Sturm aufs Kapitol: Eine amerikanische SA als Trumps Erbe
Vor ungefähr 15.000 Teilnehmenden hielt Trump am 6. Jänner seine Rede vor dem Weißen Haus, in der er die Versammelten aufforderte: „Geht runter zum Kapitol“. Er beschwor sie: „Ihr werdet unser Land niemals mit Schwäche zurückerobern.“ Was folgte, war ein Marsch von Rechtsextremen auf das Kapitol der Vereinigten Staaten, den Sitz des Senats und des Repräsentantenhauses. Die Gruppe, die es rein geschafft hat, bestand aus einigen hundert überzeugten Anhängern Trumps, die nicht nur die offizielle Bestätigung Joe Bidens als gewählten Präsidenten stören wollten. Man fand in ihren Internetforen Ankündigungen demokratische Abgeordnete zu entführen oder sogar zu ermorden.
Auch wenn Trump bereits am 19. Dezember mit den Worten „Großer Protest in D.C. am 6. Jänner. Sei dabei, es wird wild!“ aufrief, war der Sturm des Kapitols kein geplanter Putschversuch. Für einen ernsthaften Putsch fehlte die Beteiligung von Teilen des Militärs oder einer paramilitärischen Einheit. Außerdem gab es ein einheitliches Medienecho, unter Beteiligung der amerikanischen Wirtschaftsführer, das die Störaktion verdammte. Im Inneren des Kapitols wüteten die Trump-Anhänger, schlugen Fenster ein und machten Selfies. Ein gezieltes Vorgehen war nicht erkennbar. Es ist falsch zu behaupten, es handle sich um einen gescheiterten Putschversuch und Trump hätte verloren. Seine Ziele waren andere.
Der Mythos der gestohlenen Wahl
Die Aktion war eine Kampfansage Trumps an die kommende Regierung von Joe Biden und Kamala Harris. Gleichzeitig konnte er sich als Führer der Rechtsextremen und Rassisten darstellen. Auch wenn er sich im Nachhinein von den Gewaltaktionen distanziert hat, hält er an dem Aufruf „Stop the Steal“ (Stoppt den Diebstahl) fest. Unter diesem Slogan wird die Verschwörungstheorie vom gestohlenen Sieg Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2020 verbreitet. Der legitime Sieg wurde ihm und seinen Wählern durch „die Linke“ und das Establishment „geklaut“. Seitdem klar war, dass Trump die Wahl gegen Joe Biden nicht mehr gewinnen kann, setzte er alle Hebel in Bewegung, um das Ergebnis mit rechtlichen Mitteln anzufechten, es zu delegitimieren und vor allem medial die Unrechtmäßigkeit des Wahlsiegs von Biden zu verbreiten.
Durch die Erschaffung dieses Mythos gelang es ihm, Rassisten, Anhänger der White Supremacy-(Herrenrasse)-Ideologie, Faschisten und Verschwörungstheoretiker hinter sich zu vereinen. Es erinnert an die Dolchstoßlegende, die nach dem Ersten Weltkrieg von den deutschen Verlierern, den Rechtskonservativen und der Obersten Heeresleitung, geschürt wurde. Mithilfe dieser Lüge konnten sie die Truppen der Konterrevolution in Deutschland aufbauen, um sich vor den Auswirkungen der Novemberrevolution zu schützen. Trump braucht den Mythos, um seinen Anspruch auf Führerschaft weiterhin aufrecht zu erhalten.
Die Polizei steht auf der Seite der Faschisten
Es stellt sich die Frage, wie mehrere hundert nur mit Fahnen, Schilden und Knüppeln bewaffneten Männer sich gegen die 2.000 gut bewaffneten und ausgebildeten Sicherheitskräfte innerhalb des Kapitols durchsetzen konnten. Nachdem auf Videos zu sehen war, wie Sicherheitsbeamte nach der Stürmung auf Selfies mit den Angreifern posierten und ganze Abschnitte von der Kapitolpolizei geöffnet wurden, um noch mehr Menschen das Eindringen zu ermöglichen, ist es offensichtlich, dass zumindest Teile der Sicherheitskräfte auf der Seite Trumps stehen. Wer seine Unterstützung nicht offen zeigen wollte, konnte seinen Posten verlassen und Platz für die Aufrührer machen.
