Zwei Arme derselben Bewegung
Da gibt es die Parlamentspartei, da gibt es den Aktivismus, da gibt es die sogenannten Alternativmedien – aber im Bewusstsein, dass man auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet“, sagt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands über die verschiedenen Akteure in der österreichischen Rechten. Sellner selbst formuliert in einem AULA-Artikel aus 2015, das patriotische Lager in Österreich sei „wie eine Fußballmannschaft“, es gebe „Stürmer, Verteidiger und Torleute, also Personen mit verschiedenen Aufgabenbereichen.“ Das Verhältnis zwischen der FPÖ und den Straßenrechtsextremen ist zutiefst strategisch: Je nachdem wie präsentabel man sich im aktuellen politischen Klima zeigen muss, wird die Leine mal länger mal kürzer gefasst. So war die FPÖ unter Hofer sehr darauf bedacht, sich nach außen von der Neuen Rechten abzugrenzen. Es galt die Regel, dass FP-Mandatare nicht Mitglied der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) sein dürfen, Inserate in Medien der Identitären wurden eingestellt, alle öffentlichen Sympathiebekundungen und Beziehungen gekappt. Unter einem „Volkskanzler“ Kickl weht ein ganz anderer Wind. Bei einer Veranstaltung in Seekirchen im November 2023 macht er deutlich: „Also wie gsogt, do wird‘s rauschen, und do wird‘s natürlich auch Verletzungen und Verwundungen geben. Das ist mir vollkommen klar, das geht gar nicht anders. Weil‘s um alles geht, ist mit allem zu rechnen.“ Ohne eine militante faschistische Straßenbewegung lassen sich Kickls Gewalt- und Vernichtungsfantasien gar nicht realisieren. Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, dass wir im letzten Jahr ein intensives Zusammenrücken der FPÖ und Neuen Rechten beobachten: Mit Kubitschek wurde im November die gesamte deutsche rechtsextreme Szene in die FPÖ-Klubräumlichkeiten im Parlament eingeladen. Nachdem im Februar die „Remigration“-Skandaltreffen in Deutschland bekannt wurden, setzte man sich auch hierzulande in der Bude der Österreichischen Landsmannschaft an einen Tisch. Harald Vilimsky führte Vertreter rechtsextremer Medien der Identitären durchs Europa-Parlament in Brüssel. Wie es der FP-Nationalratsabgeordnete Michael Schnedlitz sagt: „Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei.“ Mehr als einmal hat er sich in den letzten Jahren mit Identitären ablichten lassen und dabei breit grinsend das für rechten Terrorismus stehende „White Power“ Zeichen gemacht, das seit 2019 offiziell als Hasssymbol gelistet ist.
Der Fisch stinkt vom Kopf:
Auch die FPÖ-Spitzenkandidatin für Salzburg – Marlene Svazek – beteiligte sich an diesem Fototrend. Dass die oberste Führungsriege der Partei ungeniert mit Identitären rechte Attentäter feiern kann, zeigt wieder mal: Der Fisch stinkt vom Kopf. Erstmal in Zahlen greifbar wurde die FP-Politiker Unterstützung für die Identitären durch einen Verfassungsschutzbericht aus 2019, der Mitglieder und Spender der Identitären Bewegung erfasste, darunter mehrere bekannte FPÖ-Politiker aus Salzburg, Graz und Niederösterreich. Im selben Bericht ist die (dem BVT bekannte) Bewaffnungslage der IBÖ vermerkt: jedes 5. der 364 Mitglieder, 75 gesamt, besaßen eine Schusswaffe, 32 waren wegen Gewaltdelikten oder nach dem Verbotsgesetz bereits rechtskräftig verurteilt. In Oberösterreich kandidierte 2019 ein auf dieser Liste erschienener FPÖler sogar für den Nationalrat. Die Kandidatur wurde auf öffentlichen Druck hin zurückgezogen. Dabei befände er sich dort in bester Gesellschaft! So unterstützte die ehemalige Dritte Nationalratspräsidentin Annelies Kitzmüller, die Identitären mit geschickt eingesetztem Amtsmissbrauch: Sie wertete einen Antrag auf Verbot und Auflösung der IBÖ als abgelehnt, obwohl die Mehrheit der Abgeordneten dafür stimmte– dafür erntete sie eine Anzeige. Zudem wurden Fälle bekannt, bei denen Nationalratsabgeordnete Identitäre als Mitarbeiter beschäftigten, beispielsweise arbeitete Alexander Schleyer als Mitarbeiter des Abgeordneten Christian Höbart, kurz bevor er sich mit Sellner persönlich auf ein Boot im Mittelmeer begab, um Flüchtlingsboote zu attackieren. Das letzte Mal, als die FPÖ in der Regierung war, arbeiteten Identitäre auch nachweislich in vier FPÖ-geführten Ministerien. Mit den Fußabtreter-Posten muss man sich als strammer Nazi in der Partei aber nicht zufriedengeben: Der Fall Strache hat gezeigt: selbst wenn man sich mit Neonazis im Wehrtraining auf den Bürgerkrieg vorbereitet, kann man es in der FPÖ bis zum Vize-Kanzler schaffen – vielleicht genau deswegen.
