Wahlanalyse: Rassismus hat die Arbeiterklasse verunsichert
Es ist ein historischer Rechtsruck. Nach vorläufigem Ergebnis hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz die Wahlen mit 31,6% gewonnen. Die SPÖ konnte mit 26,9% nur knapp Platz 2 vor der FPÖ mit 26,0% retten, gefolgt von den neoliberalen NEOS mit 5,1% und der antimuslimischen Liste Pilz mit 4,3%. Die Grünen fliegen nach 31 Jahren mit 3,9% aus dem Parlament. Alles deutet auf eine schwarz-blaue Regierung hin. Zusammen mit den NEOS erreichen ÖVP und FPÖ sogar eine Zweidrittelmehrheit für gravierende Änderungen in der Verfassung.
Alles deutet auf Schwarz-Blau hin. 40% der ÖVP-Wähler_innen sagten in der SORA-Wahltagsbefragung, sie wollen die FPÖ in einer nächsten Regierung (nur 18% wollen mit der SPÖ koalieren). Umgekehrt sagen 60% der FPÖ-Wähler_innen, dass ihre Partei mit der ÖVP koalieren soll (nur 12% mit der SPÖ).
Veränderungswunsch
Die Wähler_innen haben eine Neuauflage von Rot-Schwarz satt. 72% aller Befragten gaben an, dass sie mit der Arbeit der letzten Bundesregierung wenig oder gar nicht zufrieden waren. Unter ÖVP-Wähler_innen lehnen 75% die Arbeit der Regierung ab, unter FPÖ-Wähler_innen sind es 97%. Hingegen waren 63% der SPÖ-Wähler_innen sehr oder ziemlich zufrieden mit der Koalitionsarbeit. Die SPÖ wurde als Partei wahrgenommen, die für das Festhalten am alten System steht. Und das wurde abgestraft.
Fast alle FPÖ-Wähler (86%) und die Hälfte der ÖVP-Wähler (43%) sind der Meinung, dass sich Österreich in den letzten fünf Jahren negativ entwickelt hat, ebenso pessimistisch sind ihre Zukunftsaussichten. 81% der freiheitlichen Wähler glauben, dass es die junge Generation einmal schlechter haben wird als jetzt, im ÖVP-Lager sind es 42%. Auf der anderen Seite überwiegt bei der SPÖ – wenn auch sehr verhalten – mit 40% der Anteil jener, die auf eine positive Vergangenheit zurückschauen, 31% blicken positiv in die Zukunft. Eine umfrangreiche Studie von Fritz Plasser und Franz Sommer zeigte ähnliche Ergebnisse.
FPÖ-Wähler_innen sehen die vergangene Entwicklung fast zu 100% negativ (Grafik links) und haben auch eine pessimistische Zukunftsperspektive (Grafik rechts). Ähnlich, aber nicht ganz so stark zu beobachten bei ÖVP-Wählern. SPÖ-Anhänger_innen sehen Vergangenheit und Zukunft positiv, aber viel zurückhaltender. Grafik: Linkswende jetzt, Quelle: SORA
Die Zahlen sind Ausdruck einer selbstbewussten herrschenden Klasse und einer verunsicherten Arbeiterklasse, deren Führung Akzeptanz für Rassismus signalisierte. Die Linke konnte schlecht mobilisieren, die Rechte gut. ÖVP und FPÖ konnten fast alle Hofer-Wähler_innen vom Dezember 2016 für sich mobilisieren, nur 70.000 davon gingen nicht zur Wahl. Das Van der Bellen-Lager wurde hingegen demobilisiert, hier gingen 183.000 Menschen nicht zur Wahl. Hauptgrund: Zwei Drittel wählten Van der Bellen, um Hofer zu verhindern – dieses Hauptwahlmotiv wurde im Nationalratswahlkampf von SPÖ und Grüne sträflich ignoriert.
Besonders dramatisch ist der Einbruch der SPÖ bei den Arbeiter_innen. Die Sozialdemokraten haben 155.000 Stimmen direkt an die FPÖ verloren. Erschreckende 59% der Arbeiter_innen wählten FPÖ, das ist ein Plus von 26 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten Nationalratswahl 2013.
Ständig Rassismus
81% der Befragten gaben in der SORA-Studie an, dass das häufigste im Wahlkampf diskutierte Thema „Asyl in Integration“ war, unter FPÖ-Wählern lag die Wahrnehmung sogar bei 88%. Kein Wunder. In der ORF-„Elefantenrunde“ zur Wahl wurde vor 1,4 Millionen Zuschauern von 1,5 Stunden Diskussionszeit fast eine halbe Stunde auf Rassismus verwendet. Egal ob es um Mindestsicherung, Steuern, Familienbeihilfe, den Arbeitsmarkt oder Bildung ging, überall waren sich SPÖ, ÖVP und FPÖ einig: Schuld sind die Ausländer, Osteuropäer, Muslime und Flüchtlinge.
