Suezkrise 1956: Das Ende des britischen Imperiums
Bis 1922 stand Ägypten direkt unter britischer Kolonialherrschaft. 1919 kam es zu einer Revolution gegen die britische Herrschaft. Daraufhin gründete das britische Königreich das Königreich Ägypten. Damit war Ägypten zwar formell ein souveräner Staat, doch der damalige ägyptische Herrscher König Faruk I. stand unter direktem Einfluss der englischen Krone.
Gegen den britischen Einfluss und die Monarchie gab es breite Protestbewegungen in Ägypten, die von Kommunist_innen und der Muslimbruderschaft angeführt wurden. Am 26. Jänner 1952 kam es zu riesigen Protesten und Ausschreitungen gegen die britische Präsenz im Land, im sogenannten „Kairoer Feuer“ wurden mehr als 750 britische Geschäfte in Brand gesetzt.
Nasser putschte sich zur Macht
Im Zuge dieser Massenbewegung, an der sich auch breite Teile der Arbeiter_innenklasse mittels Streiks beteiligten, gelang es dem Offizier Abdel Nasser, gestützt auf die Armee und bürgerliche Intellektuelle, einen Staatsstreich durchzuführen. Nach seinem Putsch verbot Nasser zuerst die Kommunistische Partei und linke Gewerkschaften und danach die Muslimbruderschaft.
Er setzte auch einige soziale Verbesserungen durch, ein Mindestlohn wurde eingeführt, Mieten wurden gesenkt, die Macht der großen Landbesitzer wurde durch Erhöhung der Steuern geschwächt. Nassers Regime wird oft als „Arabischer Sozialismus“ (ein scheinbar dritter Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus) bezeichnet.
1954 gelang es Nasser, mit den Briten ein Abkommen über den Abzug aller ihrer Truppen bis 1956 abzuschließen. Das steigerte seine Popularität in Ägypten und der arabischen Welt enorm, er wurde als der arabische Führer gesehen, der endlich die verhassten britischen Kolonialherren hinauswirft und gleichzeitig ein gerechteres Wirtschaftssystem auf die Beine stellt.
Verstaatlichung des Suezkanals
Am 26. Juli 1956 verkündete Nasser die Verstaatlichung des Suezkanals mit den Worten: „Alles was uns gestohlen wurde von den imperialistischen Unternehmen, diesen Staaten in Staaten, während wir vor Hunger starben, holen wir uns jetzt zurück. Im Namen der Nation, des Präsidenten der Republik erklären wir die „International Suez Canal Company“ zu einer ägyptischen Firma“.
Die Verstaatlichung des Suezkanals wurde in Ägypten bejubelt. Die ägyptische Arbeiterin Sahinda Maqlid erinnerte sich: „Als Nasser den Suezkanal verstaatlichte, war jeder auf seiner Seite. Sogar mein Mann Salah, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er beschuldigt wurde ein Mitglied der Muslimbruderschaft zu sein, sandte Nasser ein Telegramm, ‚Wir werden für dich kämpfen, wir werden auch das Militärgefängnis, in das wir für zwei Jahre gesperrt wurden, verteidigen‘.“
Großbritannien konnte und wollte die Verstaatlichung des Suezkanals nicht hinnehmen. Einerseits war der Kanal wirtschaftlich bedeutsam. Von den knapp 15.000 Schiffen, die 1955 den Suezkanal passierten, gehörte ein Drittel der britischen Krone. Andererseits konnte es die britische herrschende Klasse nicht hinnehmen, dass sich ihre ehemalige Kolonie gegen sie wandte.
Gemeinsam mit Frankreich – das Nasser feindselig gegenüber stand, weil der den algerischen Widerstand gegen die französische Besatzung finanzierte – planten sie Nasser zu stürzen und die Kontrolle über den Suezkanal zurückzugewinnen. So bereiteten Israel, Großbritannien und Frankreich eine Invasion Ägyptens vor. Ihre Pläne jedoch mit den beiden Weltmächten USA und Sowjetunion zu koordinieren, hielten sie nicht für nötig.
Widerstand gegen die Invasoren
Am 29. Oktober marschierten israelische Truppen im Gazastreifen und auf der Sinai-Halbinsel ein und rückten Richtung Suezkanal vor. Am 31. Oktober fingen die britischen und französischen Bombenangriffe an, am 6. November landeten die Briten in der schon fast völlig zerbombten Stadt Port Said. Das ägyptische Militär hatte der Wucht der Angriffe wenig entgegenzusetzen.
„Frauen waren ein wesentlicher Teil der Widerstandsbewegung, niemand kam auf die Idee, uns zu sagen, wir sollten wieder hinter den Herd zurückgehen.“
Doch die ägyptischen Massen wollten ihre kurz zuvor erlangte Freiheit nicht wieder abgeben. Angeführt von kommunistischen Organisationen und linken Gewerkschaften, die trotz Nassers Verbot noch immer existierten, gründeten sich im ganzen Land tausende Freiwilligen-Bataillone, die sich großteils selbständig Waffen und Verpflegung organisierten. Nasser stand dem Vorschlag einiger seiner Berater, die Waffenkammern aufzusperren, sehr skeptisch gegenüber.
Es entstand eine riesige Massenbewegung, die die gesamte ägyptische Bevölkerung umfasste. Es kam zu Sabotageakten, Anschlägen usw. Shahinda, damals Studentin, erzählte: „Wir alle wollten Ägypten verteidigen und die Invasoren rausschmeißen. Wir gründeten eigene Frauenbatallione im ganzen Land. Frauen waren ein wesentlicher Teil der Widerstandsbewegung, niemand kam auf die Idee, uns zu sagen, wir sollten wieder hinter den Herd zurückgehen“.
Fathallah Mahrus, zu Nassers Zeiten Fabrikarbeiter und Kommunist, berichtete: „Es ging uns nicht um Nasser, es ging uns um unser Heimatland. Die Imperialisten wollten unser Heimatland zurückerobern und die Verstaatlichung des Suezkanals rückgängig machen. Wir vergaßen alles, was Nasser uns angetan hatte, die Gefängnisse, die Folter, weil wir einen gemeinsamen Feind hatten. Alle Kommunisten dachten so.“
Die USA wollten den Alleingang ihrer Verbündeten nicht hinnehmen und erhöhten den diplomatischen Druck. Sie stoppten am 31. Oktober die Entwicklungshilfe für Israel, den Briten wurde mit dem Verkauf von Währungsreserven gedroht. Am 2. November wurde in der UN-Vollversammlung eine Resolution angenommen, die den sofortigen Rückzug Israels aus dem ägyptischen Territorium forderte.
Durch den diplomatischen Druck der USA und der Sowjetunion, und dank des heldenhaften Widerstandes der ägyptischen Bevölkerung, zogen sich die Aggressoren bis zum 7. März 1957 endgültig aus ägyptischem Territorium zurück. Nasser ging gestärkt aus der Suezkrise hervor, und die USA löste England endgültig als führende Weltmacht ab.