Statement der Dokustelle Österreich zur Ausweitung des Kopftuchverbots

Die Dokustelle Österreich dokumentiert und veröffentlicht seit fünf Jahren rassistische Übergriffe gegenüber Muslim_innen, egal ob diese aus der zivilen Bevölkerung kommen oder von Seiten des Staates. In ihrem Statement kritisieren sie den institutionalisierten Rassismus durch das geplante Kopftuchverbot an Schulen.
17. Januar 2020 |

Im neuen Jahr wurde die Einigung zu einer türkis-grünen Koalition bekannt gegeben und das neue Regierungsprogramm veröffentlicht. In dem Kapitel „Integrationspolitik“ befindet sich schließlich die Ausweitung des Kopftuchverbots an Schulen bis zum 14. Lebensjahr. Wie bereits in den Jahren zuvor mehrfach erwähnt, wird hier ausschließlich für eine Gruppe von Personen, nämlich Schülerinnen mit islamischen Glauben, Verbote erlassen. Die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen hat bereits letztes Jahr eine Stellungnahme veröffentlicht, worin sie festhalten, dass „dieses Gesetz weder kinderrechts- noch menschenrechtskonform ist und eine Diskriminierung der betroffenen Schülerinnen darstellt (IDB, 2019).

Menschenrechtsverletzung der Religionsfreiheit

Befürwortet wird diese neue Regelung, mit dem Schutz vor geschlechtsspezifischer Diskriminierung sowie dem Schutz vor elterlichen Zwang. Beides sind wichtige kinderrechtliche Positionen. Das neue Verbot jedoch, reproduziert geschlechtsspezifische Diskriminierung und stellt eine Verletzung der UN Kinderrechtskonvention dar. UNKRK Art. 29 Art. 1 lit. besagt, dass im schulischen Raum kein Spielraum besteht, das Recht auf Religionsfreiheit einzuschränken, dies gilt für die Religionsfreiheit von Schüler*innen und Lehrer*innen gleichermaßen. Es stellt also eine international verankerte Rechtsnorm dar, dass Kopftuchverbote an Schulen die uneingeschränkte Verwirklichung des Rechts auf Religionsfreiheit von Kindern verhindern.

Religiöse Praxis als freie Entscheidung

Der Fokus auf ein religiöses Kleidungsstück stellt muslimische Eltern unter Generalverdacht Zwang auf ihre Kinder auszuüben. Außerdem wird pauschal unterstellt, dass junge Musliminnen sich nicht frei entscheiden würden das Kopftuch zu tragen. Warum ein Mädchen Kopftuch trägt ist sehr individuell und hierfür gibt es unterschiedliche Motive. Die Einschränkung der Religionsfreiheit verhindert somit die Ausübung der religiösen Praxis und nimmt Mädchen das Recht, frei zu entscheiden, wie sie ihren Glauben ausüben wollen. Die Befürwortung des Kopftuchverbots stellt keinen Schutz vor geschlechtsspezifischer Diskriminierung dar. Im Gegenteil, sie sieht eine gesetzlich verankerte Kleidervorschrift vor, welche Mädchen und Frauen das Recht auf Selbstbestimmung raubt.

Emanzipation durch Selbstbestimmung

Die Aussage „Mädchen tragen das Kopftuch nie freiwillig“ zeigt wiederum, dass über Musliminnen gesprochen wird, aber nicht mit ihnen. Junge Musliminnen werden in diesem politischen Diskurs als Objekte dargestellt, die passiv-unmündig sind, um sie – in diesem Fall von ihren problembehafteten elterlichen Erziehungsmethoden – befreit werden müssen.

Das Bild der passiven und fremdbestimmten Musliminnen, die durch das Kopftuchverbot ‚emanzipiert‘ werden sollen, werden mit jenen Methoden ‚emanzipiert‘, von denen sie eigentlich ‚befreit‘ werden müssen, nämlich mit Staatsgewalt, die eine Deutungshoheit über ihre Religionspraxis einnehmen. Hierbei ist das Kopftuchverbot in der Schule der erste Schritt, denn „ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen könnte ein möglicher zweiter Schritt sein“, so der Herr Bundeskanzler. Eine Emanzipation im staatlichen Sinne wird der religiösen Praxis gegenübergestellt, denn ein Mädchen mit Kopftuch kann kein selbstbestimmtes erfülltes Leben haben.

Kopftuch als Symbolpolitik

In diesem Diskurs sind besonders Mädchen und Frauen davon betroffen, wo besonders der weibliche Körper eine Projektionsfläche für Diskussionen darstellt und dem Kopftuch Bedeutungen zugeschrieben werden wie: politischer Islam, fehlende Integration, nicht frei und fremdbestimmt. Das Kopftuch wird als etwas Fremdes suggeriert, das integriert werden muss, indem es verboten und an “die österreichische Kultur” angepasst gehört. Politische Maßnahmen, begleitet von der öffentlichen Debatte, zeigen Auswirkungen auf den Alltag von Musliminnen, die unmittelbar von Pöbeleien und verbalen Angriffen berichten. Kopftuchverbot als Maßnahme zur Integration, ein Thema, das sehr stark emotional geladen ist, wird somit auf eine Gruppe von Frauen projiziert, die sowohl sexistisch, als auch rassistisch behaftet ist.

Durch Antirassismusarbeit mehr Empowerment

Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus dokumentiert seit fünf Jahren Fälle von Betroffenen, die antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit in Form von verbalen Angriffen, Diskriminierung oder Hass im Netz erleben.
Die Macht und die Folgen der Worte sind nicht zu unterschätzen. Anhand unserer Daten erkennen wir, dass durch die Verwendung der Sprache Wirklichkeiten konstruiert werden, um so politische Agenden zu legitimieren. Es werden Narrative produziert, die dann in der Gesellschaft übernommen werden können. Daher fordern wir eine klare Haltung gegen antimuslimischen Rassismus in der Politik.

Wie wir bereits in den Jahren zuvor öfters appelliert haben, liegt es in der Verantwortung der Regierung, unabhängig der eigenen politischen Interessen, das Wohl der Bevölkerung in den Vordergrund zu stellen und gesamtgesellschaftlich für eine positive Atmosphäre zu sorgen. Die Aufgabe der Regierung besteht darin in Form von öffentlichen Kampagnen, Veranstaltungen und der Initiierung von Vernetzungen mit den NGO’s ein klares Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung zu setzen. Es braucht eine klare Grundhaltung in den Aussagen und Taten von Regierungsmitgliedern, um auch die Menschenrechte in diesem Land zu wahren.

Dieses Statement ist zuerst erschienen auf Facebook
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