Brexit: Plädoyer für einen linken EU-Austritt

Am antikapitalistischen Kongress „Marx is Muss“ sprach Judith Orr (SWP) über das bevorstehende Referendum um den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union (EU). Die Linken überlassen das Feld des Austritts nicht den Nationalisten und Rassisten, sondern organisieren eine linke, internationalistische Kampagne für einen EU-Austritt. Neue Linkswende hat ihre Rede zusammengefasst.
20. Juni 2016 |

Die Europäische Union (EU) wird von ihren Verteidigern gern als ein Friedensprojekt dargestellt. Manche betrachten sie als progressiv, weil sie Reisefreiheit, ein freies Studium und Wahl des Arbeitsplatzes ermöglicht. Von Gewerkschaften wird sie sogar als Verteidigerin von Arbeiter_innenrechten und Wohlstand bezeichnet. Damit leugnen sie gleichzeitig ihre eigene Macht.

Verfeindete Brüder

Aber die EU war in der Realität von Anfang an ein Verein für Unternehmer. Ihr Ziel war es nie, Einwanderungs-, Arbeits- oder Gewerkschaftsrechte zu verbessern. Die Freizügigkeit diente vor allem dem Kapital. Unternehmen sollte die Ausbeutung ihrer Angestellten erleichtert werden. Die herrschende Klasse hatte sich mit der EU ein legitimes Mittel geschaffen, um Lohnkürzungen und andere Verschlechterungen der Arbeitbedingungen durchzusetzen. Diese waren notwendig, um auf dem neu geschaffenen Binnenmarkt konkurrenzfähig bleiben zu können.

Schon Karl Marx hat von Kapitalisten als einer Gruppe „verfeindeter Brüder“ gesprochen. Sie stehen in Konkurrenz zueinander, aber arbeiten gegen ihren gemeinsamen Feind, die Werktätigen, als Verbündete zusammen.

Rolle in Flüchtlingskrise

Genau das geschieht zurzeit mit den Flüchtlingen. Die Mitgliedsländer schieben sich gegenseitig die Verantwortung über die ankommenden Menschen zu (Dublin-Abkommen), aber gemeinsam errichten sie die „Festung Europa“ und ziehen die Mauern an der EU-Außengrenze hoch. Egal ob rechtsaußen oder linksdemokratisch, die Parteien verteidigen gemeinsam das neoliberale Projekt EU. Der Türkei-Deal ist eine neue Grausamkeit, die gemeinsam beschlossen wurde. Für die Rücknahme von Flüchtlingen wird der Türkei eine schnellere Mitgliedschaft angeboten.

Keine Einwanderungskontrollen

Von Linken wird oft die Reisefreiheit der EU hervorgehoben. Sie gilt aber nicht für alle Menschen. Außerdem bedeutet die Reisefreiheit nach innen auch Abschottung nach außen. Deswegen ertrinken im Mittelmeer tausende Menschen. Sie müssen mit Schlauchbooten fahren, während Fähren täglich denselben Weg fahren. Die herrschende Klasse ist verantwortlich für diesen Massenmord.

Menschen, die vor Krieg, Armut und Krisen flüchten, hätten ohne die Festung Europa und ohne EU gute Möglichkeiten, sicher anzukommen und sich ein neues Leben aufzubauen. Wir revolutionäre Sozialisten sind gegen alle Einwanderungskontrollen. Wir heißen alle Menschen willkommen und wollen die Festung Europa einreißen.

US-Einflusssphäre

Die EU ist nicht nur eine Wirtschaftsunion, sie ist auch eine Militärunion. Als solche ist sie Teil der NATO und auch im Mittelmeer mit Kriegsschiffen vor der griechischen Küste vertreten. Sie arbeitet im Interesse der USA, um Teil dieser Weltmacht zu sein, die ihren Einfluss immer weiter nach Osten ausbaut.

Der neoliberale Charakter der EU wird an den Projekten TTIP und CETA deutlich. Mit ihnen soll ermöglicht werden, dass Unternehmen Regierungen verklagen, wenn der Standort nicht genug Profit abwirft. Teilprivatisierungen können in der Folge dazu führen, dass staatliche Leistungen wie das Gesundheitssystem aufgeteilt und privatisiert werden. Die ungewählte EU-Kommision behält es sich vor, die Details des Freihandelsabkommens TTIP für 30 Jahre zu verheimlichen.

„Lexit“

Würde Großbrittanien wirklich aus der EU austreten, hätte das weitreichende Folgen. Es wird nicht zu Kriegen führen, wie Premierminister Cameron und andere es behaupten, aber es würde das neoliberale Konstrukt ins Wanken bringen. Banken und Großinvestoren drohen jetzt schon damit, das Land zu verlassen. Die Argumente für einen Austritt würden sich in andere Länder ausbreiten und die herrschende Klasse in eine Krise stürzen. Ihre Panik führt dazu, dass sie Fehler machen, und wir für Verbesserungen kämpfen können.

Davor haben sie Angst und darauf baut die linke Kampagne für einen EU-Austritt („Lexit“, „linker Exit“) auf. Eine wichtige Grundhaltung für einen Austritt für alle Linken müssen Antirassismus und Willkommenskultur sein. Damit grenzt sich Lexit einerseits von der Kampagne eines Teils der Konservativen und der rassistischen UKIP ab und führt andererseits eine harte Debatte mit Linken, die behaupten, durch Migration werde die Grundlage für Sozialdumping geschaffen. Es sind immer noch die Kapitalisten, die zu niedrige Löhne zahlen und es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, für höhere Gehälter zu kämpfen und Lohndumping zu verhindern.

Nicht reformierbar

Die Linke hängt noch immer der Illusion an, dass man aus der EU ein sozialistisches Projekt machen könne. Derzeit strebt Yannis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister der Syriza-Regierung, so ein Programm an. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass alle 28 Mitlgiedsstaaten solchen weitgreifenden Änderungen zustimmen würden? Das Biest, dass sich die kapitalistische Klasse mit der EU geschaffen hat, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen, lässt sich nicht in einen sozialistischen Apparat verwandeln.

Die Linke muss mit den Illusionen in die EU brechen

Die Linke muss mit den Illusionen in die EU brechen

Wir stehen für wirklichen Internationalismus, der für die Rechte aller Unterdrückten und gegen Rassismus, Kapitalismus, Ausbeutung und Neoliberalismus kämpft. Der Aufbau eines solchen Projekts ist nur außerhalb der EU möglich.

 

Übersetzung aus dem Englischen und Zusammenfassung von Jakob Zelger. Der Vortrag von Judith Orr kann auf Youtube nachgeschaut werden.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.