Flüchtlingskatastrophe: Mord im Mittelmeer
Jedes Mal wenn wieder Hunderte elendig im Meer ertrinken, kommt es zu Betroffenheitsritualen der EU-Politiker_innen. Gleichzeitig haben dieselben Politiker_innen die humanitäre Rettungsmission im Mittelmeer Mare Nostrum eingestellt und durch die (viel billigere) reine Flüchtlings-Abwehr-Mission Triton ersetzt. Während der Laufzeit von Mare Nostrum überlebte durchschnittlich einer von 50 Menschen die Überfahrt nach Europa nicht.
In den ersten drei Monaten 2015 war es schon einer von 23. Die Mittelmeerroute nach Europa bleibt damit die gefährlichste und tödlichste Route der Welt. Schon im Februar dieses Jahres hatte der Flüchtlingshochkommissar der UNO gewarnt, die Triton-Initiative der EU sei sowohl vom Mandat als auch von den Ressourcen her beschränkt, Europa müsse seine Kapazitäten erhöhen, um Leben zu retten, oder „Tausende mehr, darunter viele, viele Syrer werden sterben.“
Sparen und Abschrecken
Nun könnte man annehmen, dass eine groß angelegte humanitäre Aktion wie Mare Nostrum kompliziert zu organisieren sei. Dem widerspricht die italienische Marine, die verlautbart hat, sie stünde bereit und könnte binnen 48 bis 72 Stunden mit dem Einsatz beginnen. Die Kapazitäten Europas kann man auch daran sehen, dass, während Tausende ertrinken, die NATO Manöver vor Schottland durchführt, an denen 50 Kriegsschiffe beteiligt sind.
„Das Problem sind unsere Politiker, die eine rassistische Agenda haben und die Festung Europa aufgebaut haben.“
Die Polizeiboote und Handelsschiffe, die immer wieder zur Rettung von Flüchtlingen eilen, sind schlecht für solche Aktionen ausgerüstet und so sterben noch viele, während schon Hilfe da ist, weil Boote kentern und die Wände von Handelsschiffen zu hoch sind. Das Ende von Mare Nostrum war aber nicht einfach eine Sparmaßnahme. Wie man Aussagen von EU-Politiker_innen entnehmen kann, ging es ihnen um Abschreckung. Einige äußerten sich in aller Öffentlichkeit erzürnt über erfolgreiche Rettungsmaßnahmen.
Militarisierung statt Humanität
Nun fordern EU-Politiker_innen Anhaltelager in Nordafrika, besonders in Libyen, was NGOs mit Hinweis auf den Krieg der Milizen, der dort herrscht, für Wahnsinn halten. Sogar dem Diktator Ghaddafi wird nachgetrauert, er hatte mit der EU bei der Jagd auf Flüchtlinge bestens zusammen gearbeitet.
EU-Politiker_innen haben nun beschlossen, die Ausgaben für Rettungsmissionen etwas zu erhöhen, weit entfernt von den Ausgaben, die für Mare Nostrum nötig waren. Gleichzeitig wird den Schleppern „der Krieg erklärt“ und der irre Plan gefasst, Boote, die man für potentielle Schleppervehikel hält, zu versenken. Expert_innen wie NGOs sind entsetzt: Die Schlepper werden nur auf billigere Schiffe umsteigen. Es werden die Preise für die Überfahrt in die Höhe getrieben und noch mehr Menschen sterben.
Die Wurzel des Problems
Auch wenn Medien und Politik es so darstellen, Schlepper sind nicht die Wurzel des Problems. Das Problem sind „unsere“ Politiker_innen, die eine rassistische Agenda haben, die die Festung Europa aufgebaut haben, physisch und ideologisch, die imperialistische Kriege geführt haben. Den dahinter stehenden Rassismus produziert der Kapitalismus immer wieder aufs Neue, weil „Teile und Herrsche“ eine erprobte Strategie ist.
In Wahrheit könnte Europa natürlich die Flüchtenden aufnehmen, so wie ein Mensch einem anderen auch nicht beim Sterben zusehen würde. Migration ist seit Anbeginn der Geschichte ein normaler Vorgang. Die Schwächsten werden einfach aus politischer Berechnung als furchtbare Bedrohung dargestellt. Diese Menschen machen sich auf die lebensgefährliche Reise durch Wüsten und über Meere, weil Wohlstand und Sicherheit auf dieser Welt sehr ungerecht verteilt sind. Und das wird leider so bleiben, solange wir in einem System leben, in dem der Profit regiert.
Privatinitiative
Dass es auch anders geht muss wieder einmal eine Privatinitiative zeigen: Vier Familien aus Brandenburg konnten der Tragödie im Mittelmeer einfach nicht mehr untätig zuschauen, initiierten das Projekt „Sea-Watch“, rüsteten ein Schiff aus und fanden eine Besatzung aus sehr engagierten Helfer_innen, ausgebildeten Spezialist_innen und Fachleuten. Herzstück des Schiffs ist eine Satellitenkommunikationsanlage für eine leistungsstarke Internetverbindung. In Not geratene Boote können damit lokalisiert und der Kontakt zur Außenwelt, etwa zur Seenotrettung, aufrecht erhalten werden.
Die 21 Meter lange „Sea-Watch“ kreuzt im Gebiet zwischen Malta und Libyen etwa 80 Kilometer vor Lampedusa. Hier ereignen sich 80% aller Unglücke von Flüchtlingsbooten. Allein 2014 kamen hier mehr als 3.500 Menschen zu Tode. Zuvor hatten sie sich dafür eingesetzt, in ihrem Dorf im Landkreis Barnim Wohnungen für Flüchtlinge zu besorgen. Im Familienkreis sammelten sie das Geld für die Startphase der „Sea Watch“. Der Sprecher der Initiative, Harald Höppner: „Wir haben gesehen, dass um Europa eine neue Grenze entsteht, und wollten dem Sterben nicht mehr länger zusehen“.
Spenden und Infos: sea-watch.org