Islamfeindlichkeit nach Charlie Hebdo: Rassismus radikalisiert sich

Die extreme Rechte könnte weiter vom antimuslimischen Rassismus und den imperialistischen Kriegen der politischen Eliten profitieren. Die Linke muss einen Weg aus dem Teufelskreis zeigen.
29. April 2015 |

Die Spirale der Gewalt aus westlichen Militärinterventionen in der islamischen Welt und Terrorangriffen in den westlichen Demokratien hat nach den Attacken auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris eine neue abscheuliche Qualität erreicht. Die Reaktionen auf das Massaker waren sehr viel schärfer als auf die Anschläge in Madrid 2004 und London 2005, die jeweils weit mehr Todesopfer forderten. Das hat vor allem zwei Gründe.

Erstens haben die tiefe Wirtschaftskrise und der Aufstieg rechtsextremer Parteien in ganz Europa dafür gesorgt, dass Muslim_innen noch stärker als Sündenböcke stigmatisiert werden. Aymeric Chauprade, Europaabgeordneter des faschistischen Front National und enger Berater von Marine Le Pen sagte nach den Anschlägen: „Uns wird gesagt, dass die Mehrheit der Muslime friedlich sei, ganz bestimmt. Das war die Mehrheit der Deutschen vor 1933 und dem Nationalsozialismus auch.“ FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache holte sich vor dem Wiener Wahlkampf die Unterstützung des prominenten Islamfeinds Geert Wilders und erklärte: „Man hat im Bereich des Islamismus schon das Gefühl, dass das der Faschismus unserer Zeit ist.“

ISIS-Diskurs

Zweitens spielt der Diskurs um den „Islamischen Staat“ (IS oder ISIS) eine entscheidende Rolle. Der Islamophobieforscher Farid Hafez argumentiert im Jahrbuch für Islamophobieforschung (2015), dass es seit dem 11. September zu einer „weiteren Verschiebung der Intensität der Islamophobie“ gekommen ist, die nicht nur die gesetzliche Ebene betrifft, sondern „zu einer gesellschaftlichen Panikmache“ führte, die Schulen, Politik und Medien erfasst hat.

Buchtipp: Farid Hafez (Hrsg.), Jahrbuch für Islamophobieforschung. 150 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-7003-1920-7
Buchtipp: Farid Hafez (Hrsg.), Jahrbuch für Islamophobieforschung. 150 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-7003-1920-7

Die militante Propaganda des IS, insbesondere sein Auftritt in den sozialen Medien wie Facebook, hatte einen elektrisierenden Effekt auf Freund und Feind. Wie bereits al-Qaida konnte der IS eine kleine Minderheit von unzufriedenen Muslimen unter seinem Banner sammeln. Überproportional viele junge Österreicher schlossen sich dem IS-Terror an. Auf der anderen Seite hat der IS die Form des schlimmsten Albtraums des Westens und seiner Verbündeten angenommen – gleichzeitig höhlt er die politische Opposition gegen US-Militäreinsätze in der Region aus. Das führt zu einer Stärkung der konterrevolutionären Regimes in Ägypten und Syrien.

Neues Islamgesetz

Die Gefahr ist, dass diese Entwicklungen zu neuen Verschärfungen in diesem Teufelskreis führen und die Islamfeinde hierzulande stärken. Der Entwurf des neuen Islamgesetzes, dessen Novellierung zwar schon lange vorbereitet wurde, wurde im Zuge des IS-Diskurses von Kultusminister Josef Ostermayer (SPÖ) als „Antiradikalisierungsmaßnahme“ präsentiert. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka bezeichnete den Entwurf gar als „entsprechende Antwort auf den Islamismus“.

Das neue Islamgesetz stellt Muslime, so Hafez, unter Generalverdacht und bedeutet einen weiteren Rechtsruck: „Viele der Forderungen, die in dem Gesetz institutionalisiert wurden, hat die FPÖ schon lange in ihrem Programm.“

Muslim_innen bekommen diese Intensivierung täglich zu spüren. Adisa Begic dokumentiert im Jahrbuch für Islamophobieforschung eine Reihe von Übergriffen, die von täglichen Beleidigungen über Schikanierungen bei der Jobsuche bis hin zu physischen Attacken reichen. Sie stellt fest: „Vor allem die Angst von muslimischen Opfern [scheint] groß zu sein. Sei es aus Furcht vor Racheakten, Unverständnis von Polizist_innen oder schiere Unwissenheit über die juristischen Möglichkeiten.“

Viele Muslim_innen haben in den letzten Wochen einen mutigen Schritt aus dieser Vereinzelung getan und sich kollektiv in den Protesten gegen die islamfeindliche Pegida-Bewegung engagiert. Die islamfeindliche Spirale kann durchbrochen werden. Initiativen gegen Krieg und Rassismus bleiben wichtige Aufgaben für die Linke.

Farid Hafez spricht am antikapitalistischen „Kongress Marx is Muss“. Er ist Politikwissenschafter an der Universität Salzburg, Herausgeber des Jahrbuchs für Islamophobieforschung. Weitere Infos siehe: www.marxismuss.at
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.