Stunde der Wahrheit für Syriza?

Viele Zeitungskommentator_innen argumentieren, dass die Stunde der Wahrheit für die griechische Linksregierung unter Führung von Syriza und deren Europa-Konfrontationskurs gekommen ist.
28. Mai 2015 |

Weitere Schuldenrückzahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) stehen an. Wird Premierminister Alexis Tsipras den Forderungen der Kreditgeber nachkommen, nicht nur Schulden pünktlich zurückzuzahlen, sondern auch neoliberale „Reformen“ umzusetzen?
Nach Meinung des Arbeitsministers Panos Skourletis geht es dem IWF vor allem darum, „Arbeitsverhältnisse zu reformieren, was Pensionskürzungen, Massenentlassungen und Widerstand gegen Anhebung von Mindestlöhnen bedeutet“.

Die Anzeichen, was passieren wird, sind widersprüchlich. Auf der einen Seite können die Entlassung von Finanzminister Yanis Varoufakis als Chefverhandler und die Einsetzung von Euclid Tsakalotos dahingehend interpretiert werden, dass Tsipras einen „Deal“ eingehen will. Varoufakis ist sehr unbeliebt bei den Euro-Finanzministern.

Linke Plattform

Auf der anderen Seite erklärte Tsipras letzte Woche, dass der Wille des Volkes in einem Referendum berücksichtigt werden müsste, sollte „eine Lösung vorgeschlagen werden, die nicht von unserem Mandat abgedeckt ist“.

Einige erwarten eine Abspaltung der mächtigen Linken Plattform von Syriza im Falle, dass Tsipras einen Kompromiss eingeht. Ich bin demgegenüber eher skeptisch.

Historisch gesehen rebellieren linke Flügel nicht unbedingt, wenn Linksregierungen zugunsten des Kapitals ihre Richtung ändern. Denken wir zum Beispiel an Tony Benn in Großbritannien, als er von Arbeitsminister Harold Wilson degradiert wurde und er im Sommer 1975 gleichzeitig Lohnregulierungen durchdrückte. Jean-Pierre Chevènement in Frankreich trat zurück, als Präsident François Mitterrand 1983 auf Neoliberalismus einschwenkte. Er trat dann aber schnell wieder in die Regierung ein.

Ägyptische Diktatur

Es gab auch noch ein anderes wichtiges Signal. Tsipras wurde beim Händeschütteln mit dem ägyptischen Präsident Abdel Fattah el-Sisi beim Dreiergipfel in Nicosia in Zypern fotografiert. Mit von der Partie war auch der griechisch-zypriotische Präsident Nicos Anastasiades.

Laut dem Magazin Middle East Eye erklärten sie übereinstimmend, dass „der internationale Terrorismus nun Europa, den Golf, den Mittleren Osten, Nordafrika, die Sahel-Zone und Afrika südlich der Sahara bedroht“. Die drei vereinbarten, Terrorismus und extremistische Gewalt gemeinsam zu bekämpfen, um die Sicherheit in der Region des östlichen Mittelmeers zu gewährleisten, die quasi von aktuellen Konflikten umzingelt ist.
„Wir sind durch die erfolgreichen Vorstöße der irakischen Streitkräfte, unterstützt von der internationalen Anti-ISIS Koalition, ermutigt“, steht in der gemeinsamen Erklärung.

Das ist eine außergewöhnliche Äußerung. Als sich nach den Ereignissen von 9/11 eine europaweite soziale Bewegung gegen den „Krieg gegen den Terror“ manifestierte, war das griechische Sozialforum eines der machtvollsten Kräfte in der Bewegung. Das Forum wurde als das Versuchslabor der linken Einheit gepriesen, aus dem letztlich Syriza hervorgegangen ist.

Die ägyptische Revolution am 25. Januar 2011 inspirierte viele Aktivist_innen dem Beispiel der Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo zu folgen. Konkrete Beispiele waren die Besetzung des Syntagma-Platzes in Athen und die anderer öffentlicher Plätze in einer Anzahl von Städten in Griechenland während des Sommers 2011. Syriza spielte eine wichtige Rolle dabei.

Es ist daher schockierend, Tsipras händeschüttelnd mit dem Schlächter al-Sisi zu sehen – dem Architekten der ägyptischen Konterrevolution –, um ihm die Unterstützung der griechischen Regierung in Kampf gegen den Terror zuzusichern.

Imperialismus

Der Dreier-Gipfel in Zypern spiegelt die verschärfte Konkurrenz der östlichen Mittelmeerstaaten um Zugang zu unterseeischen Energiereserven wider. Griechenland, Südzypern und Israel stehen dabei Nordzypern und der Türkei gegenüber. Die Independent Balkan News Agency zitiert einen südzypriotischen Regierungssprecher: „Ein Dreiergipfel mit Griechenland, Zypern und Israel ist geplant.“

Es geht darum, die Interessen des griechischen Kapitalismus im östlichen Mittelmeerraum zu sichern.

Diese Entwicklungen bestätigen, dass es Tsipras’ Koalition mit den rechten „Unabhängigen Griechen“ nicht nur darum ging, die parlamentarische Mehrheit zu erringen. Es geht darum, die Interessen des griechischen Kapitalismus im östlichen Mittelmeerraum zu sichern.

Aber vielleicht sollten wir den Gipfel auch als Teil der Tsipras-Verhandlungen mit der Europäischen Union sehen. Er signalisiert ihnen, dass sie mit ihm rechnen kann, wenn es um die Verteidigung der imperialistischen Ordnung im Mittelmeerraum geht.

Aber Widerstand gegen Kürzungswahnsinn erfordert, dass diese imperialistischen Ordnung herausgefordert und nicht verstärkt wird.

Alex Callinicos ist Herausgeber des International Socialism Journal und Professor für Europäische Studien am King’s College in London. Der Artikel erschien zuerst in der englischen Zeitung Socialist Worker.
Übersetzung aus dem Englischen von Kerstin Andrä.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.