Leserbrief: Repression gegen Palästinasolidarität in Berlin.
Die Repressionen gegen Palästinasolidarität in Berlin haben nicht am 7. Oktober begonnen. Alleine in den letzten Jahren können wir, von der Polizeigewalt auf der Demo im Mai 2021 zu Sheikh Jarrah, über die (generellen) Demo-Verbote um den Nakba-Tag 2022 und 2023, eine eskalierende Tendenz nachzeichnen, die in die fast zweiwöchigen Demonstrationsverboten im Oktober gemündet ist. Begleitet wurden diese von über tausend Festnahmen, erschreckender Polizeigewalt vor allem auf der Sonnenallee in Neukölln, und den Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der jüngst verbotenen Gruppen Hamas und Samidoun. Die bedingungslose Solidarität mit Israel als deutsche Staatsraison zeigt auf unseren Straßen seine unmittelbaren Konsequenzen.
Eben diese Demonstrationsverbote führten jüngst die NGO Civicus dazu, zu bestätigen, was wir lange wussten: die deutschen Freiheitsrechte sind „eingeschränkt“, und Deutschland wurde runtergestuft. Was wir in Berlin erleben ist nicht nur die Repression einer der größten Diasporagruppen der Stadt (und gleichzeitig der größten palästinensischen Diaspora in Europa), sondern einen gefährlichen Türöffner für weitgreifenden Abbau demokratischer Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Doch was ich erzählen will, ist keine Geschichte von Verzweiflung, von Einschüchterung. Ich will berichten von den Erfolgen, die unermüdlicher pro-palästinensischer Aktivismus in Berlin erzielt hat und erzielt. In diesem Mai konnte etwa in einem Bündnis mit jüdischen Genoss*innen, trotz kurzfristiger Verbote, eine Demo zum Gedenken an die palästinensische Vertreibung (Nakba) am 20. Mai abhalten werden. Und auch im Oktober waren es die unermüdlichen Demonstrationen auf der Sonnenallee, die das allgemeine Versammlungsverbot durchbrochen haben. Wir haben gezeigt: Wir lassen uns das Demonstrationsrecht nicht nehmen. Seit dem 21. Oktober finden nun wieder an mehreren Tagen in der Woche Demonstrationen in der ganzen Stadt statt. Am 4. November erreichten sie ihren zahlenmäßigen Höhepunkt, als 40.000 Menschen in Berlin-Mitte unter dem Motto „Free Palestine will not be cancelled“ demonstriert haben.
Natürlich laufen die Demonstrationen nicht ohne Einschränkungen ab: die Polizei versucht, alle möglichen Sprüche zu verbieten und überprüft Schilder, Rufe, Lieder und Reden auf die Worte „Genozid“, „Kindermord“, „Intifada bis zum Sieg“… ganz sicher sind wir nie, denn bei jeder Demo scheint sich etwas Neues ergeben zu haben, ein Wort kommt hinzu, ein anderes darf man doch wieder verwenden. Auf einen Spruch hat es die Polizei besonders abgesehen: „From the River to the Sea“. Die Forderung nach der Freiheit Palästinas vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer, nach dem Ende der Besatzung, und für gleiche demokratische Rechte für alle dort lebenden Menschen, ist mit der deutschen Staatsräson unvereinbar. Doch auch hier regt sich unser Widerstand, denn wir setzen genau hier an: es geht jetzt darum, die seit dem 7. Oktober neu dazu gewonnen Sympathisant*innen und diejenigen, die sich weiter in der Palästinafrage radikalisiert haben, für unseren Kampf zu gewinnen, auf Demos und mit unseren anderen Formen von Aktionen und politischer Bildung: Waffenruhe heute – Einstaatenlösung und Rückkehrrecht morgen.
Wir fühlen vieles. Trauer, Wut, Angst, Verzweiflung wegen der Geschehnisse in Gaza und der Westbank. Erschöpfung, Verunsicherung, Sorge wegen der Entwicklungen in Deutschland und Berlin. Klar ist aber, dass eines immer überwiegt: unsere Entschlossenheit, weiter zu machen. Bis zum Waffenstillstand und dann weiter, bis Palästina frei ist, vom Fluss bis zum Meer.
Die Verfasserin ist aktiv in der Palästina Kampagne und der Initiative Sozialismus von Unten.