Solidarische Kämpfe auf griechischen Inseln: Refugees Welcome!
Seit Wochen protestieren die Menschen auf Griechenlands Inseln gegen den Bau neuer Flüchtlingslager, vor allem seit die Türkei vor ein paar Tagen ihre Grenze zum EU-Land wieder geöffnet hat. Die Berichterstattung konzentriert sich auf rassistische Banden, die Flüchtlinge daran hindern, ihre Boote zu verlassen und Straßen blockieren, um Busse mit Flüchtlingen nicht passieren zu lassen. Damit wird das Bild erzeugt, dass die dortige Bevölkerung durch und durch rassistisch sei und den Anti-Flüchtlings-Kurs der EU begrüßen würde.
Es marschieren aber nicht nur Rassisten – im Gegenteil! Der Großteil der Menschen steht Seite an Seite mit den Flüchtlingen auf der Straße und protestiert gegen den Bau neuer Flüchtlingslager, weil sie endlich menschenwürdige Unterkünfte fordern. Die griechische Regierung plant, regelrechte Gefängnisse für Flüchtlinge zu bauen. Was sich derzeit in Griechenland abspielt, ist das Ergebnis der katastrophalen EU-Flüchtlingspolitik der letzten Jahre.
„Die Lage auf den Inseln ist schon lange untragbar. Es war eine Frage der Zeit, bis das explodieren musste. Die Mehrheit der Menschen auf Lesbos sorgt sich um die Zukunft der Insel und möchte endlich Lösungen und Solidarität. Die Gewalttaten gegen Geflüchtete, NGOs und Medienvertreter gehen allerdings von einer rechten Minderheit aus“, bewertet der Sprecher der Seebrücke aus Deutschland, Markus Groda, die Situation.
Freiheit für Flüchtlinge!
Für Flüchtlinge, ebenso wie für die zahlreichen Helfer_innen, ist der Plan der Regierung, Menschen in Not in Internierungslager zu sperren, ein weiterer Schlag ins Gesicht. Seit Jahren leisten Freiwillige, NGOs und Anwohner_innen die Arbeit, für die eigentlich die Europäische Union zuständig wäre (die geschlossen den Krieg der griechischen Regierung gegen Flüchtlinge unterstützt). Am 22. Februar demonstrierten hunderte Menschen in der Hauptstadt der Insel Lesbos, Mytilini, und forderten die Schließung der Konzentrationslager und Freiheit für die Flüchtlinge. Zahlreiche weitere Demonstrationen folgten.
Mit der Erklärung „Die Inseln dürfen nicht mehr Lager verlorener Seelen sein“, riefen Ende Februar die örtlichen Gewerkschaften, Gemeinden und der Verband der Staatsbediensteten zu einem mehrtägigem Generalstreik auf – auf den Ägäis-Inseln Lesbos, Chios und Samos stand alles still. Obwohl Polizei und Militär mit Tränengas und Schlagstöcken die Menschen brutal von den Straßen prügeln wollten, blieben Streikende, Flüchtlinge und Demonstrant_innen standhaft bei ihrer Blockade des Baus neuer Horrorlager. Die staatlichen Schlägertrupps mussten sich schließlich zurückziehen.
Weitere Demonstrant_innen blockierten den Hafen in Mytilini, um zu verhindern, dass Nachschub an Polizei und Baumaterialien von Fähren aufs Land gelangen.
Frauen in Solidarität
Viele Menschen auf den griechischen Inseln engagieren sich seit Jahren in der Flüchtlingshilfe. Da gibt es zum Beispiel die Frauen aus Mantamados, einer Stadt auf Lesbos. Sie unterstützen die Angekommenen etwa in der Kinderbetreuung.
Am 11. Februar veröffentlichten sie ein berührendes Statement: „Wir, die Frauen der täglichen Arbeit, wissen, dass jede Ecke unseres Dorfes eine reiche Geschichte hat, die mit dem Leben von Flüchtlingen verbunden ist. Wir fühlen den Schmerz dieser Menschen. […] Nichts trennt uns von diesen Frauen, die leiden und trauern. Weil der Kampf ums Leben, die Träume für unsere Kinder, keine Farbe, keine Sprache, keine Religion, keine Grenzen haben. Niemand kann sie aufhalten.“ Und weiter: „Wir vereinen unsere Stimmen mit ihren und fordern ihre sofortige Freilassung von der Insel und dem Land, damit sie ihre Reise in die Länder ihres wahren Ziels fortsetzen können.“
Ein Tag Normalität
Ein weiteres Beispiel ist die Organisation Home for one day, die von Katerina Koveou und Nikos Katsouris in Skalas Sikountos, einem Dorf etwa neun Kilometer südlich vom Horrorlager Moria, betrieben wird. „Hier kochen Griechinnen und Griechen gemeinsam mit Geflüchteten und Migranten, und jeder der möchte, bekommt etwas zu essen“, erklären die beiden gegenüber der Zeitung taz. Katsouris ist eigentlich Fischer und bis 2015 betrieben die beiden eine einfache Taverne. Als immer mehr Flüchtlinge in Schlauchbooten ankamen, begannen sie, ihnen Essen und Kleidung zu geben. „Die geflüchteten Menschen kamen immer wieder zu uns, teilweise einfach um hier zu sitzen.“ Viele nannten die Taverne „home“, und so entstand der neue Name.
