Ausstellung: „Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden“
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schlossen sich viele Jüdinnen und Juden der sozialistischen Bewegung im Kampf für eine gerechtere Welt an, eine Welt ohne Ausbeutung, Antisemitismus und Pogrome. Die Botschaft der erfolgreichen Russischen Revolution 1917 breitete sich rasch über Russlands Grenzen hinweg aus und stieß auch in Österreich auf Begeisterung. Die unterschiedlichen Rollen und Aufgaben der jüdischen Verfechter_innen des Kommunismus in der Arbeiterbewegung sind Gegenstand der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien.
Umfangreiche Zeitreise
Die Kuratorinnen, Gabriele Kohlbauer-Fritz und Sabine Bergler, haben mit ihrer Ausstellung einen gelungenen Überblick über diese Themen geschaffen. In chronologischer Abfolge wird man entlang zahlreicher Biografien berühmter, aber auch weniger bekannter Persönlichkeiten aus dem jüdischen und kommunistischen Leben durch die Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte geführt. Ausführliche Text-Tafeln informieren über bedeutende Ereignisse, angefangen bei der Revolution 1848, über die Russische Revolution, den Bürgerkrieg in Österreich 1934, den Aufstieg der Nationalsozialisten bis zur stalinistischen Diktatur – um nur einige zu nennen.
Zur Veranschaulichung sind neben zahlreichen Plakaten, Fotos, Tagebüchern und anderen Zeitdokumenten auch verschiedene Ton- und Videoaufnahmen zugänglich. Darunter eine Aufnahme einer Rede Lenins gegen Antisemitismus vom März 1919, die – auf Schallplatte aufgenommen – den Soldaten der Roten Armee vorgespielt wurde.
Antisemitismus als Anstoß
Viele Jüdinnen und Juden waren im täglichen Leben mit Ausgrenzung und Antisemitismus konfrontiert. Die Bekämpfung des im Zarenreich weit verbreiteten Antisemitismus durch die russischen Sowjets weckte in ihnen die Hoffnung, durch eine Revolution nicht nur die Produktionsverhältnisse sondern auch ihre rassistische Unterdrückung zu durchbrechen.
Anfang des 20. Jahrhunderts engagierten sich politisch aktive Jüdinnen und Juden beispielsweise in der zionistischen Arbeiterbewegung „Poale Zion“ und in der antizionistischen jüdischen Arbeiterpartei, dem „Bund“. Die Ausstellung zeigt dazu unter anderem eine Fahne mit der Aufschrift „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ in jiddischer Sprache.
Berühmte jüdische Genossen
Viele der bekanntesten Revolutionäre, die ihr Leben diesem Streben nach dem „Paradies auf Erden“ widmeten, hatten jüdische Wurzeln, darunter Karl Marx, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki. Letzterer war zwischen 1907 und 1914 in Wien im politischen Exil. Dort gab er gemeinsam mit dem jüdisch-russischen Revolutionär Adolf Joffe die russischsprachige sozialistische Zeitschrift „Prawda“ heraus, die von Wien nach Russland geschmuggelt wurde. Neben Ausgaben der Zeitschrift zeigt das Museum handgeschriebene Briefe Trotzkis an den Mitbegründer der österreichischen Sozialdemokratie Victor Adler.
Thematisiert wird auch die Rolle der jüdischen Intellektuellen, unter welchen viele mit der Revolution und ihren Auswirkungen in der Sowjetunion sympathisierten. Einer der bekanntesten Intellektuellen, der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig, wurde 1928 zur 100-jährigen Jubiläumsfeier Tolstois geladen. Seine Rede kann in der Ausstellung auf Video verfolgt werden.
Jüdischer Widerstand
Mit der Machtübernahme Stalins wurde die Situation für Jüdinnen und Juden in der Sowjetunion wieder gefährlicher. Viele flüchteten nach Palästina, wobei auch Wien eine wichtige Anlaufstelle war, wie viele Fotos aus dieser Zeit illustrieren. Die sich zuspitzende Brandmarkung des Judentums gipfelte in der Herrschaft der Nationalsozialisten. Verschwörungstheorien wie die der „jüdisch-bolschewistischen Weltherrschaft“ brachten jüdische Kommunisten und Kommunistinnen besonders in Gefahr.
Einen wichtigen Teil der Ausstellung macht die Erinnerung an jüdischen Widerstand aus. Trotz der Verfolgung waren viele Jüdinnen und Juden in der KPÖ aktiv. 1941 gründeten prominente intellektuelle Juden das Jüdische Antifaschistische Komitee, deren Auftrag die Dokumentation der Nazi-Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung war. Auch in der Kunst wurde Widerstand geleistet. Die gesamte Ausstellung ist begleitet von Karikaturen Boris Jefimows, der beispielsweise mit einem Bild über den Bürgerkrieg 1934 in Wien mit dem Titel „Austromarxistische Stiefelleckerei“ das Versagen der Sozialdemokratie kritisierte.
Kritischer Blick gefordert
Die Ausstellung ist in jedem Falle sehenswert, allerdings müssen einige Informationen kritisch betrachtet werden. Gleich zu Beginn wird Karl Marx absurderweise unterstellt, er sehe das Wort „Jude“ als Synonym für „Kapitalist“ und begründe so den „linken Antisemitismus“. Vielmehr kämpfte Marx schon in jungen Jahren vehement für die bedingungslose rechtliche Gleichstellung der Juden. Es ist deshalb völlig abwegig, ihn mit aus dem Zusammenhang gerissenen Worten als Antisemiten darzustellen.
Die umfangreiche Sammlung sollte man sich jedoch keinesfalls entgehen lassen. Selten sieht man diesen ausufernden Themenkomplex in einer zusammenhängenden Ausstellung untergebracht. Und wann sonst hat man schon die Gelegenheit, Trotzkis Handschrift im Original zu bewundern?
Die Ausstellung ist noch bis 1. Mai 2018 zu sehen. Weitere Informationen gibt auf der Seite des Jüdischen Museums.