Antisemitische Verschwörungstheorien und Islamfeindlichkeit der Neuen Rechten
Strache hat im Unterschied zu Kurz offen gelegt, worum es ihm eigentlich geht, nämlich um die „Beendigung der Ausgrenzung der FPÖ“. Kurz geht es – unausgesprochen – darum, die FPÖ als Partei des offenen Rassismus auf deren ureigensten Feld der Islamfeindlichkeit rechts zu überholen. Das dialektische Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit kennzeichnet große Teile der europäischen „Neuen Rechten.“
Juden und Muslime als Welteroberer
In Deutschland hat der ehemalige langjährige Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung auf die strukturelle Ähnlichkeit von früher (der bis 1945 „modernen“ antisemitischen Verschwörungstheorien) und den seit den 1990er-Jahren aufgekommenen antimuslimischen Verschwörungstheorien hingewiesen: „Im 19. Jahrhundert wurden Juden als Feinde stigmatisiert, weil ihre Religion ihnen angeblich gebietet, aggressiv gegenüber Nichtjuden zu sein. Da haben selbst ernannte Talmud-Experten dem Publikum vorgefaselt, was alles an bösen Dingen im Talmud stehe. In der heute gängigen islamophoben Literatur und im Internet findet sich genau dasselbe Argument.“ Im weit verbreiteten „Antisemitismus-Katechismus“ von Theodor Fritsch (1852-1933) von 1887 bedient dieser sich der einer heute auf den Islam gerichteten Verschwörungsthese: „Durch seine besonderen Sitten-Gesetze (Talmud und Schulchan aruch) betrachtet sich der Jude als außerhalb aller übrigen Gesetzesvorschriften stehend und hält sich berechtigt, alle Landesgesetze zu übertreten – aber immer auf eine solche Art, dass ihm dieser Missbrauch nicht nachgewiesen werden kann.“
Ähnlich argumentieren heute Legionen von angeblichen Islamwissenschaftlern, dass der Koran seine Anhänger zur Welteroberung und Kriegen anleite, dass sie die Herrschaft der Scharia in Europa und der Welt errichten wollen und „Parallelgesellschaften“ jenseits von geltenden Gesetzen bildeten. (Kurz bedient sich bei seiner Verbotsforderung gegen muslimische Kindergärten des Mythos von rechtsfreien muslimischen Parallelgesellschaften). Das Urmodell der antisemitischen Verschwörungstheorie waren die vom russischen Geheimdienst 1903 zuerst publizierten „Protokolle der Weisen von Zion“, nach denen eine Geheimgesellschaft jüdischer Rabbiner Pläne zu einer Weltverschwörung verabredet und geplant hätten. In Deutschland hat das Buch „Deutschland schafft sich ab“ des Ex-Bankiers Thilo Sarrazin eine Millionenauflage erlangt und spielt heute eine ähnliche Rolle wie Fritsches Antisemitismuskatalog vor 1933. Im Zentrum des Buchs steht die These von der Degeneration des „deutschen Volkes“ mit seiner höheren Intelligenz durch das Vordringen und die Ausbreitung genetisch dümmerer Muslime und Araber.
Die rassistischen Mythen über Juden und Muslime unterscheidet sich aber darin, dass den Juden eine besondere Intelligenz (Schläue) vorgeworfen wird, der sie zur Welteroberung prädestiniere, den Muslimen dagegen besondere Aggressivität gepaart mit unterdurchschnittlicher Intelligenz unterstellt wird. Beide, Juden und Muslime, bedrohen nach Verschwörungstheorien alter und neuer Rassisten abwechselnd die Völker Deutschlands, Österreichs, Frankreichs oder Hollands, oder auch mal das christlich-jüdische Abendland.
Wie alt ist die Neue Rechte?
Es ist müßig, nach einer genauen wissenschaftlichen Definition der Unterscheidung von alter und neuer Rechter zu suchen. Im Grunde ist die „Neue Rechte“ so alt wie der Versuch des Nachkriegsfaschismus, sich von seinem historischen Vorbild des deutschen Nationalsozialismus zu lösen, in dessen Schatten er seit 1945 steht. Die NSDAP hatte bei Kriegsende 8,6 Millionen Mitglieder, das waren etwa 15 Prozent der Wahlbevölkerung, in Österreich hatte die NSDAP 1945 knappe 700.000 Mitglieder bei einer Bevölkerung von etwa 7 Millionen. Rechnet man dazu noch die Mitglieder von zahlreichen Untergliederungen so kommt man auf 10 Millionen Nazis im Gesamtreich, davon etwa 1 Millionen in Österreich. Die große Mehrheit der Mitglieder hat in den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegsjahrzehnte den Deal angenommen, der ihnen von der bürgerlichen Demokratie gemacht wurde: sie schwiegen zu ihrer braunen Vergangenheit und durften dafür in Wirtschaft und Staat bürgerliche Karrieren machen. Eine Minderheit hat sich „wiederbetätigt“, das heißt den Versuch gemacht, die Nazi-Tradition unter veränderten Bedingungen fortzusetzen.
