Griechisches „Oxi“ verbreitet Panik unter den Eliten
Die Vorgänge im griechischen Parlament seit dem „Oxi“ ändern nichts an den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen, wie sie von den Werktätigen durch die Protestbewegung geschaffen wurden.
Am 27. Juni verließ Tsipras die Verhandlungen mit der Eurogruppe in Brüssel und kündigte für den 5. Juli ein Referendum an. Die EU bot alles auf, was ihr an Druckmitteln zur Verfügung stand, um ein Ja zum Sparpaket zu erpressen. Sie drohte den griechischen Banken mit Unterstützung der griechischen Nationalbank den Geldhahn ab und drohte mit dem Verlust der Pensionen.
Ein Szenario der totalen sozialen Verwüstung wurde an die Wand gemalt. Griechische Medien drohten Mitarbeiter_innen mit der Kündigung, sollten sie Argumente für ein Nein behandeln. Sogar der Dachverband der Gewerkschaften rief zu einem Ja auf. Aber die Bewegung war in den vergangenen Jahren derart gereift, dass sie all das nicht beeindruckte. 61,3 Prozent sagten „Oxi“ zu den Bedingungen der EU. Die Arbeiter_innenbewegung zog weite Teile der gesamten Gesellschaft wie die Bauernschaft und kleine Geschäftsleute hinter sich zusammen.
Abstimmung gegen die Eliten
Man kann die Bedeutung des Referendums am besten mit dem Referendum gegen die Monarchie im Dezember 1974 vergleichen. Kurz nach dem Sturz der Militärdiktatur stimmten die Griech_innen mit 69 Prozent gegen die Monarchie. Das Nein zur Monarchie ebnete den Weg für die Fortschritte der Arbeiter_innenbewegung.
Auch das Nein gegen die „Europäische Verfassung“ in Frankreich und Holland im Jahr 2005 hat die europäischen Eliten in Panik versetzt. Aber das Referendum in Griechenland kommt heute in einer Zeit von tiefer Krise. Merkel, Schäuble und Konsorten mögen völlig verrückt erscheinen, aber in Wahrheit vertreten sie die einzige Politik, die für das europäische Kapital vorstellbar ist: die Arbeiter_innen für die Krise zahlen zu lassen.
Wird ihnen dieser Weg versperrt, dann brechen innerhalb der Eliten Kämpfe aus, die den Raum für weitere Fortschritte der Arbeiter_innenbewegung noch viel weiter öffnen werden. Man erkennt das schon an ihrer Uneinigkeit über einen „Grexit“. Einem Teil der herrschenden Klasse ist der Austritt Griechenlands zu riskant, die anderen sind verzweifelt genug ihn zu wagen.
Instabiles Europa
Die politische Instabilität der EU verschärft die wirtschaftliche Krise. Das erklärt warum Schäuble so verbissen darum kämpft, Syriza aus der Regierung zu verjagen. Er muss diese Dynamik in der Arbeiter_innenklasse aufhalten, auch wenn sich später herausstellen wird, dass es schon zu spät war und seine Angriffe die Polarisierung nur weiter vorangetrieben haben.
Die Radikalisierung ist ganz klar in Griechenland am weitesten fortgeschritten, aber sie findet auch im Rest Europas statt. Der Zusammenbruch der alten „Systemparteien“ ist genauso in Spanien, in Italien, in Schottland und in geringerem Ausmaß auch in Ländern wie Deutschland und Österreich zu spüren.
Aber wie stark sich die Bewegung in Griechenland radikalisiert hat, ist wahrlich atemberaubend. Man muss bedenken, dass Syriza nur wenige Tage nach dem Referendum in die Knie gegangen ist und sich mit den Geldgebern auf ein neues Sparpaket geeinigt hat. Im Referendum kam ein Sparpaket mit einem Volumen von acht Milliarden Euro zur Abstimmung, das Sparpaket, das Tsipras wenige Tage später dem Parlament vorlegte, hatte einen Umfang von über 12 Milliarden Euro.
Revolutionäre im Vormarsch
Dagegen rebellierte beinahe die gesamte Parteibasis. Laut Umfragen lehnten 79 Prozent der Bevölkerung das neue Übereinkommen zwischen der Regierung und der EU ab. Am 15. Juli, dem Tag der Abstimmung, kam es zu einem Generalstreik im öffentlichen Dienst (ADEDY), der auch von Gewerkschafter_innen von Syriza unterstützt wurde. Initiiert wurde der Streik von Vertreter_innen von Antarsya, der revolutionären Opposition links von Syriza.
Das spricht Bände, denn im Parlament mag Syriza zwar das Sagen haben, aber auf den Straßen und in den Betrieben sind Revolutionär_innen inzwischen enorm einflussreich geworden. Diese größer werdende Kluft zwischen offizieller Politik in den Institutionen und der Arbeiter_innenbewegung an der Basis ist ein gutes Zeichen.
Die Arbeiter_innen entwickeln immer mehr eigenständiges Klassenbewusstsein, weil sie laufend an großen Kämpfen teilnehmen und umwälzende Erfahrungen machen. Das Niveau der Klassenkämpfe entwickelt sich in atemberaubendem Tempo. Fortschritte in der Arbeiter_innenbewegung, welche sonst Jahrzehnte brauchen, passieren jetzt in Wochen oder auch nur Tagen.