Gab es in der Türkei zwei Putsche?
Begriffe wie „ziviler Faschismus“, „militärisches Faschismus“, „Kolonial-Faschismus“, „Islamofaschismus“ und „offener Faschismus“, werden heutzutage oft in die Runde geworfen, so wie „ziviler Putsch“, „Militärputsch“, „islamischer Putsch“ oder „Palastrevolte“. Das entspricht jedoch nicht der Realität.
Ein Putsch ist ein militärischer Vorgang, daran gibt es nichts abzuschwächen. Putschisten können nicht mit jenen Politiker_innen auf eine Stufe gestellt werden, die ein Putsch stürzen möchte. Auch dann nicht, wenn diese Politiker_innen die rücksichtsloseste rechte Politik umsetzen. Ein Militärputsch kann nicht einem autoritären parlamentarischen System gleichgesetzt werden.
Der Punkt ist hier, dass der Konflikt zwischen einem Parlament und Putschisten kein Kampf zwischen ebenbürtigen Kräften ist. Unabhängig davon wie rechts oder korrupt die herrschenden Regierungsparteien sind, repräsentiert ein Parlament die Demokratie und kann nicht mit einer Militärherrschaft verglichen werden.
Militärputsch und Demokratie
Die Demokratie und das Parlament als dessen Plattform sind ein Ausdruck für die erkämpften Erfolge der Unterdrückten und den fortwährenden Kampf von unten für mehr Rechte. Während sich der Kampf von unten gegen die Beschneidung der Demokratie richtet, versuchen die politische Rechte und die herrschende Klasse, die rassistischen- und Mitte-rechts-Parteien und sogar sozialdemokratische Parteien den Einflussbereich der Demokratie zurückzudrängen. Das Ausmaß des Kampfes von unten und die Fähigkeit, erkämpfte Errungenschaften permanent sicherzustellen, kann den Druck durch die herrschenden Klasse verringern.
Ein Militärputsch hingegen ist damit nicht vergleichbar. Wäre der Coup erfolgreich gewesen, wäre der anschließende Kampf dagegen ein Kampf mit gefesselten Armen und Füßen, verbundenen Augen und geknebelt gewesen.
Es besteht ein bedeutender Unterschied darin, ob sich die politische Macht in den Händen des Militärs befindet oder von den Parteien, die sie in Wahlen errungen hat. In letzterem Fall ist es möglich die Basis zurückzugewinnen, politisch dagegen vorzugehen, die gesellschaftlichen Dynamiken zu nutzen, Forderungen zu stellen und zu gewinnen. Ist hingegen das Militär an der Macht, kann der Widerstand der Massen gebrochen werden, indem Ideen, Proteste und die Rede-und Freiheit von Organisationen in allen Bereichen unterdrückt werden. Man würde einfach ein vorübergehendes Verbot aller Organisationen erlassen, die für mehr Rechte kämpfen.
Nur ein Putsch
Was bedeutet das? Es heißt, dass es am 15. Juli keinen Kampf zwischen zwei Putschen gegeben hat. Am 15. Juli attackierten die Putschisten die gewählten Vertreter_innen des Volkes, und auch wenn jene autoritäre Züge aufweisen, versuchen ein Präsidialsystem durchzusetzen und die Demokratie einzuschränken, müssen das Parlament und die demokratischen Mechanismen geschützt werden. Um ihren Willen durchzusetzen, töteten die Putschisten jene Menschen, die sich gegen den Putsch stellten.
Womit wir es zu tun haben, sind nicht zwei Putsche. Am 15. Juli wurde gab es einen Putsch und es ist wichtig, dass er abgewehrt wurde. Es ist entscheidend, den Putsch abzulehnen, Verbindungen mit den Massen aufzubauen, die gegen den Putsch auf die Straße gegangen sind, und die Bewegungen zu organisieren und voranzutreiben, die Einfluss auf die Massen haben. Nur so können Militärputsche in Zukunft abgewehrt werden, nur so kann Widerstand gegen autoritäre Tendenzen und Demokratieabbau überhaupt geleistet werden, und nur so ist es möglich, zu einem Friedensprozess mit den Kurd_innen zurückzukehren und die Unterstützung für autoritäre Züge zurückzudrängen.
Um weitere Putschversuche zu verhindern, um radikale Veränderungen im Bildungssystem, der Politik und im Staat, der die Putschisten hervorbringt, zu erreichen, müssen wir Schulter an Schulter gegen jeden einzelnen Putsch stehen. In diesem Kampf können wir autoritäre Entwicklungen und den Ausnahmezustand zurück drängen.
Şenol Karakaş ist stellvertretender Sprecher von DSIP, der Schwesternorganisation der Neuen Linkswende in der Türkei. Aus dem Englischen von Alexander Akladious.