Narrenfreiheit auf Landesebene
Mit der von Schnedlitz so verpönten „Distanziererei“ hat man es auf Landesebene nie so genau genommen. Unter Kickl entwickelt sich jedoch auch hier ein deutlicher Schwenk zum rechtsäußersten Rand.
In Salzburg führt Paul Dürnberger die FPÖ-Liste für den Gemeinderat an, ein Identitärer, der noch vor wenigen Monaten Fahne schwenkend an einer „Remigrations“-Demo teilgenommen hatte. Auf Listenplatz 3 folgt Erwin Enzinger – er ist in der Vergangenheit gemeinsam mit Neonazis der National Partei Österreich aufgetreten und bietet auf Facebook „kostenlos jeder ein Kopfschuss“ für Flüchtlinge an. Dominic Maier (Platz 13) netzwerkt beim Identitären-lastigen Berg-Kongress mit Rechtsextremen der Vorarlberger Freien Bürgerpartei und dem Tiroler Widerstand.
In Steyregg bei Linz befindet sich das Klubhaus „Castell Aurora“ der Identitären Bewegung – eine Drehtüre für die Stars der österreichischen und deutschen rechtsextremen Szene, inklusive FPÖ und AFD-Politikern. Zuvor hatten die Identitären ihren offiziellen Linzer Hauptsitz in der Villa Hagen. Diese gehört dem Verein Studentenheim Urfahr, zu dem Zeitpunkt saßen mehrere lokale FP-Politiker (Wolfgang Grabmayr, Wolfgang und Anneliese Kitzmüller) im Vorstand. Auch die FPÖ-nahe Burschenschaft Arminia Czernowitz hat hier ihren Sitz. In Oberösterreich ist auch das Freiheitliche Bildungsinstitut angesiedelt. Bei ihrer „Metapolitik-Akademie“ – schon der Name ist aus dem Sprachjargon der Neuen Rechten – traten letzten Sommer die Starköpfe der Szene auf: Martin Semlitsch, Felix Menzel, Benedikt Kaiser und Erik Lehnert.
Die „Remigrationstour“ 2023, der IBÖ durch Oberösterreich war eigentlich eine Erfindung der Freiheitlichen Jugend, die im Vorjahr mit demselben Label auf Tournee ging.
Auch die bekannten Gesichter der IBÖ Steiermark kommen fast alle ursprünglich aus den Reihen der FPÖ und FP-Jugendorganisationen, so etwa: Luca Kerbl, Harald Wiedner, Peter Dingsleder und Siegfried Waschnik. Nicht verwunderlich, schließlich hatten die Identitären über lange Zeit ihren Grazer Hauptsitz in der Wohnung des FPÖ-Gemeinderates Heinrich Sickl, der auch auf der vom BVT geleakten Mitgliederliste der IBÖ aufscheint. Nach erfolgreichen „Aktionen“ war es üblich, dass sich FPÖ und Identitäre gemeinsam im Lokal Gehringer besaufen. Nachdem Sickl auf öffentlichen Druck hin das Mietverhältnis aufkündigen musste, und das Gehringer den Besitzer wechselte, mussten neue Keller her, in denen man als Rechtsextreme unter sich sein konnte: es entstand das Identitären-Zentrum „Kulturfestung“ in Mitterfladnitz. Einige medienwirksame Skandale brachten 2019 Turbulenzen in die steirischen IBÖ-FPÖ Beziehungen, inzwischen sieht sich die Partei jedoch nicht mehr zu Abgrenzung genötigt. Ganz ungeniert wurde dem Sommerfest der Identitären 2023 eine kleine Aufmerksamkeit der Grazer FPÖ über 1.000 Euro zuteil.
Die Vernetzung zwischen der Neuen Rechten und FPÖ hat eine starke örtliche Konzentration in Wien, Graz, Linz und Salzburg, das liegt schlicht daran, dass in diesen Städten die Identitären aktiv sind.
