120.000 auf ÖGB-Demo zum 12-Stunden-Tag: „Gegen die autoritäre Wende!“

Mindestens 120.000 Menschen sagten der ÖVP-FPÖ-Regierung am Samstag, 30. Juni in Wien den Kampf an. Der ÖGB hatte zur Großdemo gegen den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche aufgerufen. Die Sprecher_innen mahnten, sich nicht entlang von Religion, Hautfarbe oder anderen Merkmalen auseinander dividieren zu lassen, und forderten Solidarität ein.
2. Juli 2018 |

Was für eine gewaltige Demo! Was für ein grandioses Lebenszeichen der organisierten Arbeiter_innenklasse, die so viele in Österreich schon totgesagt hatten. Der Zulauf zur ÖGB-Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag am 30. Juni am Christian-Broda-Platz war schier endlos. Schon vor offiziellem Beginn musste die Demospitze in die Mariahilfer Straße vorgezogen werden, da der Platz aus allen Nähten platzte. Als die ersten am Heldenplatz ankamen, gingen die letzten erst los. Teilweise marschierten Menschen in den Parallelstraßen (wie die Neubaugasse), weil die Mariahilfer Straße zu schmal war.

In der Woche zuvor zeigten Betriebsrät_innen und Belegschaften in hunderten Betriebsversammlungen in ganz Österreich ihre Kampfbereitschaft. Auch in den Bundesländern wurde mobilisiert: 6.000 Menschen kamen in 130 Bussen und weitere 2.000 mit Sonderzügen nach Wien. Insgesamt waren es über 120.000 Menschen gegen die Regierung.

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Für besondere Empörung sorgte der Angriff von Kanzler Sebastian Kurz auf die Demonstrant_innen nur kurz vor dem Protest. Er behauptete nach dem Ministerrat am Dienstag schnippisch, er finde es gut, wenn die Arbeiterkammer den Protestierenden Anreise und Nächtigung zahlt. Der Generalsekretär Harald Vilimsky verhöhnte die Demonstrant_innen regelrecht: „Ist ja lieb und putzig, wenn die ‚Omas gegen Rechts‘ Seite an Seite mit bezahlten roten Demonstranten aus Vorarlberg kurz mal in das SPÖ-Sisha-Zelt gehen, um sich dort mit roter Falschpropaganda gegen die Arbeitszeitflexiblisierung einnebeln zu lassen.“

Sie fürchten offenbar die Gewerkschaftsbewegung! Zu Recht. Sie hat seit Samstag eine gehörige Portion Selbstvertrauen getankt. Stürmischen Applaus gab es für den Vorsitzenden der Postgewerkschaft, Helmut Köstinger, der in seine Rede am Heldenplatz frontal einstieg: „Wir alle gemeinsam haben ein großes Ziel: diese unsoziale, ungerechte Regierung zu stürzen!“

Leckt’s uns freiwillig am Oasch“

Pflasterer Günther, der durch die Rede von Willi Mernyi am ÖGB-Kongress berühmt wurde, bekam auf der Hauptbühne am Heldenplatz großen Applaus. Für Günther würde der 12-Stunden-Tag bedeuten, pro Tag nicht 3,4 Tonnen Pflastersteine zu schleppen und zu verlegen, sondern noch einmal 1,8 Tonnen mehr. Der Vorsitzende der Gewerkschaft vida, Roman Hebenstreit, verschaffte Klarheit, wie es mit der nun versprochenen „Freiwilligkeit“ in der Praxis aussieht. Der Chef würde einfach sagen: „Wenn du jetzt gehst, kannst du gleich zuhause bleiben.“

Viele Arbeiter_innen erzählten auf der Bühne, wie der 12-Stunden-Tag ihr Leben dramatisch ändern würde. Durchgestrichene 12-Stunden-Tag- und 60-Stunden-Woche-Schilder prägten die Demonstration, viele brachten auch selbstkreierte Banner und Taferl mit. Unter anderem war zu lesen „Nach 8 Stunden leckt’s uns ‚freiwillig‘ am Oasch“, „Weniger arbeiten – mehr leben“ oder „Wenn ihr uns den Jugendvertrauensrat nehmt, holt euch der Jäger mit dem Schießgewehr!!“. Die Demonstrant_innen riefen „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Freizeit klaut“ und „Was bedeutet Schwarz und Blau? Rassismus und Sozialabbau“.

