Kerns „Grundsatzrede“: Rechtsruck mit linker Rhetorik

Bundeskanzler Christian Kern hat am 11. Jänner eine groß angekündigte Grundsatzrede gehalten. Uns hat interessiert, ob er seine Minister Doskozil (SPÖ) und Kurz (ÖVP) zähmen würde, die ja seit Monaten einen Frontalangriff nach dem anderen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention anrollen lassen. Ergebnis: Gar nicht. Das hat der Kanzler nach zahlreichen blumigen Worten durchblicken lassen.
16. Januar 2017 |

„Nicht ihr habt euren Weg verlassen, wir haben unseren Weg verlassen“, richtete Bundeskanzler Christian Kern in seiner groß angekündigten Grundsatzrede in Wels am 11. Jänner jenen Menschen aus, die der SPÖ den Rücken gekehrt und zur FPÖ gewechselt sind. Es verwundert uns daher nicht, dass Kern nicht nur die Angriffe seiner beiden Minister – Hans Peter Doskozil (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) – gegen die allgemeinen Menschenrechte verteidigt, sondern selbst den „Freien Personenverkehr“, immerhin eine der tragenden Säulen der Europäischen Union (EU), attackiert.

Der Kanzler tat sich beim Fallenlassen von Grundsätzen leichter als Merkel: „Wir wollen natürlich die Personenfreizügigkeit aufrechterhalten“, schickt er voraus und klingt dabei so richtig prinzipientreu. Eine Minute später kippt er die Prinzipien in den Müll: „Aber was jetzt passiert ist, dass wir eine Situation haben, wo diese osteuropäischen Länder ihre Arbeitslosigkeit nach Österreich exportieren … Die Arbeitslosigkeit aus diesen Ländern wird auf unsere Arbeitsmärkte exportiert.“

Kerns Antwort darauf sind „Lohnschutzklauseln“: „Wenn Arbeitskräfte aus Ländern kommen, wo das Lohnniveau nicht zumindest 80 Prozent unseres Niveaus ist (will ich), dass es eine Prüfung des AMS gibt, um zu schauen, ob nicht ein Österreich oder eine Österreicherin, diesen Job machen kann.“

Kein Herz aus Stein?

Dieser gewagte Rückschritt, den Kern hier getan hat, ist auch für EU-Gegner_innen interessant. Kern ist mit Sicherheit ein überzeugter EU-Anhänger, der nicht leichtfertig von solchen Grundprinzipien wie dem freien Personenverkehr ablässt. Dass er es doch tut, zeigt eindrucksvoll wie stark er unter Druck von rechts steht.

Wenn Kern sogar bereit ist, Grundpfeiler der EU fallen zu lassen, dann sieht es um die allgemeinen Menschenrechte sicher noch schlechter aus, oder? Die stehen schließlich in kaum einem Zusammenhang mit den Profitinteressen österreichischer Konzerne – ein funktionierender Binnenmarkt und der freie Personenverkehr dagegen schon. Den Grundrechten von Flüchtlingen ging es in Kerns Rede ähnlich an den Kragen wie den EU-Grundfesten: Zuerst hat Kern sich voll und ganz hinter Schutzsuchende gestellt: „Wem solches Leid egal ist, der hat ein Herz aus Stein. Wir haben die humanitäre aber auch die rechtsstaatliche Verpflichtung, für diese Menschen da zu sein. Und deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, dass diesen Menschen vor Ort – möglichst nah an ihren Herkunftsländern – geholfen wird.“

Bis zu dieser Stelle war alles möglich, sogar eine Kampfansage an ÖVP und FPÖ. Dann aber machte sich Kern die Vorschläge von Minister Kurz zu eigen, kündigt die Errichtung von Lagern außerhalb der EU und die Fortsetzung von Grenzkontrollen an, „weil klar ist, dass wir nicht alle von ihnen in Europa aufnehmen können …Wir müssen legale Fluchtwege für die, die vom Krieg fliehen, nach Europa schaffen. Nur so wird es uns gelingen, dauerhaft die Zuwanderung in geregelte Bahnen und kontrolliert zu gestalten. Dazu gibt es große gemeinsame Anstrengungen, die auf europäischer Ebene laufen. Und die Fortschritte sind durchaus vielversprechend wenn es um den Schutz unserer Außengrenzen geht oder auch darum geht, Hilfslager vor Ort einzurichten, die den Menschen Schutz geben.“

Böse Parallelwelten

Weil alle es tun, hat Kern auch auf Terrorismus eingehen müssen, und leider, leider hat er auch hier dem Druck von rechts nachgegeben. Zuerst kamen noch sehr anständige Worte: „Ich halte es für falsch, wenn wir durch unbedachte Äußerungen 600.000 Moslems in Österreich in eine Ecke stellen und unter Generalverdacht stellen.“ Schön wär’s, weil er kurz darauf genau das getan hat. Nicht so grauslich rassistisch, wie ein Strache, und nicht so aggressiv, wie die Minister Sobotka und Kurz, aber auch er erspart sich keine (un)bedachten Äußerungen gegen 600.000 Muslime. Er konstruiert genauso ein Wir der überlegenen „weltoffenen Europäer“: „Eine liberale, eine offene Gesellschaft, in der Frauen gleichberechtigt sind. In der es eine Selbstverständlichkeit ist, dass zwei Frauen oder zwei Männer händchenhaltend über die Straße gehen oder sich küssen.“

Also Wir sind cool und gleichberechtigt, aber Die, die schotten sich ab, die nutzen uns aus. Er sagt: „Es ist kein Beitrag für Vielfalt, wenn wir zulassen, dass sich Teile von Bevölkerungsgruppen abschotten, sich in Parallelwelten flüchten. Wenn Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen … Wenn heute Parallelgesellschaften entstehen, die weder Respekt vor unserer Verfassung noch von unserem Rechtsstaat haben.“ Kern fordert die „Durchsetzung des Rechtsstaates“: „Die Botschaft da draußen an unsere Menschen muss klar sein, dass wir bereit sind, mit voller Härte durchzugreifen, wenn unsere Toleranz missbraucht wird und wenn Menschen glauben, totalitäre islamistische Parolen in Österreich unterstützen zu müssen.“

Spagat zwischen links und rechts

Kerns Rede in Wels, einer FPÖ-Hochburg mit FPÖ-Bürgermeister, war darauf ausgerichtet, ehemalige SPÖ-Wähler_innen anzusprechen, ihnen eine Tür offenzuhalten, sollten sie sich wieder von der FPÖ abwenden. Die SPÖ meint offensichtlich, dass ein Rechtsruck mit linker Rhetorik den Spagat zwischen dem linken Flügel ihrer Basis und heutigen FPÖ-Wähler_innen schaffen kann. Aber davon wird nur der Rechtsruck übrig bleiben, die linke Rhetorik wird bald unglaubwürdig werden.

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Trotzdem müssen die vielen solidarischen Menschen, die sich im vergangenen Jahr für Flüchtlinge eingesetzt haben und die sich gegen Hofer engagiert haben, sich vor Augen halten, dass die SPÖ-Spitze durchaus Angst vor ihnen hat. Der linke Flügel hat Faymann zu Fall gebracht und Kanzler Kern hat in seiner Rede durchgängig versucht sie zu besänftigen. Wenn wir wieder lauter werden, dann kann die SPÖ durchaus vor dem Druck von links in die Knie gehen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.