Deine Bude – Meine Bude
Auch in Wien organisiert die FPÖ die Räumlichkeiten der Identitären: für das inoffizielle Vereinslokal der IBÖ in der Ramperstorffergasse 31 wurden Kaufverträge zwei Mal unter dem Notar Harald Stefan abgeschlossen, der war zu jenem Zeitpunkt Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei Österreichs. Ein weiteres örtliches Bindeglied sind die Räumlichkeiten der Sängerschaft Barden zu Wien, die mit dem Eintritt Martin Sellners zu einem regelrechten Nest für Identitäre geworden ist, und in deren Haus auch Informationsveranstaltungen der IBÖ abgehalten wurden. Auch hochrangige FPÖ-Politiker kommen aus ihren Reihen, so zum Beispiel Dominik Nepp, der sich auch mit den identitären Kadern Philipp Huemer und Fabian Rusnjak am Stammtisch des Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) trifft.
RFS
Studentische Verbindungen, insbesondere die deutschnationalen Burschenschaften, sind die Kaderschmieden des österreichischen Rechtsextremismus. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass gerade der RFS und der Freiheitliche Akademiker Verband (FAV) Zulieferer der Neuen Rechten sind. Mitbegründer der IBÖ Österreich und ein führender Kader der europäischen Rechtsextremen ist Alexander Markowics. Er hat seine Karriere beim RFS begonnen – inzwischen veröffentlicht er geopolitische Analysen im NPD-Magazin Deutsche Stimme, ist Pressesprecher der Gesellschaft zur Förderung des Österreichisch-Russischen Dialogs und ist Chefredakteur der akademisch-verschwörungstheoretischen Zeitschrift Agora Europa. Ein weiteres IB-Mitglied der ersten Stunde, und jahrelang im RFS aktiv, war Mario Singer. Auch der Polizist und RFS-Spitzenkandidat für die ÖH-Wahl 2023 Peter Leskosek, schlägt in diese Kerbe: er war Veranstalter der Kundgebung vor der Wiener Universität mit Götz Kubitschek. Ihren Hauptsitz hat der RFS übrigens gemeinsam mit der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Freiheitlicher (AUF) in der Florianigasse 16, der gleichen Adresse, in der die Wiener NSDAP bis 1930 ihre Parteizentrale hatte.
Organisierung im Vorfeld: RFJ
Die Freiheitliche Jugend (ehemals RFJ) hat dieselben historischen Vorbilder, dafür reicht ein Blick auf ihre Bundeshymne. „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ wurde ursprünglich für die Hitlerjugend komponiert. Kein Wunder also, dass in dieser Schule identitäre Hardliner ausgebildet werden. Ein paar nennenswerte Beispiele sind:
Stefan Juritz: Identitärer Medienmacher, Chefredakteur des Freilich Magazins, ehemals RFJ-Obmann in Deutschlandsberg
Elias Maria Schuch: langjähriger Kader der IBÖ ist inzwischen Leiter der Freiheitlichen Jugend Korneuburg
Fabian Rusnjak: IBÖ-Mitbegründer lässt sich 2019 am RFJ-Stammtisch mit Dominik Nepp fotografieren
Martin L.: ein Grazer Mitglied der RFJ und IBÖ, wurde 2023 wegen Wiederbetätigung verurteilt
Roman Möseneder: ehemals Obmann der RFJ Salzburg, seit Jugendjahren in identitären Kreisen
Annarita Menegus: war Obfrau der RFJ Wien Wieden und ist gern gesehene Aktivistin auf IB-Veranstaltungen
Jan Staudigl: ein IBÖ Mitläufer und RFJ Sprecher der sich durch besonderes Engagement in der Coronaverschwörungsszene hervortat
Zwischen RFJ und Identitären gibt es nicht nur große personelle Überschneidungen, auch in Inhalt, Rhetorik und Strategie sind die beiden Organisationen inzwischen kaum zu unterscheiden. So war die „Remigrationstour“ 2023 der IBÖ durch Oberösterreich eigentlich eine Erfindung der Freiheitlichen Jugend, die im Vorjahr mit demselben Label auf Tournee ging. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass zwischen FPÖ-Vorfeldorganisationen und IBÖ auffällige Gleichzeitigkeiten in der Mitgliedschaft nicht ausgeschlossen, aber doch eher vermieden werden, weswegen eine rege Fluktuation von Mitgliedern zwischen den beiden Organisationen herrscht.
