Warum flüchten die Syrer?

Zwei Youtube-Videos haben sich in letzter Zeit weltweit verbreitet, zwei Videos, die Ursache und Wirkung sehr gut darstellen. Das erste zeigt gutgelaunte Soldaten des Assad-Regimes, die Fassbomben aus einem Flugzeug werfen, im anderen ist eine ungarische Jobbik-Kamera-frau zu sehen, die einem Flüchtling das Bein stellt.
5. Oktober 2015 |

Bisher hatte Assad immer behauptet, er würde diese schreckliche Waffe – Fässer mit Sprengstoff und Schrapnellen gefüllt – nicht einsetzen. Syrische Aktivist_innen wie auch Amnesty International aber berichten, dass das Regime diese Bomben auf zivile Wohngegenden wirft.

Fassbomben alleine haben seit 2012 über 11.000 Menschen getötet, nur im letzten Monat wurden 85 davon auf die Stadt Aleppo abgeworfen. Seit 2011 musste die Hälfte der syrischen Bevölkerung ihre Wohnorte verlassen. Eine syrische Aktivistin beklagt in einem Statement: „Wir Syrer wurden eingesperrt, gefoltert, man ließ uns „verschwinden“ und ließ uns verhungern. Und jetzt sind die größten Killer die Bomben geworden, die aus den Flugzeugen und Helikoptern des Regimes jeden Tag auf unsere Nachbarschaften geworfen werden.“

Bomben auf Zivilist_innen

Während jedoch die Schreckenstaten, die der IS begeht, in den westlichen Medien ein, auch gut verkäufliches, Dauerthema sind, wird das Assad-Regime zunehmend milder gesehen. Was auch damit zusammenhängt, dass man sich in Europa erhofft, eine Lösung in Syrien, auch unter Einschluss des Regimes, würde weitere Flüchtlinge verhindern. Die nackten Zahlen sprechen für sich: Mit Luftangriffen und Bombardements sind durch Regime-Truppen sieben mal mehr Zivilist_innen umgekommen als durch Angriffe des IS.

Mit Luftangriffen und Bombardements sind durch Regime-Truppen sieben mal mehr Zivilist_innen umgekommen als durch Angriffe des IS.

Der Flüchtling Abou Adnan berichtet aus den östlichen Vororten von Damaskus, genauer aus Ost-Ghouta, dass sein Viertel von Assad-Truppen völlig abgeriegelt wurde – eine Gegend übrigens, die schon 2013 mit Giftgas angegriffen worden war – und dass er kurz vor seiner Flucht durchschnittlich acht Bombenangriffe pro Tag gezählt hat. Ärzte ohne Grenzen berichtet für August von „heftigen Bombardierungen an 20 aufeinanderfolgenden Tagen im belagerten Ost-Ghouta“, wo sie 13 provisorische Untergrundkliniken unterstützt. Jedes vierte Opfer – ob tot oder verletzt – war ein Kind unter fünf Jahren.

Hoffnung sinkt – IS rekrutiert

In den syrischen Städten sind sämtliche Bildungseinrichtungen und das gesamte wirtschaftliche Leben unter den Bomben zusammengebrochen. Für den IS ist es dann manchmal einfach, junge Leute zu rekrutieren, indem man ihnen ein regelmäßiges Gehalt verspricht, mit dem sie ihre Familien ernähren können. Der IS profitiert von der Wut über die Bomben und über die Untätigkeit der Großmächte.

Die Hoffnungen, dass in Syrien irgendwann wieder Verhältnisse herrschen, unter denen man sicher leben kann, zerschlagen sich jeden Tag mehr. Die Nah-Ost-Analystin des Standard, Gudrun Harrer, stellt fest, dass unter den Flüchtlingen immer mehr Mittelstandsfamilien sind, die Besitz zurücklassen. Viele, die in den Nachbarländern unter schrecklichen Bedingungen ausgeharrt haben, die eigentlich zurückkehren wollten, haben nun aufgegeben.

Bombardements als Lösung?

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Ein weiterer Faktor, der die Syrer_innen in die Flucht treibt, sind die Luftangriffe der US-geführten Allianz. Gudrun Harrer schreibt: „Die Menschen fliehen nicht nur vor dem IS, sondern auch vor dem Luftkrieg gegen den IS.“ Mit den angedrohten Luftangriffen Frankreichs und dem militärischen Eingreifen Russlands wird der Krieg in Syrien weiter eskalieren, es werden, natürlich „kollateral“, noch mehr Zivilist_innen sterben – wie schon bei den vergangenen Kriegen des Westens in der Region, die die Initialzündung für alles waren, was jetzt an Tod und Elend stattfindet.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.