Während dem Interview ist die fünfköpfige Familie Mahboubi aus Afghanistan zu Gast. „Meine Kinder sind so erschöpft von Moria. Dort ist es kalt und schmutzig. Es ist schön hier wenigstens für ein paar Stunden etwas Normalität zu haben“, meint der Vater Ahmad Jawad Mahboudi. „Wir versuchen den Menschen hier ein bisschen zurückzugeben, was ihnen genommen wurde: Wärme, Herzlichkeit, einfach mal wieder ausgehen“, so Katsouris. „Europa lässt uns einfach allein – hier werden Menschenleben zerstört.“ Das sind nur einige der unzähligen Beispiele von Menschen, die zeigen, wie es anders aussehen könnte.
Staat lässt alle im Stich
All diese Menschen sind nach wie vor solidarisch mit Flüchtlingen und möchten ihnen helfen, ein Leben in Frieden in Europa beginnen zu können. Europas Politik gefährdet auch die Existenzen vieler Anwohner_innen. Die Insel ist abhängig vom Tourismus. Aufgrund der gezwungenermaßen immer größer werdenden Camps und den damit einhergehenden Problemen, wie z.B. riesige Mülldeponien, um die sich der Staat nicht kümmert, werden die Tourist_innen immer weniger.
Anstatt den Flüchtlingen die Schuld zu geben, wenden sich die meisten Menschen gegen die Herrschenden, die wahren Schuldigen. Es ist ein gemeinsamer Kampf gegen Regierungen, die mit rassistischer Hetze die Menschen spalten wollen.
Ein starkes Zeichen setzten die türkische Revolutionäre Sozialistische Arbeiter_innenpartei (DSİP) und die griechische Sozialistische Arbeiter_innenpartei (SEK) (beide Schwesternorganisationen von Linkswende jetzt) mit einem gemeinsamen Statement, betitelt mit: „Nein zu Krieg und Imperialismus: Die Flüchtlinge sind unsere Brüder und Schwestern!“ Darin heißt es: „Wir, Sozialist_innen auf beiden Seiten der Ägäis, kämpfen seit Jahren für die Rechte und Freiheiten von Flüchtlingen, und gegen die Rassisten. Wir rufen die Arbeiter_innen aller Länder auf, Solidarität mit den Flüchtlingen zu zeigen und die Fahne des Friedens gegen Krieg, Imperialismus und Rassismus zu heben.“
Militanter Widerstand
„Solidarität mit den Inseln, nicht mit den Flüchtlingsgefängnissen“, fordert auch die Organisation KEERFA (Vereinte Bewegung gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung). Ihr Sprecher Petros Constantinou erklärte im September 2019 gegenüber der deutschen Zeitung marx21:
„KEERFA wurde gegründet, um die aufsteigende faschistische Bedrohung zu stoppen und gegen Rassismus zu kämpfen. Für uns war der Kampf gegen Faschismus und gegen Rassismus von Anfang an ein gemeinsamer. Es ist unmöglich, die Faschisten zu stoppen, ohne mit Flüchtlingen solidarisch zu sein, die Grenzen zu öffnen und die Internierungslager zu schließen. Wir müssen den Bemühungen der herrschenden Klasse, die Arbeiter_innen zu spalten, indem sie Immigrant_innen als ‚Kriminelle‘ usw. bezeichnen, entgegentreten. Um all das zu bekämpfen, ist es notwendig die Menschen, die Arbeiter_innen und jungen Leute gegen Rassismus zu vereinen. […] KEERFA wurde auch als militante Kraft auf der Straße gegründet: um zu verhindern, dass Neo-Nazis Attacken gegen Flüchtlinge organisieren, Moscheen anzünden und Räume linker Parteien anzugreifen.“
Wie wichtig das Verbinden dieser Kämpfe ist, wird in Griechenland deutlich: Polizei, Militär und bewaffnete Schlägertrupps aus der extremen Rechten machen gemeinsam Jagd auf Flüchtlinge, Helfer_innen und Journalist_innen.
Weltweite Solidarität
Unser Zusammenhalt macht nicht Halt an Grenzen oder Nationalitäten. Unser Widerstand richtet sich gegen diejenigen, die diese Grenzen ziehen und uns anhand von Nationalitäten spalten wollen. Er richtet sich gegen die EU, deren Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Griechenland mitteilte: „Die Aufrechterhaltung der Ordnung an unserer Außengrenze hat für uns Vorrang“ – zeitgleich wurden an genau dieser Außengrenze Menschen erschossen und Kindern beim Ertrinken zugesehen. Das bedeutet, die mörderische Politik erhält offizielle Rückendeckung durch die EU-Führung.
Weltweit gehen täglich Menschen in Solidarität mit den Betroffenen an der türkisch-griechischen Grenze auf die Straße. In Wien störten am Donnerstag, 5. März Aktivist_innen eine Pressekonferenz von ÖVP-Integrationsministerin Raab mit einem Banner mit der Aufschrift: „Grenzen schließen heißt Menschen erschießen“. Fiona Herzog, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien, rief: „Ihr seid Mörder, an euren Händen klebt Blut! Ihr redet von Extremismus, aber es ist der Rechtextremismus, den ihr vorbereitet habt. An den Grenzen sterben Menschen und ihr seid dafür verantwortlich!“
Unter diesem Motto fand von 8 bis 20 Uhr eine Mahnwache vor der ÖVP-Zentrale statt. Am Freitag, 6. März ist die Demo „Transnationale Solidarität gegen Rassismus und Krieg“ geplant und am 21. März werden zum internationalen Aktionstag gegen Rassismus unter dem Motto „Asyl ist Menschenrecht! #WirHabenPlatz“ weltweit hunderttausende Menschen für offene Grenzen und ein Ende der mörderischen Asylpolitik auf die Straße gehen.