Verbindungen zur „Alten Rechten“
Die Verbindungen der FPÖ zur sogenannten „Alten Rechten“: Skinheads, rechten Hooligans, wie auch der einschlägigen Musikszene bleiben punktuell und ergeben sich aus Gesinnungsüberschneidungen, nicht aus strategischem Kalkül. Die alten Neonazis, die sich in ihren Kellern verkriechen und im Untergrund organisieren, sind für einen militanten Straßenflügel nicht zu gebrauchen. Im Gegenteil stellen sie eher eine Gefahr für die FPÖ dar, da sie in ihrem leichtfertigen Ignorieren des Verbotsgesetzes, jede demokratische Hülle des Faschismus platzen lassen.
Die braun-blaue Suppe unterscheidet sich nicht ideologisch oder personell, sondern nur in der Arbeitsteilung.
Sehr wohl aber gibt es Verbindungen über „Scharnierorganisationen“, die Kontakte zur FPÖ und zum Neonazimilieu gleichermaßen pflegen. So etwa die Gesellschaft für Völkerfreunde, denen auch der Gründer der Nationaldemokratischen Partei (NDP) Herbert Fritz angehört. Um ihn aus den Klauen der Taliban zu retten, reiste eine FPÖ-Delegation letztes Jahr sogar nach Kabul. Direkte Kontakte der FPÖ konnten auch zum rechtsextremen Personenkreis rund um die ehemals existierende Website alpen-donau.info nachgewiesen werden, die heute in Form der Tarnorganisationen „Infokanal Deutschösterreich“, „Sozialismus jetzt“ „Unwiderstehlich“ und „Gruppe für Sport und Technik“ aktiv ist. Alpen-Donau.info bezeichnete die FPÖ sogar als „Vorfeldorganisation, die uns Unterschlupf gewährt und auf deren Strukturen wir zurückgreifen können.“ Eine Schlüsselfigur in diesem Kreis ist der vielfach verurteilte Neonazi Gottfried Küssel. Küssel selbst kandidierte einst für die FPÖ im Gemeinderat und pflegt bis heute rege Kontakte ins blaue Lager.
Heimat im Herzen, Waffen im Keller
Einige in der FPÖ überlassen die „schmutzige Arbeit“ nur ungern den jungen Burschen der Neuen Rechten. Sie legen lieber selbst Hand an. 2021 wurde bei einer Hausdurchsuchung des ehemaligen Nationalratsabgeordneten Hans-Jörg Jenewein ein Schlagring, Munitionsteile sowie Handyfotos mit NS-Bezug gefunden. Ein Jahr darauf fand man bei einem Ex-FPÖ Gemeinderat in Knittelfeld 22 Faustfeuerwaffen, 16 Langwaffen, Munition, Säbel und Dolche, sowie jede Menge NS-Devotionalien. „Haufenweise NS-Material“ wurden auch kürzlich bei mehreren FPÖ-Funktionären in der Steiermark gefunden. Das geschah im Zuge einer Untersuchung wegen Amtsmissbrauch, allein bei Roland Lohr, dem Ex-Büroleiter des Grazer Ex-Vizebürgermeisters Mario Eustacchio waren es 2587 nationalsozialistische Schriftstücke in Kombination mit Darstellungen von Kindesmissbrauch. Lohr hat sich Ende April offenbar das Leben genommen, kurz davor ist Eustacchio mit Lohrs frei gewordenem Mandat als Parteiloser wieder in den Landtag eingezogen.
Alerta, alerta
Wenn man sich die Kundgebungen der IBÖ auf der Straße ansieht, muss man zu dem Schluss kommen, dass die gar nicht so viele Leute haben, wie es Verbindungen zur FPÖ gibt. Die braun-blaue Suppe unterscheidet sich nicht ideologisch oder personell, sondern nur in der Arbeitsteilung. Will die FPÖ, wie wir glauben, ihren Machtanspruch gegen die antifaschistischen Kräfte durchsetzen, so braucht sie eine Straßenbewegung, die stark genug ist, politische Gegner einzuschüchtern und die bereit, ist, die Ideen der extremen Rechten notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Die Identitären hingegen, brauchen eine Kraft in der Regierung, die ihnen die Maulkörbe abnehmen kann, denn momentan machen ihnen neben dem massiven Widerstand aus der Bevölkerung, vor allem auch die demokratische Rechtslage Probleme. Kickl, der ja schon angekündigt hat, unter ihm werde „das Recht der Politik folgen“, ist für sie ein perfektes Match.
Eine massenhafte antifaschistische Mobilisierung kann diese brandgefährliche Verbrüderung leicht im Keim ersticken, dafür braucht es aber den bedingungslos solidarischen Schulterschluss mit allen Gruppen, die täglich im Visier der Faschisten sind.