Camilla Hirsch: Tagebuch aus Theresienstadt
In ihrem Tagebuch aus Theresienstadt erzählt Camilla Hirsch von ihrem unvorstellbar grausamen Alltag im Konzentrationslager Theresienstadt: Kälte, Wanzen, Krankheit und notorischer Hunger plagten die Gefangenen – diese Umstände zu überleben ist schwierig. Noch schwieriger ist es für jene in hohem Alter, die beispielsweise weniger Essen bekamen, weil sie nicht mehr zur Arbeit eingesetzt werden konnten. Eine von diesen „Alten“ war Camilla Hirsch, die am 4. Mai 1869 geboren wurde und die meiste Zeit ihres Lebens in Wien lebte. 1942 wurde sie im Alter von 73 Jahren in das KZ deportiert – eine der 32.721 Juden und Jüdinnen, die allein im Verlauf des Jahres 1942 aus Wien deportiert wurden und von denen nur ein Bruchteil überlebte.
In Theresienstadt begann sie ihr Tagebuch: Zwei blaue, mit kleinen Buchstaben eng beschriebene Hefte. Fast wäre es für immer verschollen geblieben – im Jahr 2000 fanden ihre Großnichten Ruth Elkabets und Miriam Prager das Tagebuch unter vielen Familiendokumenten. Als sie beschlossen das Tagebuch zu veröffentlichen, stellten sie Nachforschungen an. Biographischer Hintergrund und politischer Kontext werden in das Tagebuch eingeflochten und machen es so zu einer wertvollen Dokumentation der Gräuel des NS-Regimes.
„Man wird von dem vielen Elend, das man sieht, ganz apathisch“, notiert Camilla am 28. April 1944 in ihr Tagebuch. „Die Transporte stehen wie ein drohendes Gespenst vor uns“. Sie verlor viele Menschen, die ihr ans Herz gewachsen sind, wegen Krankheit, Hunger oder Verschleppung in die Todeslager. Zu ihrem Glück hatte sie ihre beste Freundin Mila fast immer an ihrer Seite: „Wir teilen alles, was wir haben.“ Auch wenn die Lager-Kommandur versuchte, Solidarität und Mitgefühl durch Kollektivstrafen bei Diebstahl oder Fluchtversuchen zu verhindern.
Ihr einziger Sohn Robert aus erster Ehe ist ihr Hauptgrund das KZ zu überleben – sie will ihn wiedersehen. Sie hat die Hälfte ihrers Gewichts abgenommen – von 92 auf 46 Kilogramm. Aber sie überlebte Theresienstadt! 1945 verließ sie das Ghetto mit einem Zug in die Schweiz. Doch die unerträglichen Lebensbedingungen in Theresienstadt hinterließen ihre Spuren: Camilla Hirsch starb am 29. Juni 1948 im italienischen Krankenhaus in Lugano an einer kardinalen Lungenstauung.
Mein Blick fliegt über die Zeilen der letzten Seiten ihres Tagebuchs, ich verschlinge jedes einzelne Wort ihrer ans Herz gehenden Schilderungen. Tränen steigen mir in die Augen, ob der Tatsache, dass dies nicht „nur“ eine Geschichte ist. Es ist dies die brutale Realität einer KZ-Gefangenen, die vor 72 Jahren zum Flüchtling wurde – das ungewisse Schicksal, das auch heute noch zu viele Kriegsflüchtlinge erleiden müssen. Es ist, wie es ihre Großnichten im Vorwort schreiben, das Tagebuch einer Frau, „die stärker war als das Leben, das sie erleiden musste“.