Von Beginn an musste der Neofaschismus seine eigene braune Vergangenheit leugnen, verheimlichen, verharmlosen oder beschönigen. Der Genozid an den europäischen Juden hat den Antisemitismus in der Öffentlichkeit delegitimiert. Antisemitismus spielte deshalb in den Programmen der Nachfolgeparteien keinerlei Rolle mehr. Auschwitz und die Orgie des antisemitischen Exterminismus ließen ihnen keine andere Wahl. Der Vorsitzende der Deutschen Reichspartei und Ex-SS-General Gruppenführer Wilhelm Meinberg sagte 1960 nach einer Welle von Hakenkreuzschmierereien an Synagogen und jüdischen Grabsteinen, an denen auch Mitglieder seiner Partei beteiligt waren: „Wir werden nicht nur jeden rausschmeißen, der die Synagogen beschmiert, sondern auch solche, die antisemitische Äußerungen in unserer Partei machen.“ Im Übrigen sei die DRP eine noch „junge Partei“, da könne so etwas schon mal vorkommen.
In diesem Sinne gehörten fast alle Nazis nach 1945 zur „Neuen Rechten“, die sich mal mehr mal weniger erfolgreich darum bemühte, die Traditionsspuren zur NSDAP zu verwischen. Deshalb ist der Begriff des Neofaschismus durchaus geeignet, das Phänomen der NSDAP-Nachfolgepartei zu kennzeichnen. Neu ist vor allem die offizielle Distanzierung vom Antisemitismus. Heute haben etwa noch zwei bis drei Prozent der FPÖ-Mitglieder selbst politischen Ballast aus der Hitlerei mit sich, die nachgewachsenen jungen Generationen sind damit nicht frei davon.
In diesem Sinne gehörten fast alle Nazis nach 1945 zur „Neuen Rechten“, die sich mal mehr mal weniger erfolgreich darum bemühte, die Traditionsspuren zur NSDAP zu verwischen.
Mythen des Antisemitismus tauchen immer wieder auf, wenngleich selten in ihrer Originalform, wie bei dem baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der die Protokolle der Weisen von Zion als „wahrscheinlich (!) echt“ verteidigt. Weiter verbreitet ist der sekundäre Antisemitismus, ein Begriff der von Theodor W. Adorno 1962 in einem Radiovortrag „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ benutzt wurde. Damit meinte er die Tendenz der Tätergeneration, die aktive Erinnerung an den Holocaust zu tilgen, diesen zu verharmlosen oder in die Geschichte „einzuordnen“ nach dem Muster jenes sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten, der vom „Bombenholocaust“ gegen Dresden gesprochen hat, oder jenen Deutschen, die die Unterdrückung der Palästinenser durch den Staat Israel als „genauso schlimm“ wie die NS-Militärmaschinerie darstellen.
In diesem Sinne gehören die Reden führender AfD-Funktionäre wie Höcke gegen die herrschende Erinnerungskultur zur Version des sekundären Antisemitismus und seine Reden sagen uns auch etwas über die Quelle dieses neuen Antisemitismus, des Verharmlosens, Leugnens und „Schlussstrich-Ziehens“: die Erinnerung an den Holocaust macht die Rekonstruktion eines völkischen Nationalismus nahezu unmöglich. „Deutschland über alles“ passt nicht zur Erinnerung an den Holocaust. Dies war auch das Motiv, das den früheren CDU-Abgeordneten Hohmann 2003 dazu antrieb, vom „jüdischen Tätervolk“ zu reden.
Zur Dialektik von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit
Die „AfD“ hat sich seit ihrer Spaltung 2015 mit rasanter Geschwindigkeit nach rechts bewegt, mehrere Landesverbände sind unter Kontrolle des neofaschistischen Flügels um Alexander Gauland (AfD Brandenburg) und Björn Höcke (AfD Thüringen). Sowohl die (noch)-Chefin der AfD, Petry, wie auch die vom Kölner Parteitag gewählten Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im September, Alice Weidel und Alexander Gauland, haben sich mit Strache und der FPÖ-Führung nicht nur mehrfach getroffen, sondern die FPÖ zum politischen Vorbild für die AfD erklärt.
