Angelica Balabanoff
Geboren 1878 im ukrainischen Tschernigow, in der Nähe von Kiew, wurde Balabanoff in einer jüdischen, wohlhabenden Familie großgezogen. Schon früh rebellierte sie gegen ihre Eltern, da sie die Privilegien ihrer Familie und die Behandlung ihrer Diener nicht ertragen konnte. 1897 verließ sie ihr Zuhause, um in Brüssel Philosophie und Literatur zu studieren, wo sie mit kommunistischen Ideen in Berührung kam.
Nach ihrem Studienabschluss reiste sie in die Schweiz, wo sie rasch für Aufruhr sorgte. Denn Balabanoff deckte auf, wie junge italienische Textilarbeiterinnen in religiösen Arbeiterheimen in der Schweiz ausgebeutet wurden. Die jungen Frauen mussten in sklavenähnlichen Zuständen für einen Hungerlohn arbeiten, Briefe und Pakete an ihre Familien wurden konfisziert. Treffend bezeichnete sie diese Heime als „klerikal-kapitalistische Strafanstalten“.
Für Balabanoff war Feminismus eine bürgerliche Bewegung, sie setzte sich dezidiert für die Rechte von Arbeiterinnen ein, ebenso wie für die von männlichen Arbeitern. Dem Schweizer Bürgertum gefiel ihre Art jedoch kaum. Die Polizei legte eine Akte über sie an und schickte Spitzel zu ihren Vorträgen und Reden. In einem Bericht der Bundespolizei heißt es, sie schieße „mit scharfen Worten gegen Religion und Kapital“. Das tat sie so erfolgreich, dass sie zum Vorstand der Auslandsorganisation der Sozialistischen Partei Italiens (PSI) in der Schweiz gewählt wurde.
Gemeinsam mit Clara Zetkin organisierte sie Frauen-Kongresse. Unglücklicherweise traf sie zu dieser Zeit auf einem verarmten, italienischen Hilfsarbeiter, Mussolini, der damals noch kein Faschist war. Sie lieh ihm marxistische Literatur und machte ihn erst zu einem politischen Menschen, wie er später sagen wird. Als sie in ihrer Autobiographie von ihrer ersten Begegnung schrieb, ließ sie kein gutes Haar an ihm: „Ich habe noch nie einen elenderen Menschen gesehen.“
Bruch mit Lenin
1910 verließ sie die Schweiz, um in Italien in der sozialistischen Bewegung aktiv zu sein. In den folgenden Jahren betätigte sie sich im Parteivorstand der PSI und als Mitherausgeberin der Parteizeitung „Avanti!“. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde sie vom Reformismus desillusioniert und sie begann, den revolutionären Flügel der Partei zu unterstützen.
Balabanoff trat für den sofortigen Friedensschluss ein und beteiligte sich an der Zimmerwalder Konferenz, wo sie in Kontakt mit Persönlichkeiten wie Lenin, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kam. Als 1917 in Russland die Revolution ausbrach, zögerte sie nicht, dorthin zu reisen, um die Bolschewiki zu unterstützen.
Ab 1919 war sie als Übersetzerin und Sekretärin der Kommunistischen Internationale tätig. Ihr Enthusiasmus schwand aber rasch, sie fand es schwierig, mit Lenin zusammenzuarbeiten. Sie wollte nicht einsehen, warum versucht wurde, die Revolution mit allem was möglich war, voranzubringen, um nicht schlagartig von der Konterrevolution niedergeschlagen zu werden.
Scheitern der Revolution
Deshalb verließ sie 1922 die Kommunistische Internationale und kehrte wieder zurück nach Italien, wo sie sich der Gruppe der Maximalisten anschloss. Diese spalteten sich wegen ihres Bekenntnisses zur Revolution vom reformistischen Flügel der PSI ab. Durch die Spaltung der Partei und da die Maximalisten unter keiner einheitlichen Führung standen, kam es zu keiner Vereinigung der Arbeiter_innenklasse.
Der bürgerliche Staat wurde nie zerschlagen, was der herrschenden Klasse Zeit gab, sich zu sammeln und die faschistische Bewegung Mussolinis zu unterstützen. Das Biennio rosso, die zwei roten Jahre, und die Streikbewegung, die von Turin ausging und sich in Norditalien ausbreitete, scheiterten letztendlich.
Aufgrund des aufsteigenden Faschismus ging Balabanoff wieder in die Schweiz ins Exil. Dazwischen lebte sie mal in Wien, mal in New York und nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte sie erneut nach Italien, ihrer politischen Wahlheimat, zurück. Von der Revolution hat sie sich inzwischen komplett abgewendet. Nach der Spaltung der PSI trat sie 1947 einer sozialdemokratischen Partei, der Sozialistisch-Demokratischen Partei Italiens, bei. Sie blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1965 politisch aktiv.