Ein syrischer Flüchtling erzählt vom Assad-Regime

Neue Linkswende sprach mit dem syrischen Flüchtling Sobhy Sa AK (Künstlername) über Fluchtgründe wie den Islamischen Staat und das Assad-Regime.
5. Oktober 2015 |

Neue Linkswende: Warum musstest Du Syrien verlassen?

Sobhy: Ich habe in Aleppo studiert, als man mich zum Militär einziehen wollte. Ich wusste, wenn ich gehe, komme ich nicht mehr zurück. Außerdem hatten sich meine engsten Freunde, Familien, die zuvor für das Assad-Regime gearbeitet hatten, gegen Assad und auf die Seite der syrischen Revolution gestellt. Daraufhin kam die Geheimpolizei und hat alle verhaftet. Ich war zu meinem Glück gerade in einer anderen Gegend und konnte so entkommen. Ich habe mich dann bei Bekannten versteckt, bis ich mit geborgtem Geld das Land verlassen konnte.

Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Faktoren, warum Menschen Syrien verlassen?

Der wichtigste Fluchtgrund heißt Assad. Wir haben demokratische Freiheiten gefordert und soziale Gerechtigkeit für die Armen. Wir haben friedlich mit Blumen in den Händen demonstriert. Doch Assad hat in die Menge schießen lassen.

Wir haben demokratische Freiheiten gefordert und soziale Gerechtigkeit für die Armen.

Als die Proteste immer größer wurden, sagten die Assad-Anhänger: Wenn Assad nicht bleibt, verbrennen wir das ganze Land. Das hatte zur Folge, dass etwa in Aleppo die gesamte Infrastruktur zerstört wurde: Kein Wasser, kein Strom, keine Schulen, die Universität wurde durch einen Luftangriff des Regimes zerstört.

Welche Rolle spielen religiöse Zugehörigkeiten? Man sagt die Alawiten stünden hinter dem Regime?

Es stimmt, dass viele in Regierung, Armee usw. Alawiten sind, doch für mich spielt die Religion keine Rolle. Ich respektiere eine Person für ihre Menschlichkeit, unabhängig welcher Religion sie angehört. Für mich gibt es auch nicht „schiitische“ oder „sunnitische“ Milizen. Ich nenne diese politischen Organisationen bei ihren Namen und nenne sie niemals „schiitisch“ oder „sunnitisch“.

Ist der sogenannte „Islamische Staat“ ein Fluchtgrund?

Zuerst muss ich sagen, dass es ohne den Krieg Assads gegen die eigene Bevölkerung keinen IS in Syrien gäbe. Assad hat die Revolution von Anfang an als „islamistisch“ denunziert. Aber er hat die Islamisten immer geschont. Wenn in einem Gebiet IS-Truppen sind, greift Assads Armee lieber benachbarte Zivilisten an. Hunderttausende von uns kann er töten, aber den IS kann er nicht effektiv bekämpfen? Die Hinrichtungsvideos des IS helfen vor allem dem Regime. Dessen Anhänger teilen diese Videos immer wieder um Propaganda für das Regime zu machen.

Es macht mich wütend, dass in Europa alle über den IS reden und die Grausamkeiten des Assad-Regimes völlig vergessen.

Möchtest Du noch etwas Persönliches loswerden?

Es ärgert mich, wenn manche Leute hier sagen, wir kämen nach Europa wegen des Geldes oder wegen der Sozialleistungen, nicht weil wir in Syrien in Lebensgefahr waren.

Wenn ich persönlich nach Syrien zurückkehre, möchte ich nicht unter diesem Regime leben, ich würde versuchen, die Revolution auf eine neue Art wieder zu beleben.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.