Zweiparteiensystem in Spanien zerbricht: Linke ist Gewinner der Wahl

Die Wahlen in Spanien am Sonntag brachten politische Instabilität – starke Zugewinne für die linke Partei Podemos, keine Aussicht auf eine haltbare Regierung und eine Schlüsselrolle für die katalanischen Nationalisten. Jetzt kommt es darauf an, den Widerstand zu vertiefen, schreibt Andy Durgan in Barcelona.
22. Dezember 2015 |

Die Wahlen im spanischen Staat letzten Sonntag haben die politische Instabilität weiter erhöht. Die größten Zugewinne gab es für die Linke. Weitverbreitete Korruption und grausame Austerität haben das politische System seit dem Ende der Franco-Diktatur im Jahre 1977 schwer erschüttert. Die konservative Volkspartei (PP) gewann die Wahlen zwar mit 29 Prozent der Stimmen, verlor aber beinahe vier Millionen Stimmen seit der letzen Wahl 2011.

Mit 22 Prozent der Stimmen hatte die sozialdemokratische Sozialistische Partei (PSOE) ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1977. Sie verlor zwei Millionen Stimmen seit 2011 und sechs Millionen seit sie die Wahl 2008 gewonnen hatte. Die beiden Parteien zusammen sackten auf 51 Prozent ab, von 73 Prozent bei den letzten Wahlen und 84 Prozent im Jahre 2008. Das bedeutet das Ende des Zweiparteiensystems.

Podemos ist Gewinner

Die neue rechtspopulistische Partei Ciudadanos („Staatsbürger“) schnitt deutlich schlechter ab als erwartet. Der wirkliche Gewinner der Wahlen ist Podemos. Nach nur zwei Jahren ihres Bestehens gewann die Partei 21 Prozent der Stimmen, den Umfragen zum Trotz, die ihr weniger Stimmen vorausgesagt hatten. Sie gewann fünf Millionen Stimmen – nur 400.000 weniger als die PSOE.

Podemos und ihre Verbündeten haben in Katalonien und im Baskenland gewonnen. In Madrid, Valencia, Galicien, Navarra und auf den Balearischen Inseln belegten sie den zweiten Platz hinter der Volkspartei. Insbesondere in den städtischen Arbeitervierteln bekamen sie die meisten Stimmen.

Erfolg feiern, kritisch bleiben

Zweifellos hat Podemos den politischen Ton über das letzte Jahr gemäßigt. Die Partei hat bewusst ein „sozialdemokratisches Programm“ angenommen und spektakuläre Kandidaten, wie den ehemaligen NATO-General Julio Rodríguez, in die Wahllisten aufgenommen. All das war Versuch breitere Wählerschichten zu gewinnen. Dennoch ist ihr erfolgreicher Auftritt auf der Wahlbühne ein Erfolg für die Linke.

„Podemos ist ein nützliches Werkzeug für die Bewegung“

„Podemos ist ein nützliches Werkzeug für die Bewegung“

In Katalonien, Valenica und Galicien – also Gegenden, in denen sie besonders gut abschnitt – kandidierte Podemos in Koalitionen mit Kräften links von ihr. Die Stimmungen auf den riesigen Wahlveranstaltungen von Podemos haben gezeigt, dass ihre Unterstützer_innen wirkliche Veränderungen erwarten. Die Linke  muss den Sieg begrüßen, aber kritisch bleiben, während sie die größtmögliche Einheit im Kampf sucht.

Keine stabile Regierung möglich

Das Verhältniswahlrecht sichert zwar kleineren Parteien die Vertretung im Parlament, verzerrt allerdings das Bild zugunsten von ländlichen und eher konservativen Regionen. Obwohl die Vereinigte Linke (IU), angeführt von der Kommunistischen Partei, respektable 920.000 Stimmen erhielt, bekommt sie nur zwei Abgeordnete, wo sie auch selbst Kandidat_innen aufstellte. In anderen Regionen gewann IU ein paar Sitze, wo sie mit Podemos und anderen angetreten war.

Parteien, die man weitestgehend zur Linken zählen kann, haben mehr Stimmen als die Rechten gewonnen. Aber es gibt keine klare Mehrheit für eine Partei oder mögliche Koalition. PP hat 123 Abgeordnete, PSOE 90, Podemos 69 und Ciudadanos 40. Die parlamentarische Arithmetik macht jegliche stabile Koalition unwahrscheinlich. Selbst wenn Ciudadanos einer Regierung mit der PP beitritt, hat die Rechte keine Mehrheit.

Bruchlinien

Aber genauso wenig gibt es eine klare linke Mehrheit. Podemos hat zwar wiederholt ausgeschlossen, einer Regierung unter Führung der PSOE beizutreten, aber nicht jegliche Form von Zusammenarbeit. So ein Übereinkommen müsste auf einer Verfassungsreform basieren – inklusive einer Wahlreform und der Verteidigung sozialer Errungenschaften.

Nationale Bewegungen, vor allem in Katalonien, sind eine weitere entscheidende Bruchlinie. Die politische Krise des spanischen Staats hat auch die Unabhängigkeitsbewegungen, die mit ihm brechen wollen, gestärkt. In Katalonien gibt es Massenunterstützung für die Unabhängigkeit, aber die PP-Regierung in Madrid hat bisher eine Volksbefragung abgelehnt. Podemos‘ derzeitige Verteidigung einer Befragung macht ein Übereinkommen mit der stark Spanisch-nationalistischen PSOE schwierig.

Blick nach unten

Während die großen Parteien alles verweigern, was die „Einheit Spaniens“ untergraben würde, könnten also die katalanisch-nationalistischen Abgeordneten eine entscheidende Rolle in einem Abkommen spielen. Jetzt gibt es 17 von ihnen, einschließlich neun Abgeordneter der moderaten Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Die ERC verdreifachte ihre Stimmen. So wie Podemos profitierte sie von der falschen Strategie der antikapitalistischen pro-Unabhängigkeitspartei CUP, sich der Stimme zu enthalten.

Der „linke Europäismus“ ist gescheitert

Der „linke Europäismus“ ist gescheitert

Selbst wenn irgendeine Minderheitsregierung zusammengekleistert werden könnte, bleibt die Situation offen. Podemos erfasst weiterhin die Stimmung der Indignad@s-Bewegung (und die Ablehnung der Austerität durch die Arbeiter_innenklasse. Die entscheidende Frage ist, ob dieser Widerstandsgeist vertieft werden kann und eben nicht den Machenschaften der institutionalisierten Politik untergeordnet wird.

Andy Durgan ist führendes Mitglied von En Lluita in Barcelona. Der Artikel ist zuerst auf Socialist Worker erschienen.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.