Wie aus der Regierungskrise eine echte Krise machen

Die Opposition muss den aufgelegten Elfmeter, die Rebellion gegen die schwarz-blaue Regierung vom 18. Mai am Ballhausplatz, in eine politische Bewegung verwandeln. SPÖ und Grüne dürfen nicht den Fehler des Präsidentschaftswahlkampfes wiederholen und die Vielen, die gegen Norbert Hofer aktiv geworden sind, im Regen stehen lassen.
19. Juni 2019 |

Rund heraus: Die Opposition muss radikal anders tun, als bisher. Sie muss erstens die bestehenden Verhältnisse kritisieren. Sie muss ein System angreifen, das den Menschen jahrelang Versprechungen gemacht hat, ihren Kindern werde es einmal besser gehen, und das durch seine inhärente Profitlogik unfähig ist, die Klimakatastrophe zu bewältigen. Die Opposition muss Hoffnung auf eine Veränderung nähren – auf Gerechtigkeit und internationale Solidarität – und ja, verdammt noch mal aussprechen: Kapitalismus ist ein Scheiß-System, in dem die Mehrheit auf der Strecke bleibt, während sich ein paar Wenige die Taschen vollstopfen!

Der drängende Wunsch nach Veränderung, das ist des Pudels Kern, das Geheimnis des Erfolgs der FPÖ und nunmehr auch der neuen türkisen ÖVP. Sie signalisieren, dass mit ihnen kein Stein auf dem anderen bleiben wird. 49 Prozent der FPÖ-Wähler_innen gaben in der SORA-Wahltagsbefragung bei der letzten Nationalratswahl an, dass sich Österreich negativ entwickelt habe, gleich gefolgt von 30 Prozent der ÖVP-Wähler_innen.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz wirbt im Wahlkampf mit „Die Veränderung hat erst begonnen“, und die FPÖ verbreitet nach Ibiza mit dem Slogan „Mehr denn je“ eine Trotzreaktion, die den gleichen Effekt haben könnte. Allerdings lenken sie die verständliche Unzufriedenheit Vieler in rassistische Bahnen. Nur geht es mir selbst nicht besser, bloß weil es Schwächeren noch schlechter geht.

Offene Grenzen!

Das bringt uns zum zweiten Punkt. Die Opposition muss zugleich aufhören, Zugeständnisse bei Rassismus zu machen. Ganz im Gegenteil, sie muss eine klare Kante gegen die Hetze gegen Flüchtlinge und Muslim_innen zeigen. Das heißt auch, dass die SPÖ einen offenen Kampf gegen die Doskozils in der Partei führen muss. Doskozil, Fürsprecher des rechten Flügels in der Partei, erklärte offen, dass Kurz in der Migrationsfrage „kein politisches Feindbild“ sei. Die Versuche, die schwarz-blaue Regierung rechts zu überholen – etwa bei der Kritik, dass die Koalition die Aufstockung der Frontex-Beamten im Mittelmeer nicht durchgesetzt habe – sind eine Katastrophe!

Uns, die wir in der antirassistischen Bewegung aktiv sind, verwundern die Umfragen gar nicht: Die Europäische Wertestudie zeigte in den letzten zehn Jahren für Österreich einen gewaltigen Rückgang bei allen Formen von Rassismus und Diskriminierung, nur ein Beispiel: von 2008 bis 2018 ist die Zahl der Menschen, die Muslime nicht als Nachbarn haben wollen, von 32 auf 21 Prozent gesunken.

Die SPÖ muss auf die solidarische Mehrheit im Land bauen, ihnen Mut zusprechen und ihre Mobilisierungen auf der Straße aktiv unterstützen. Es gibt jedenfalls überhaupt keinen Grund, den Rassisten auf den Leim zu gehen, wonach das „Boot voll“ sei. Die beste, weil offensivste Forderung wäre: Öffnet die Grenzen! Flüchtlinge und Muslime sind hier willkommen!

Klassenkampf

Drittens, die Rebellion des 18. Mai am Ballhausplatz – die zehntausenden Menschen, die den Kanzler nach Ibiza auf Neuwahlen festgenagelt haben – muss in eine politische Bewegung verwandelt werden. Hier laufen auch die beiden ersten Punkte zusammen. Die SPÖ brauchte eine ganze Woche (!), um irgendeine Linie in der Regierungskrise zu finden, und wir waren zurückgeworfen, schon den Misstrauensantrag gegen Kurz zu feiern, weil wir sogar das der Sozialdemokratie nicht mehr zugetraut haben.

Dieser Schritt, die Absetzung des Kanzlers von oben, forderte einen hohen Preis: man ging einen Pakt mit dem Teufel ein und führte vorab Gespräche mit der freiheitlichen Parlamentsfraktion. Das war nicht alternativlos. Die Parteispitze hätte erneut die Massen auf die Straßen rufen und vor allem in den Betrieben mobilisieren können. Wahrscheinlich hätte allein schon die Drohung mit einem Generalstreik Kurz zum Rückzug gezwungen.

Noch ist es nicht zu spät. Die Opposition muss auf die Menschen des 18. Mai, die jetzt Feuer und Flamme sind, zugehen und sollte auf eine richtige Politik von unten setzen. Ein bisschen Ringblockade, die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer zum Verzweifeln bringen, Gelbwesten, ein bisschen den ökonomischen Muskel trainieren und Betriebe lahmlegen, ein bisschen Massenmobilisierung auf den Straßen – und mein Gott, ja, dann fliegen halt auch einmal ein paar Steine.