten, denn Flüchtlinge sind hier willkommen.