Der Matrosenaufstand von Cattaro
Als am 1. Februar 1918 im Adriahafen Cattaro 6.000 Matrosen auf 40 Schiffen der österreichisch-ungarischen Kriegsflotte die roten Fahnen hissten, war der große Jännerstreik von 1918 in Österreich eben erst beendet worden, hatte aber auf Deutschland übergegriffen und war dort noch lebendig.
Die beiden Bewegungen blieben aber voneinander getrennt und Kaiser Karl konnte sein Regime noch einmal stabilisieren und den Krieg weiter führen. Es dauerte weitere zehn Monate, bis ein erfolgreicher Matrosenaufstand in Kiel Anfang November 1918 die Revolution in Deutschland einläutete und den Krieg beendete.
Es hätte im Weltkrieg wohl hunderttausende Tote weniger gegeben und ein Erfolg der Matrosen in Cattaro hätte die Isolation der russischen Revolution durchbrechen können. Denn, während in Cattaro der Aufstand ausbrach, verhandelten Österreich-Ungarn, Deutschland, Bulgarien und die Türkei mit dem revolutionären Russland bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk. Der Aufstand hätte einen für das revolutionäre Russland günstigeren Abschluss erzwingen können, was große Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Geschichte gehabt hätte.
Matrosenleben in Cattaro
Ganz im Süden der Donaumonarchie, an der Grenze zwischen Kroatien und Montenegro, liegen die Buchten von Cattaro (heute Kotor). Cattaro war der zweitwichtigste Kriegshafen der österreichischen Marine, bestehend aus einer Kreuzerflotille, einem Flughafen und einem U-Boot-Hafen. Es war eine strategisch wichtige Basis, unter anderem als Stützpunkt für die Adria-Nachschublinie zur Balkanfront.
Die Flotte fuhr aber nur wenige Einsätze und die Besatzungen wurden permanent gedrillt, sie mussten häufig exerzieren und ständig sinnlose Arbeiten verrichten. Das Warten war zermürbend. Während die Matrosen karge Verpflegung bekamen und jahrelang keinen Urlaub, vergnügten sich die Offiziere bei üppiger Kost.
Soziale und politische Ursachen
Unzufriedenheit war aber nicht alleine ausschlaggebend für den Aufstand. Man war in der ganzen Donaumonarchie des Kriegs überdrüssig und hoffte auf baldigen Frieden. In Russland hatten im November 1917 die Sowjets (Arbeiter- und Soldatenräte) die Macht ergriffen und sofort Deutschland und seinen Verbündeten einen Waffenstillstand angeboten.
Die Bevölkerungen der kriegsführenden Nationen und vor allem die Soldaten waren voller Hoffnung. Große Teile der Arbeiter_innen und Soldaten waren begeistert von der russischen Revolution. Panik erfasste die Regierung. Kaiser Karl telegrafierte am 17. Jänner an den österreichischen Verhandler, seinen Außenminister Graf Czernin, nach Brest-Litowsk: „Ich muß nochmals eindringlichst versichern, daß das ganze Schicksal der Monarchie und der Dynastie von dem möglichst baldigen Friedensschluß in Brest-Litowsk abhängt … Kommt der Friede nicht zustande, so ist hier die Revolution, auch wenn noch so viel zu essen ist. Dies ist eine ernste Warnung in ernster Zeit.“
Während des Jännerstreiks (13. bis 20. Jänner 1918), der sich von Wiener Neustadt über Budapest und Wien nach Berlin ausbreitete, bildeten sich in Wien Arbeiterräte, die die Beendigung der Zensur, des Kriegsrechts, den Achtstundentag und mehr forderten.
Eine Reihe isolierter Aufstände
Diese politische Radikalisierung hatte auch die Soldaten und Matrosen in Cattaro erfasst. Am 1. Februar 1918 bildeten sie ebenfalls Räte nach russischem Vorbild und forderten die Gleichbehandlung aller Mannschaftsteile, die Demokratisierung der Regierung, einen sofortigen Frieden und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Es war eine durch und durch revolutionäre Bewegung.
Aber der Matrosenaufstand brach schon am 3. Februar wieder zusammen. Es gelang nicht die umliegenden Häfen zu besetzen. Bodentruppen wurden zusammengezogen und manche Schiffe beschossen. Am Wachschiff „Rudolph“ wurde ein Anführer, Bootsmann Sagner, dabei getötet, und Gegenwehr unterblieb. Auch eine Flotte von Pola wurde gegen die Flotte in Cattaro in Stellung gebracht. Vor allem blieb der Aufstand isoliert. Laut Julius Braunthal bemühte sich der sozialdemokratische Parteivorsitzende Viktor Adler persönlich, dass das auch so blieb. Er bekam die Informationen und Aufrufe aus Cattaro über Julius Braunthal und behielt sie für sich. Nicht nur das, er beriet auch die Delegation des Kaisers in Brest-Litowsk und trug so Mitschuld an der Verlängerung des Weltkriegs.
Der erfolgreiche Aufstand in Kiel im November dagegen konnte sich auf die Hafenstädte Norddeutschlands ausbreiten und die Arbeiter zum Aufstand bewegen. Als der Matrosenaufstand die Armee erfasste und die Generäle zugeben mussten, dass sie die Truppen nicht mehr kontrollierten, ergriff Kaiser Wilhelm II die Flucht.
Revolutionäre Welle
Diese Entwicklung hätte Österreich schon im Jänner und Februar 1918 vorwegnehmen können. Es kam nach dem Jännerstreik nicht nur in Cattaro zum Aufstand. Es gab Meutereien slawischer Truppen in Judenburg und Fünfkirchen. In Rumburg meuterten tschechische und in Budapest ungarische Truppen. Im Kriegshafen von Pola (Pula) streikten Arbeiter und Matrosen.
Nationale Unabhängigkeitsbestrebungen, soziale und politische Unruhen erschütterte die Monarchie, die Angst von Kaiser Karl vor einer Revolution im Februar 1918 war absolut berechtigt.
Manfred Ecker spricht am antikapitalistischen Kongress „Marx is Muss“ über die österreichische Revolution 1918/19. Er ist leitender Redakteur der Zeitung "Neue Linkswende". Weitere Infos: www.marxismuss.at