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Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus und Papier (GPA-djp) sagte in ihrer Rede: „Wenn selbst die Wirtschaftsministerin Schramböck appelliert oder einen Auftrag an die Arbeitergeber erteilt, dieses Gesetz nicht auszunutzen, da müssen doch bei jedem und jeder im Land die Alarmglocken läuten!“ ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian gab sich kampfeslustig: „Das ist der Beginn des Kampfes gegen den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche!“

Antirassismus

Lisa Mittendrein von Attac forderte eine klare Kante gegen Rassismus: „Sie beschließen die Kürzung der Mindestsicherung und gleich darauf stimmen sie CETA zu. Diese Regierung beschließt Steuergeschenke für reiche Familien und gleich darauf bauen sie den Überwachungsstaat aus. Diese Regierung opfert unser Klima den Profiten der Konzerne und gleich darauf stellen sie Mädchen, die Kopftücher tragen, als angebliche Gefahr dar.“ Die Regierung würde versuchen, uns gegeneinander auszuspielen. Mittendrein: „Sie tun so, als wäre der zentrale Konflikt heute zwischen Menschen verschiedenen Glaubens oder verschiedener Herkunft. Sagen wir klar und deutlich: Das ist falsch!“

Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik organisierte zusammen mit Flüchtlingen einen antirassistischen Refugees Welcome-Block mit der Parole „Ja zur Willkommenskultur! Nein zum 12-Stunden-Tag“. FPÖ-Chef Heinz-Christian war darüber so empört, dass er sofort ein Facebook-Posting absetzen musste. Er teilte ein Bild einer Frau mit Plattform-Schild und seinem Kommentar: „Das sind die SP-Gewerkschafter. JA zur Willkommenskultur und weiterer Zuwanderung – Ritter der traurigen Gestalten heute in Wien.“

Gabriele Michalitsch, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, hielt eine Rede, die besonders viel Applaus bekam: „Es geht um eine autoritäre Wende in diesem Land.“ Der Regierung ginge es darum, gegen die Gewerkschaften vorzugehen und ganz klar Mitbestimmung der Betriebsräte auszuschalten. Frauen würden verstärkt an den Rand und in ökonomische Abhängigkeiten gedrängt werden. Kritik würde dabei als „Gräuelpropaganda“ (die Aussage stammte von FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz) in „reinster NS-Diktion“ abqualifiziert werden. „So eine autoritäre Wende hat aber keine Chance, wenn wir hier uns nicht spalten lassen – weder in Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Qualifikation, Muttersprache“, sagte Michalitsch.

https://www.facebook.com/oegb.at/videos/1986985931364442/

Radikalisierung

Tatsächlich geht es um einen Generalangriff auf die organisierte Klasse, den die Gewerkschaften abwehren müssen. Johann Gudenus, FPÖ-Klubchef im Parlament, gab am Tag vor der Demo bei der Sondersitzung zum 12-Stunden-Tag im Parlament preis, was die Regierung erreichen wolle. Die Macht der Gewerkschaften als Gegenpol zu Staat und Regierung soll gebrochen werden. Es gehe darum, sagte Gudenus, dass der „Betriebsrat eben nicht mehr seine Macht und seine Kontrollfunktion ausüben kann“, damit die „noch halbwegs vorhandenen Machtstrukturen“ der Betriebsräte miniert werden.

Die Bewegung kann sich radikalisieren, wenn die Betriebsversammlungen in Streiks und letztlich einem Generalstreik eskalieren. Dazu braucht es entschlossene Basisaktivitäten der Betriebsrät_innen. Die Zugausfälle aufgrund der Versammlungen bei der ÖBB und im öffentlichen Verkehr am Montag sind ein erster Vorgeschmack, was möglich wäre. Wenn alle Räder still stehen, wäre die ÖVP-FPÖ-Regierung in wenigen Tagen erledigt.

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Dabei muss die Bewegung allen rassistischen Spaltungsversuchen der Koalition – Moscheeschließungen, Kopftuchverbote, Deportation und Internierung von Schutzsuchenden in neuen Konzentrationslagern in und außerhalb Europas, etc. – offensiv entgegentreten. Am Tag der Demo postete Strache auf Facebook: „Allen Türken in Österreich, die Erdogan gewählt haben, empfehle ich die Rückkehr in die Türkei!“ Rassismus ist Gift, gegen das sich die Bewegung impfen muss.