Arbeiterkontrolle und Kollektivierung: Der Weg aus der Klimakrise

„Wir müssen alle aufpassen, dass das Thema Klimaschutz nicht missbraucht wird, um für alte kollektivistische Ideen zu werben“, sagte Kanzler Sebastian Kurz am Weltwirtschaftsforum in Davos beunruhigt. Doch genau das müssen wir tun, um echten Klimaschutz voranzubringen. Schön, dass es der Sprechpuppe der Konzerne in Österreich Angst macht.
10. Februar 2020 |

Wir müssen zunächst mit einem großen Mythos aufräumen. Über 80.000 Menschen arbeiten in Österreich in der Automobil-Zulieferindustrie, weitere 210.000 sind von diesen Betrieben abhängig. Immer wieder wird von der Industrie behauptet, dass die ökologische Transformation diese Arbeitsplätze vernichten wird und man deshalb „behutsam“ mit Klimaschutzmaßnahmen vorgehen müsse. Das ist eine dreiste Lüge. Die Industrie selbst zerstört Jobs.

2013 drohte eine Studie des Fraunhofer-Instituts im Auftrag der Industrie, dass in der österreichischen Fahrzeugindustrie 30.000 Arbeiter_innen (also fast die Hälfte) und weitere 160.000 Beschäftigte indirekt ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Ursache wären zu hohe Löhne, zu gute gewerkschaftliche Organisierung (98-prozentige „Durchdringung des Kollektivvertragssystems“), Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Verlagerung der Produktion in andere Billiglohnländer

Wettbewerbsfähigkeit

Bereits in den 1980er-Jahren hat Steyr-Daimler-Puch begonnen, Teile der Fahrzeugproduktion nach China zu verlagern – insbesondere Lastwagen, die zu Transportzwecken in Kohleminen und auf Ölfeldern eingesetzt werden sollten, wie eine Dissertation zur österreichischen Automobilindustrie nach 1945 an der Universität Graz zeigt. Von 2007 bis 2014 haben österreichische Unternehmen im Ausland fast 100.000 Arbeitsplätze geschaffen, wie das Verkehrsministerium 2017 feststellte.

Der VW-Vorstandsvorsitzende in der Slowakei, Albrecht Reimold, sagte unverblümt in der Fraunhofer-Studie: „Die Schwäche Österreichs ist die Lohn- und Gehaltsdifferenz zu angrenzenden Ländern.“ Die die Branche beratende Firma Ernst & Young drückt das Interesse österreichischer Fahrzeugfirmen aus: „Ich kann nur für Innovationen ausgeben, was ich anderswo verdiene. Es wird gespart werden müssen.“ 2019 setzten heimische Betriebe wieder vermehrt auf Kurzarbeit, Zwangsurlaub, Kündigungen und Reduktionen im Schichtbetrieb.
Wir müssen sagen: Nein, es muss nicht gespart werden! Im Gegenteil, wir brauchen die technischen Möglichkeiten und das Wissen der Arbeiter_innen dringend, um die Klimakrise zu bewältigen.

Umrüsten ist Joberhalt

Die Arbeiter_innen in der Automobilbranche haben in ihren Kämpfen bei der Verteidigung ihrer Arbeitsbedingungen und gegen die Abwanderung der Industrie ein Eigeninteresse, ihre Fabriken in Produktionsstätten für Technologien, die uns aus der fossilen Wirtschaft führen, zu verwandeln. Sie können mit ihrem Know-How und der Technik Bauteile für Busse, Straßenbahnen, Züge oder Windräder herstellen. Sie sind es, die Jobs verteidigen, nicht die CEOs der Konzerne, für die nichts als Rendite und Shareholder-Values zählen.

Alle Kämpfe sind heute demnach Kämpfe gegen das fossile Kapital, argumentiert die kanadische Journalistin Naomi Klein in ihrem Buch Kapitalismus vs. Klima, denn der gegenwärtige Kapitalismus ist durch und durch mit fossilen Energien durchdrungen. Man denke nur an die Verlagerung der LKW-Produktion von Steyr nach China, die den Ausbau der Kohle-Infrastruktur vorbereitet hat. Die Umweltkrise, so Klein, überstrahle „weder unsere dringlichsten politischen und wirtschaftlichen Probleme, noch lenkt sie davon ab: Sie verleiht vielmehr beiden eine existenzielle Bedeutung.“ Mit anderen Worten, alle Kämpfe von Arbeiter_innen sind Kämpfe für Umweltschutz.

Arbeiter in Fossilindustrie

Das mag insbesondere im Kohlebergbau irritieren. Stolze Minenarbeiter_innen, die ihre Arbeitsplätze verteidigen, sollen Klimaschützer_innen sein? Sie sind es noch nicht bewusst (Marx würde sagen, sie sind erst eine Klasse an sich, noch nicht für sich). Sie haben ein objektives Interesse, dass ihre Jobs erhalten bleiben – aber damit ist noch nicht gesagt, in welcher Form. Kämpfen sie, bekommen sie Selbstvertrauen und neue Perspektiven eröffnen sich. Wenn sie mit den richtigen Ideen in Kontakt kommen, ist ein echter Strukturwandel möglich. Die Gewerkschaften müssen diese Transformation mit den Arbeiter_innen gemeinsam anpacken – unter Forderungen nach Arbeitsplatzgarantie und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Klimaschutz ist nicht gegen, sondern nur mit den Werktätigen durchsetzbar. Das heißt insbesondere auch für die Klimabewegung, dass sie auf die Arbeiter_innen, Betriebsräte und Gewerkschaften zugehen und sie in ihren Kämpfen unterstützen muss – auch wenn diese auf den ersten Blick nicht umweltfreundlich aussehen, man denke nur an streikende Arbeiter_innen im Ölhafen Lobau. Aber genau das wäre das Richtige: Es würde Diskussionen mit der Klimabewegung ermöglichen, wie wir den fossilen Kapitalismus beenden können.

Werktätige entscheiden

In Belfast haben Arbeiter_innen der Schiffswerft Harland and Wolff gegen ihre Schließung das Werk besetzt, die Insolvenzverwalter vor die Türe gesetzt und kündigten die Ausweitung der Produktion von Teilen für Wind- und Gezeitenkraftwerke an: „Wir führen jetzt dieses Gelände, und wir entscheiden, wer reinkommt und wer nicht.“ Arbeiter_innen des EDF-Stromkonzerns in Bordeaux haben über längere Zeiträume IKEA und Lidl von der Stromversorgung abgeschnitten, während sie gleichzeitig 80.000 Menschen in niedrigere Tarifstufen setzten und damit ihre Stromrechnungen verbilligten. Ein CGT-Gewerkschafter kommentierte: „Wir nehmen die Kilowattstunden von den Reichen und geben sie den Armen zurück.“

All dies sind Versuche der vereinten Arbeiter_innen, wie Marx es ausgedrückt hat, den gestörten Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur „unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden“.

Gerade weil fossile Energien alles durchdrungen haben, fällt den Werktätigen in den Bereichen, in denen sie produziert werden, eine herausragende Rolle zu: Sie können das System lahmlegen und umgestalten. Alles, was Sand ins Getriebe des profitgetriebenen Kapitalismus streut, trägt zum Umweltschutz bei. Letztlich müssen Arbeiter_innen selbst entscheiden, wie ihre Fähigkeiten auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse eingesetzt werden. Die Klimabewegung muss dafür kämpfen, dass die Arbeiter_innen den Konzernen die Kontrolle entreißen, die Fabriken kollektivieren und unter ihre Selbstverwaltung stellen.