Erschreckendes Wahlergebnis unter Arbeiter_innen im Vergleich: Die FPÖ kann ihr Ergebnis von 2013 fast verdoppeln.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache konnte unwidersprochen behaupten, dass in Österreich bald die Scharia eingeführt werden würde und „Ungläubigen“ die Hände abgehackt werden. ÖVP-Obmann Sebastian Kurz forderte „Kontrollen“ (de facto Polizei-Razzien) in Moscheen und SPÖ-Chef Christian Kern brüstete sich mit dem „Burkaverbot“ und kündigte an, mit „eiserner Faust“ gegen Radikalisierung unter Muslimen vorzugehen.
Nachrücken nach rechts wurde bestraft
Wer bei Rassismus nachgab, hat verloren. Im rot-blau regierten Burgenland machte die Niessl-SPÖ Stimmung gegen Flüchtlinge und für eine Öffnung zur FPÖ – und verlor 4,4 Prozentpunkte im Vergleich zur Nationalratswahl 2013. In Wien hingegen konnte die SPÖ um 3,3 Prozentpunkte zulegen. Bürgermeister Michael Häupl stellte sich im Wahlkampf gegen die Zusammenarbeit mit der FPÖ und sagte: „Ideologisch habe ich nach wie vor null Verständnis für eine Koalition mit den Blauen.“ Dort konnte die SPÖ viele jener Leute mobilisieren, die Van der Bellen im Dezember 2016 hauptsächlich gewählt hatten, um Norbert Hofer zu verhindern.
Pilz’ erklärtes Ziel war, der FPÖ Wähler_innen abspenstig zu machen. Aber außer Rassismus gegen Muslime zu legitimieren hat das zu nichts geführt. Lächerliche 12.000 Stimmen konnte die Liste Pilz von der FPÖ gewinnen, den überwiegenden Teil bezog sie mit 67.000 Stimmen von den Grünen. Die Grünen haben als einzige glaubhaft versichert, dass es mit ihnen keine Koalition mit der FPÖ geben wird, aber sie konnten davon nicht profitieren. Ihre Ablehnung gründete sich nicht auf dem Rassismus der Freiheitlichen, sondern ihrer Anti-EU-Haltung.
Linke EU-Kritik nötig
Wie schon bei vergangenen Wahlen hat sich gezeigt, dass die FPÖ-Wähler_innen nicht für immer verloren sind. Eine systemkritische Linke mit einer klaren Haltung gegen die Europäische Union (EU) kann den Freiheitlichen die Protestwähler streitig machen. 62% der FPÖ-Wähler sind der Meinung, dass die EU mehr Nachteile bringt und 88% sagen, dass Österreich seine „nationalen Interessen gegenüber der EU stärker vertreten“ sollte. Es wäre für die Linke ein leichtes gewesen, diese Menschen anzusprechen. Strache und Hofer haben im Wahlkampf viel Kreide gefressen.
Die Hoffnungen, die beim EU-Beitritt 1996 gemacht wurden, sind enttäuscht worden und die Menschen sind zu Recht angefressen. Der Einkommensbericht des Rechnungshofes zeigt einen Rückgang der Löhne von 1998 bis 2013. Besonders dramatische Einbußen mussten die untersten 25% der Einkommensbezieher_innen hinnehmen – ihre inflationsbereinigten Einkommen sanken um ein ganzes Viertel ihres Wertes. Dass die FPÖ trotz Kreidefressen nicht noch stärker abschneiden konnte, lag daran, dass sich sämtliche anderen Parteien hinter der EU versammelt haben.
Frauen
Auffällig ist auch wieder, dass vor allem Männer rechts wählten, Frauen links. Überdurchschnittlich viele Männer wählten ÖVP (33%) und FPÖ (29%), während Frauen eher für SPÖ (29%) und Grüne (6%) stimmten. Nur 22% der Frauen gaben den Freiheitlichen ihre Stimme, Frauen mit Matura sogar nur 8%. Das überrascht überhaupt nicht. Die FPÖ hatte mit 15,8% den geringsten Frauenanteil im letzten Nationalrat.
Die Freiheitlichen reduzieren Frauen auf Sexobjekte und „Gebärmaschinen“. 2016 riefen die freiheitlichen Frauen das „genderfreie Jahr“ aus. Das einzige was die FPÖ Frauen zu bieten hat, ist Rassismus. So erklärte die blaue Frauensprecherin Carmen Schimanek im Wahlkampf, die eigenen Bemühungen für „mehr Gleichberechtigung“ wären „durch die Masseneinwanderung und den damit einhergehenden Import des politischen Islam durch SPÖ und ÖVP desavouiert“ worden. Dass Frauen darauf nicht hereinfallen, hat mit der besonders lebhaften Frauenbewegung und Initiativen wie Frauen gegen Hofer zu tun.