Flüchtlingspolitik der EU zielt auf Mord
Im Zuge der europäischen Asylrechtsreform, die im Wesentlichen darauf zielte, die bereits etablierten Taktiken von illegalen Pushbacks und systematischem Ertrinken lassen zu legalisieren, verkündete die EU mit großem medialen Aufwand ein Abkommen mit Tunesien. Für einige hundert Millionen Euro sollte Tunesien den Transit über seinen Herrschaftsbereich in die EU verhindern. Solche Deals unterhält die EU mit mehreren Transitländern wie der Türkei, Marokko oder mit libyschen Warlords. Diese Deals sind es auch, welche den Anstieg der Sklaverei im 21. Jahrhundert ausgelöst haben. Flüchtlinge werden in Lagern interniert und von diesen in die Kobalt-Minen in Nordafrika verkauft.
Tunesiens Rolle in der Flüchtlingspolitik
Ganz der europäischen Selbstherrlichkeit entsprechend knüpfte die EU den Großteil der finanziellen Hilfen an ein Finanzierungsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser verlangt von Tunesien Umsetzung ökonomischer Reformen, welche im Wesentlichen auf den Abbau von staatlichen Angestellten und Sozialförderungen hinauslaufen. Nachdem die politische Situation in Tunesien angespannt ist, fürchtet der Präsident Saied durch solche neoliberalen Sparmaßnahmen Widerstand in der Bevölkerung auszulösen. Im Unterschied zum Zeitalter der westlichen Hegemonie über die gesamte Welt können sich periphere Staaten mittlerweile auch an anderen Stellen Geld borgen. Russland und insbesondere China sind die klassischen Ansprechpartner, welche ihre Kredite nicht an Sozialabbau knüpfen und außerdem auf die peinlichen Nachhilfestunden zu Menschenrechten, auf welche die EU so steht, verzichten. Im aktuellen Fall ist es Saudi-Arabien, welches Tunesien umfassende Finanzspritzen zur Verfügung stellt.
Diese führte zu der Situation, dass die Flüchtlinge, welche sich in Tunesien befinden, um jeden Preis das Land verlassen müssen, bevor der Deal mit der EU in Kraft tritt. Dank der finanziellen Angebote aus Saudi-Arabien und China verspürt Tunesien wenig Motivation, die sich in ihrem Land befindenden Flüchtlinge aufzuhalten. Nicht zuletzt, weil es in der tunesischen Bevölkerung aufgrund ökonomischer Verelendung – der Großteil des Brotes wird aus importierten Weizen aus Russland oder der Ukraine hergestellt und die Lieferungen stocken seit Beginn des Krieges – einen anwachsenden Rassismus gegen Flüchtlinge gibt. Am 4. Juli kam es in der tunesischen Stadt Sfax zu pogromartigen Jagden auf Flüchtlinge. Mehrere Unterkünfte wurden niedergebrannt.
Setzt Griechenland auf die Tötung durch das Meer, ist es für Tunesien die Wüste. Diese von der Europäischen Union unterstützte Politik, nicht als systematische Vernichtung zu beschreiben, spottet der Realität
Das Ankommen tausender Flüchtlinge in Lampedusa ist demnach kein Phänomen einer zunehmenden Fluchtbewegung, sondern die Menschen versuchen ihre letzte Chance auf ein gesichertes Überleben zu nutzen. Zusätzlich wird diese Flucht durch ein neues Gesetz der rechtsextremen Regierung Melonis in Italien erschwert. Dieses zielt darauf ab, dass nicht staatliche Rettungsinstitutionen wie Sea-Watch und Co. nur eine Rettung pro Einsatz durchführen dürfen und danach direkt in den Hafen zurückkehren müssen. NGOs wiesen darauf hin, dass dieses „Gesetz zum Ertrinken lassen“ im Widerspruch zum Seerecht steht, welches verlangt, in einer Notlage auf See zu helfen.
Eine Politik der Vernichtung
Ganz anders sieht es mit Flüchtlingen aus, die aktuell versuchen, nach Tunesien zu kommen, um von hier in die EU weiterzureisen. Im Zuge des Abkommens mit der EU öffnete sich für Tunesien auch der Markt für modernste Überwachungsmaßnahmen. Mit modernsten Drohnen ausgerüstet durchsucht das tunesische Militär die Wüste Sahara nach Flüchtlingen, um diese vom Militär abfangen zu lassen. Mittlerweile existieren Augenzeugenberichte darüber, wie diesen abgefangenen Flüchtlinge vom tunesischen Militär das Wasser abgenommen wird und sie zurück in die Wüste geschickt werden. Tunesien betreibt im großen Maßstab, was Griechenland im kleinen betreibt,: Menschen abfangen, ihnen die Überlebensmittel abnehmen, sie aussetzen und der „Natur“ das Töten überlassen. Setzt Griechenland auf die Tötung durch das Meer, ist es für Tunesien die Wüste. Diese von der Europäischen Union unterstützte Politik, nicht als systematische Vernichtung zu beschreiben, spottet der Realität. Es ist die klassische Politik der Abschreckung: „Wir sind bereit, bis zum Mord zu gehen,“ welche die flüchtenden Menschen einschüchtern soll. Saudi-Arabien setzt diese Politik offensiv um und erteilt dem Militär Schießbefehl auf Flüchtlinge. Laut Human Rights Watch wurden zwischen März 2022 und Juni 2023 mindestens 655 Menschen vom saudischen Militär beim versuchten Grenzübertritt erschossen. Tendenziell sind die Zahlen zu niedrig, so die Autorin des Berichts, Nadia Hardmann.
Rechtsextreme radikalisieren weiter
Es ist ein Fehler, die gegenwärtige Vernichtungspolitik der EU einzig und allein den rechtsextremen Parteien anzuheften. Es sind die „guten Demokraten“, von konservativ über grün bis sozialdemokratisch, die Jahr für Jahr die Finanzierung von Frontex erhöhen, das Asylrecht einschränken und Deals mit jedem autoritären Regime eingehen. Die deutsche Grünenpolitikerin Ricarda Lang, welche sich 2018 noch an den antirassistischen #unteilbar Protesten beteiligt, forderte Anfang September 2023 die SPD dazu auf, das Tempo bei Abschiebungen zu erhöhen. Die rechtsextremen Parteien erkennen diese grundlegende Logik der kapitalistischen Gesellschaft: „Flüchtlinge aufhalten“. Aus der Opposition heraus radikalisieren sie diese Logik verbal. Die Führerin des Front National Le Pen verwendet Lampedusa als Beispiel für eine angebliche „Überflutung“ durch Flüchtlinge, die FPÖ bedient sich der faschistischen Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“. Sobald sie die Rechtsextremen wie in Italien an der Macht sind, radikalisieren sie diese Politik durch konkrete Gesetze.
In dieser doppelten Frontstellung müssen wir als revolutionäre Linke auf der einen Seite jeden Machtzuwachs der extremen Rechten konfrontieren. Genauso muss uns aber auch klar sein, dass die Flüchtlings-solidarischen Äußerungen aus der institutionalisierten Linken zu keinen materiellen Veränderungen führen werden. Unterstützenswert sind sie insofern, als sie den Flüchtlings-solidarischen Teil der Bevölkerung in der gesellschaftlichen Diskussion sichtbar machen. Für eine wirklich solidarische Politik braucht es aber den Bruch mit dem bestehenden politischen und rechtlichen System. Das muss vom Aufbau antirassistischer Demonstrationen über den Protest gegen Abschiebungen bis zur direkten Unterstützung illegaler Migration gehen.