Drei führende Kommandeure von Einheiten dieser Polizei traten inzwischen zurück, da sich der Verdacht verhärtet hatte, dass sie den Aufrührern geholfen haben.
Innerhalb der Polizei sind die Unterstützer von Trump in der Mehrheit. Mehrere Polizeigewerkschaften hatten vor den Präsidentschaftswahlen dazu aufgerufen, ihn zu wählen. Die Frage, wie sich die Polizisten gegenüber Black Lives Matter-Aktivisten verhalten hätten, erübrigt sich. Ihnen wäre eines der symbolträchtigsten Gebäude der USA nicht einfach ausgehändigt worden. Regelmäßig wurde im vergangenen Jahr die Nationalgarde gegen friedliche Demonstrant_innen auf Protesten gegen Polizeigewalt eingesetzt. Steven Sund, der nach dem Sturm zurückgetretene Chef der Kapitolpolizei, sagte aus, er habe bereits zwei Tage zuvor um Unterstützung durch die Nationalgarde gebeten. Diese Bitte wurde ihm von höchster Stelle in Senat und Repräsentantenhaus ausgeschlagen.
Der Sturm auf das Kapitol wird für Trump zunächst ein Probelauf bleiben. Er hat bewiesen, dass er fähig ist, seine Anhänger zu mobilisieren, als Warnung für seine Gegner, vor allem aber als Angebot für den Staat, sollte Biden nicht in der Lage sein, Aufstände wie jene von Black Lives Matter unter Kontrolle zu bringen. Trump musste sich zwar nach einigen Tagen offiziell von den Gewalttätern distanzieren und sprach am 8. Jänner in einem Video zu seinen Anhängern. Er sprach darin von einer friedlichen Machtübergabe an Joe Biden, endete allerdings mit den Worten: „Und an alle meine wunderbaren Unterstützer. Ich weiß, dass ihr enttäuscht seid, aber ich möchte euch auch wissen lassen, dass unsere unglaubliche Reise gerade erst beginnt.“ Er kann auch weiterhin auf 91 Prozent seiner Wähler als Unterstützer vertrauen und auch innerhalb der Republikanischen Partei hat Trump noch Anhänger. Das gibt ihm weiterhin Macht, er kann der Partei mit einer Spaltung drohen.
Die Demokraten retten uns nicht
Joe Biden hat als Reaktion auf die Stürmung des Kapitols Trump gebeten, „im Staatsfernsehen aufzutreten, um seinen Schwur zu erfüllen die Verfassung zu verteidigen und ein Ende dieser Belagerung einzufordern.“ Erbärmlich, aber schon während des Wahlkampfes war Biden lieber gemeinsam mit Republikanern aufgetreten, als sich mit Black Lives Matter-Aktivist_innen sehen zu lassen. Er und die Demokraten kennen nur den den Rechtsstaat und die Polizei als Allheilmittel zur Verhinderung einer faschistischen Bedrohung. Deshalb werden Liberale in Zeiten politischer Krisen magnetisch von autoritärer Politik angezogen. Die Geschichte hat mehrmals gezeigt, dass der Staat sich den Anforderungen der Zeit entsprechend arrangiert, also auch unter faschistischer Führung, wenn es notwendig wird.
Die Fehler nicht wiederholen
Sozialist_innen in den USA und im Besonderen die größte sozialistische Organisation die Democratic Socialists of America (DSA) müssen die Lehren aus den 1920er- und 30er-Jahren ziehen. Sie müssen unabhängig von der Demokratischen Partei progressive Bewegungen auf den Straßen unterstützen und sich aktiv an Arbeitskämpfen beteiligen. Die Voraussetzungen für eine Ausrichtung weg vom alleinigen Fokus auf Wahlen, hin zum Bewegungsaufbau, sind gut. Letztes Jahr gab es mit den Black Lives Matter-Protesten die größten Massendemonstrationen in der Geschichte der USA. In den letzten zwei Jahren waren die Streikbewegungen so groß und erfolgreich wie seit langem nicht mehr. Es braucht die Linke auf den Straßen, um der wirtschaftsfreundlichen Politik der Demokraten eine zukunftsweisende Alternative gegenüberzustellen. Nur das wird Trump und anderen rechten Demagogen die Anhänger entziehen.