Oft wird behauptet, dass „sich die sekundär-antisemitische Motivation … auf die Dämonisierung und Delegitimierung des Staates Israels“ fokussiere (Jochen Böhmer Sekundärerer Antisemitismus, Juni 2017). Die Israel-Kritik von Rechts zielt aber nicht primär auf die Delegitimierung Israels sondern auf die nachträgliche Legitimierung oder Relativierung des Genozids im Namen Deutschlands. Viele Islamfeinde haben nichts gegen Muslime, solange sie nicht in Österreich oder Deutschland wohnen. Und es gab eine Zeit (1933-1936) als die Judenpolitik der Nazis in enger Kooperation mit der Zionistischen Bewegung in Deutschland versuchte, deutsche Juden zur Auswanderung nach Palästina zu zwingen.
Sekundärer Antisemitismus im Sinne einer Entsorgung der Nazi-Vergangenheit aus dem kollektiven Gedächtnis geht viel mehr auch Hand in Hand mit einem betonten Bekenntnis zu Israel. Strache brüstet sich damit, dass er seit 2002 neun Mal in Israel war. Geert Wilders hat ganz im Sinne von Breivik zum gemeinsamen Kampf des Westens und Israels gegen die „Islamisierung“ Europas und Israels aufgerufen. Frauke Petry hat erst kürzlich die AfD als Schutzmacht „jüdischen Lebens … auch in Zeiten illegaler antisemitischer Migration nach Deutschland“ angepriesen, stieß aber bei den jüdischen Gemeinden zu recht auf heftige Kritik.
Auch bei Marine Le Pen paart sich sekundärer Antisemitismus mit Israelfreundschaft. „Französischen Kindern werde beigebracht, sich nur noch an die ‚dunkelsten Aspekte‘ der Geschichte des Landes zu erinnern“ (Französische Polizisten und Beamte hatten in Kooperation mit den Nazis die Deportation von 75.000 Juden nach Osten in der Zeit von 1942-44 organisiert.) „Ich will, dass sie stolz sind Franzosen zu sein.“
Andererseits hat Marine Le Pen ihren Vater politisch wegen dessen wiederholten antisemitischen Äußerungen aus dem Front National ausgeschlossen.
Trotzki sagte 1932, dass der Faschismus keine eigene „faschistische“ Ideologie herausbildet, sondern anknüpft an schon vorhandene reaktionäre Vorurteile, wobei einzig das Grundelement eines völkischen Nationalismus unverzichtbar sei.
Der Streit in der AfD um den Ausschluss Wolfgang Gedeons hat die gesamte Partei erschüttert. Marc Jongen, der als AfD-Parteiphilosoph gilt und stellvertretender Sprecher der Afd Baden-Würtemberg ist, hat die Debatte um Antisemitismus und Islam in der AfD sehr treffend zusammengefasst: Es sei in Deutschland undenkbar, einen grundgesetzwidrigen Islam in seine Schranken zu weisen „mit einem Wolfgang Gedeon im Hintergrund der … im Kampf gegen beide“ (Juden und Muslime, d.V.) „die große Kontinuität des christlichen Abendlandes sieht.“ Jongens Äußerung dokumentiert den taktischen Charakter der Haltung der AfD-Führung zum Antisemitismus. Die Duldung von Antisemiten wie Gedeon lähme die Durchschlagkraft der AfD im Kampf gegen die Islamisierung, argumentieren sie. Bislang wurde noch kein einziges AfD-Mitglied wegen antisemtischer Äußerungen oder Texte aus der Partei ausgeschlossen.
Deshalb erscheint der gegenwärtigen Parteiführung (Petry, Meuthen) Straches FPÖ als anzustrebendes Idealbild: eine Partei die nicht nur neurechts redet, sondern der es gelungen zu sein scheint, den offenen Antisemitismus aus den eigenen Reihen zu verbannen.
Ideologie des Faschismus
Der Wandel des Neofaschismus nach 1945 zeigt wie Recht Trotzki hatte, der 1932 einmal sagte, dass der Faschismus keine eigene „faschistische“ Ideologie herausbildet, sondern anknüpft an schon vorhandene reaktionäre Vorurteile, wobei einzig das Grundelement eines
völkischen Nationalismus unverzichtbar sei. Und so erklärt es sich, dass der europäische Faschismus auf den nach 1945 gesellschaftlich geächteten Antisemitismus größtenteils verzichtet und so erklärt sich auch, warum der Rassismus in Gestalt der Islamfeindlichkeit neben dem völkischen Nationalismus zu einer seiner zentralen ideologischen Säulen wurde.Zum Autor: Volkhard Mosler ist Aktivist bei DIE LINKE in Frankfurt und Mitglied des Koordinierungskreises von marx21. Er ist im Bündnis Aufstehen gegen Rassismus aktiv.